Kurt Weidemann will eine Lanze brechen für Stuttgart 21 Foto: Hörner

Kreative für neuen Bahnhof: Michael Klett, Kurt Weidemann, Roland Schwarz und Thilo Rothacker.

Stuttgart - Der Eindruck drängte sich gelegentlich auf: die Kreativen dieser Stadt sind geschlossen gegen Stuttgart 21. Dem ist aber nicht so. Bei uns haben sich vier kluge Köpfe zu Wort gemeldet. In einem Gespräch stehen sie zu dem gewaltigen Bahnprojekt und erwarten von der Stadt den Mut zur Veränderung.

Gelegentlich wird es laut. Direkt hinter der Laube führen die Gleise der Gäubahntrasse vorbei. Hier am Westbahnhof sitzt der Künstler Kurt Weidemann mit dem Verleger Michael Klett am Tisch und plaudert. Klett ist zufällig hier, findet aber Gefallen am Thema. Grundsätzlich sei er ja für Stuttgart 21, wenn ihm auch vieles daran nicht passe. Thilo Rothacker und Roland Schwarz kommen dazu, ihnen war es ein Bedürfnis, mit der Mär aufzuräumen, die kreativen Köpfe dieser Stadt wären alle gegen das Bahnprojekt.

Herr Klett, Sie sind also für Stuttgart 21?

Michael Klett: Ja, ich bin dafür. Als Verkehrskonzept, aber ich bin gegen die städtebauliche Entwicklung. Ich bin auch gegen den Abriss der Seitenflügel, aber das Projekt ist richtig.

Kurt Weidemann: Genau. Ich bin dafür, aber die Ausführung ist beschissen.

Roland Schwarz: Ich habe auch nichts gegen die Seitenflügel. Aber man muss doch feststellen, dass ein Großteil der Leute die Flügel erst wahrgenommen hat, seit sie in der Diskussion sind.

Warum melden sich kreative Beführworter des Projekts überhaupt zu Wort? Der Bahnhof wird doch gebaut?

Thilo Rothacker: Stimmt, wir haben eigentlich gar keine Veranlassung. Aber mir stinkt es einfach, dass die Diskussion so einseitig ist. Diese Meinung, Kreative seien per se gegen Stuttgart 21 stört mich, da fühle ich mich in meiner Ehre angegriffen. Zum Kreativsein gehört eben auch mal, nonkonform zu sein. Und deshalb melden wir uns zu Wort.

Roland Schwarz: Was mich stört, ist die Art der Diskussion. Die Gegner tun immer so, als ob die Mehrheit dagegen ist. Ich denke aber, dass die schweigende Mehrheit überhaupt nicht dagegen ist. Demokratie ist auch, Entscheidungen, die einem nicht gefallen zu akzeptieren. Die Entscheidung ist für das Projekt gefallen.

Die Gegner sehen das anders. Ihr Protest wird nicht weniger. Überhaupt scheinen sich die Fronten in der Stadt immer mehr zu verhärten.

Thilo Rothacker: Viele der Gegner sind ja gute Freunde von mir! Aber es stimmt, dass sich der Großteil der Gegner festgefahren hat in einem trotzigen Widerstand. Dabei geht es nicht um den Bahnhof, sondern nur noch gegen die da oben. Aber ich stehe hier unten auf meinen zwei Beinen, und ich will, dass sich meine Stadt entwickelt. Und ich will einen neuen Bahnhof, für den einfach viele Argumente sprechen.

Diese sind ja oft ausgetauscht worden. Oder erklären Sie mir jetzt, dass die Mineralquellen sicher sind? Oder die Tunnel?

Kurt Weidemann: Das sollen die Spezialisten beantworten.

Thilo Rothacker: Nein, wir wollen nicht die Details diskutieren, das ist in der Tat inzwischen zur Genüge geschehen. Uns geht es um das Gesamte, darum, was eine Stadt leisten muss. Eine ganze Heerschar von Leuten redet doch nur über Nebenkriegsschauplätze.

Michael Klett: Ein so komplexes Projekt lässt sich gar nicht in seiner Gänze erfassen. Aber man muss auch mal Risiken eingehen.

"Stuttgart hat sich sehr positiv entwickelt"

Also grundsätzlich: Warum braucht Stuttgart so ein Projekt?

Thilo Rothacker: Städte sind dazu verurteilt, etwas zu wagen. In einer Stadt ist Leben. In einer Stadt fahren Autos. In einer Stadt herrscht ständiger Wandel. Wer das nicht will, der soll nach Oppelsbohm ziehen oder sonstwohin aufs Land.

Roland Schwarz: . . . und das Projekt gibt riesige städtebauliche Möglichkeiten. Neues zu schaffen, ist einfach eine Willensentscheidung. Der Wille, zu gestalten.

Kurt Weidemann: . . . aber wir leben in einer Zeit, die ohne Zeitgeist ist.

Was bisher auf dem Gelände von Stuttgart 21 passiert ist, weckt bei mir auch nicht wirklich schöne Visionen.

Michael Klett: Die kleine Bankenstadt, die ist so tot, das ist der Wahnsinn. Deshalb haben die Leute auch kein Vertrauen.

Roland Schwarz: Das stimmt. Aber anscheinend gibt es das Phänomen, dass sich nur wenige Menschen Gedanken über das Morgen machen. Wir werden die Früchte dieser Entwicklung sicher nicht ernten, aber nachfolgende Generationen. Städtebau ist immer für Morgen.

Thilo Rothacker: Und dagegen sein ist immer einfacher. Weil man die nächsten zwanzig Jahre immer Recht haben wird.

Kurt Weidemann (lacht): . . . ich habe keine zwanzig Jahre mehr . ..

Thilo Rothacker: . . . aber so lange wird gebaut, und das weckt natürlich wenig positive Emotionen.

Und trotzdem gibt's Optimismus?

Roland Schwarz: Ich denke, jede Veränderung birgt ein Risiko. Ich habe Stuttgart vor zwanzig Jahren verlassen und bin vor vier Jahren wieder hergezogen. Und ich habe deshalb sehr deutlich gesehen, wie sich die Stadt positiv entwickelt hat. Ich sehe das Positive!

Thilo Rothacker: Man müsste längst darüber diskutieren, was auf den neuen Flächen entstehen soll.

Roland Schwarz: Das ist genau das, was fehlt. Die Menschen beschäftigen sich nicht damit, wie man mit der Situation umgehen muss.

Warum finden die Gegner dann so einen großen Zulauf?

Michael Klett: Ich bin ja auch für den Erhalt der Seitenflügel! Das Problem ist, dass der Denkmalschutz sich immer wieder schrecklich aufführt, das erschreckt die Leute. Und so klammern sie sich an das Alte. Das ist urdeutsch. Nur keine Veränderung.

Kurt Weidemann: Die Grundhaltung ist immer Bewahrung.

Michael Klett: Ja, das muss man ganz kritisch sagen. Diese Haltung bedeutet, einfach seine Ruhe haben zu wollen.

Roland Schwarz: Das ist natürlich auch die grundsätzliche Schwierigkeit. Schauen Sie, der Fernsehturm war auch so ein Projekt. Alle waren dagegen. Heute ist er ein Wahrzeichen der Stadt.

Thilo Rothacker: Beim Empire State Building war es genauso, jetzt ist es das Wahrzeichen von New York. Da gibt es viele Analogien.

Roland Schwarz: Stuttgart ringt mit sich. Auf der einen Seite will es Provinzstadt sein, auf der anderen eine Weltstadt. Dabei ist Stuttgart einfach eine mittelgroße Großstadt . . .

Thilo Rothacker: . . . in der man trotzdem auch Urbanität zulassen muss.

"Man hat die Kreativen der Stadt nicht gefragt"

Warum verstehen das die Menschen der Stadt nicht?

Kurt Weidemann: Weil das nicht vermittelt worden ist, weil man dafür nicht die Kreativen der Stadt gefragt hat. Das ist ein echter Skandal! Weil nicht die Kreativen über ihre eigene Stadt sprechen, sondern andere.

Michael Klett: Genau, da holen sie einen Turner aus Berlin.

Kurt Weidemann: Da tragen wir den kreativsten Beitrag zur Weltausstellung in China bei und hier werden wir nicht gebraucht.

Inzwischen ist es nicht mehr Sebastian Turner aus Berlin, sondern eine Stuttgarter Agentur am Werk. Wird nun alles besser?

Roland Schwarz: Dazu kann ich leider nichts sagen, das ist ja meine Konkurrenz, das würde mir in jedem Fall falsch ausgelegt.

Thilo Rothacker: Und bei der Agentur wurde ja gleich das Türschild zerstört. . .

Und Sie wollen, dass dies bei Ihnen nicht passiert?

Thilo Rothacker: Wenn das passiert, trage ich das mit großer Fassung.

Grundsätzlich ist der positive Effekt des neuen Bahnhofs also nur schlecht vermittelt worden?

Roland Schwarz: Irgendwie schon. Das ist doch wahnsinnig interessant. Wir streiten hier um den Neubau eines Bahnhofs! Investitionen in einen Bahnhof müssten doch jeden Grünen jubeln lassen. Es sind ja auch die Grünen, die über Nachhaltigkeit so viel debattiert haben, eigentlich haben sie diesen Begriff überhaupt erst aufgebracht. Und dann berauben sie sich bei genau diesem Thema selber der Zukunft.

Kurt Weidemann: . . . Nachhaltigkeit ist ein blödes Wort.

Roland Schwarz: Trotzdem ist der Gedanke richtig und ein sehr progressiver. Man kann einen Baum fällen, muss aber neue Bäume pflanzen. Genau das ist Nachhaltigkeit, und genau das passiert bei Stuttgart 21. Wir pflanzen Bäume für künftige Generationen.

Michael Klett: Und da sehe ich den positiven Nutzen. Wenn das bisherige Gleisbett städtebaulich aufgewertet wird. Dann werden Bäume gepflanzt und Dächer begrünt. Das ist in der Bilanz einfach positiv.

Roland Schwarz: Wobei ich das natürlich total nachempfinden kann. Wenn man vor einem alten Baum steht und den anschaut, ist dieser Anblick natürlich eine total emotionale Ebene. Die rationale Ebene ist: Der alte Baum wird ersetzt durch zehn neue.

Thilo Rothacker: Wir wollten ja nicht die Details diskutieren, aber der Park wird eben größer.

Roland Schwarz: Und ich hätte sogar noch ein Stuttgart 22-Projekt. Befreit den Neckar!