Die Klassenzimmer sind dicht, es sind Sommerferien. Das heißt auch: Kraft tanken für wichtige Aufgaben. Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Dass wirklich jeder Schüler wieder Lesen, Schreiben und Rechnen lernt, ist das wichtigste Bildungsziel im Land. Das ist eine Herkulesaufgabe, denn die Leistungen vieler Schüler sind erschreckend, meint Bildungsexpertin Bärbel Krauß.

Lesen, schreiben, rechnen können muss jeder! Kein Mensch hätte sich noch zu Zeiten des ersten Pisa-Schocks um die Jahrtausendwende herum und schon gar nicht davor vorstellen können, dass diese Selbstverständlichkeit wieder zum ambitioniertesten Bildungsziel eines Industrielandes wie Baden-Württemberg werden würde. Und doch ist es so. Daran lässt die Leistungsbilanz der baden-württembergischen Schulen und der Bildungspolitik kurz vor dem Schuljahresende gar keine Zweifel. Die Vergleichsarbeiten, die in Baden-Württembergs Schulen regelmäßig geschrieben werden, liefern dafür viele Belege. Dass nahezu zwei Drittel der Fünftklässler die Grundrechenarten, die sie eigentlich in den ersten vier Schuljahren hätten lernen sollen, im gerade abgelaufenen Schuljahr nicht so sicher beherrscht haben, dass sie dem laufenden Unterricht in Mathe einfach so folgen konnten, ist dabei nur das grellste Schlaglicht auf die ganze Misere.

 

Fatale Leistungsschwäche

Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper hat es bei der Vorstellung der grün-schwarzen Schulreformen vor wenigen Tagen ehrlich eingeräumt: Auch kurz vor dem Ende der Schulzeit sind die Defizite bei den Grundfähigkeiten bei viel zu vielen Jugendlichen so groß, dass man von funktionalen Analphabeten sprechen kann.

Mit dieser Leistungsschwäche steht Baden-Württemberg in Deutschland nicht allein. Trotzdem fallen die Zeugnisse für die Schulen im Land zum Ende des Schuljahres wieder einmal richtig schlecht aus. So bitter es ist, dass die Defizite bei den Vergleichstests alle Jahre bestätigt werden und die Leistungen des Bildungssystems auch in diesem Schuljahr wieder nicht besser geworden sind, eines muss man festhalten: Gut, dass die Tests gemacht werden. Gut, dass die Landespolitik sich und die Schulen dem Stresstest, den die Veröffentlichung schlechter Ergebnisse immer darstellt, aussetzt. Gut, dass die Testergebnisse in den Schulen als Basis genutzt werden, um jedem Schüler jeweils die für ihn passende Lernunterstützung zu verschaffen. Denn darin liegt der einzige Schlüssel für Verbesserungen.

Schlechte Lernbedingungen

Vom Himmel gefallen sind die schlechten Leistungen der Schüler und der Schulen nicht. Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum die Bedingungen des Lernens und Lehrens in den vergangenen Jahrzehnten schlechter geworden sind: Die Übermacht der Internetmedien und deren Funktionsprinzipien führen zur Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne auch von Kindern – das verschlechtert die Bedingungen für Unterricht massiv. Die zunehmende Berufstätigkeit von Müttern hat zur Folge, dass Schulalltag und Bildungsfragen in vielen Familien weniger praktische Beachtung finden als es lange selbstverständlich war. Hinzu kommen die steigende Zahl von Kindern mit Migrationsgeschichte und unzureichenden Deutschkenntnissen, der seit Jahren vorherrschende und noch wachsende Lehrermangel und der ideologische Streit um das „richtige“ Schulsystem, der eine vernünftige Weiterentwicklung der Unterrichtsqualität im Land lange gelähmt und de facto vereitelt hat.

Noch mehr Einsatz ist gefragt

Dass die Landesregierung nach langer Untätigkeit Schulreformen beschlossen hat und mit der Sprachförderung an Kitas und Grundschulen, mit Unterrichtselementen zur Verbesserung der Grundfertigkeiten in Deutsch und Mathe in den frühen Klassen der weiterführenden Schulen und einer Stärkung der Gymnasien an den richtigen Stellen ansetzt, gehört zu den Lichtblicken des Schuljahrs. Vieles hätte man sich früher gewünscht, und schön wäre natürlich auch, wenn alles schneller umgesetzt würde. Aber Schulsysteme sind Tanker, umzusteuern erfordert Zeit und Geduld. Im neuen Schuljahr laufen die von der Landesregierung angestoßenen Reformen an, das bringt Stress und Unruhe an die Schulen und erschwert die Bedingungen für das Lehren und Lernen noch. Deshalb wird das große Ziel, dass wirklich jeder Schüler im Land im Lauf seiner Schulzeit Lesen, Schreiben und Rechnen lernt, ab Herbst noch mehr Anstrengung fordern – von Lehrern, von Eltern und von den Schülern. Aber wer es gut meint mit der jungen Generation, und wer die Anforderungen an das Bildungsniveau der Menschen im KI-Zeitalter ernst nimmt, der wird dazu kaum eine Alternative sehen.

Dennoch: Jetzt sind erst einmal Sommerferien. Schüler, Lehrer und Eltern brauchen Zeit zur Regeneration. Seele baumeln lassen, Kopf durchlüften, spielen, Spaß haben, entspannen und Kraft tanken. Im nächsten Schuljahr wird man die Reserven brauchen.