Eine Mitarbeiterin scannt mit einem Tablet QR-Codes an den Schussspulen einer Webmaschine. Auch in modernen Fabriken spielt der freie Datenfluss eine wichtige Rolle. Foto: dpa

Deutschland ist nicht eben ein Vorreiter der Digitalisierung in der Europäischen Union. Laut einer Studie gelten nur 35 Prozent der deutschen Unternehmen als digitalisiert. Andere EU-Länder sind viel weiter.

Brüssel - Der freie Fluss von Daten im Binnenmarkt der EU mit 500 Millionen Verbrauchern ist bislang nur ein Versprechen der Politik. Es fehlt an der Infrastruktur, aber auch in vielen Unternehmen hapert es. Laut Desi-Report, mit dem die Kommission die Digitalisierung in den Mitgliedstaaten abbildet, sind EU-weit nur 40 Prozent der Unternehmen in der Digitalisierung angekommen. Die Unterschiede sind gewaltig: Beim Spitzenreiter Finnland gelten 75 Prozent der Unternehmen als digitalisiert, in Dänemark sind es 65 Prozent, in den Niederlanden 60 Prozent. Deutschland liegt mit 35 Prozent im unteren Drittel, einige Plätze dahinter kommen nur noch die Schlusslichter Polen, Ungarn und Rumänien.

Nach der Europawahl im Mai endet auch das Mandat der Kommission. Wie gut hat die EU-Kommission ihren Job gemacht, den digitalen Binnenmarkt voranzubringen? Günther Oettinger war im Jahr 2014 gerade Digitalkommissar geworden, da ließ er die Strategie „Digitising European Industry“ entwickeln. Von 2016 bis 2020 stellt die Europäische Union dafür fünf Milliarden Euro bereit. Insgesamt soll die Strategie 50 Milliarden an Investitionen auslösen, da Mitgliedstaaten, Regionen und Industrie eingebunden sind und Eigenmittel mobilisieren.

Zentrale Hubs sollen Unternehmen Wissen vermitteln

Eine Säule des Programms besteht aus den insgesamt über 200 Informationszentren für Digitale Innovation, sogenannten Hubs, die EU-weit vorzugsweise bei Forschungsinstituten oder an technischen Universitäten aufgebaut werden und sich vor allem an kleine und mittlere Unternehmen richten. In Deutschland etwa gibt es 28 Hubs, die funktionstüchtig sind, 26 weitere befinden sich im Aufbau. Unternehmer können dort Schlüsseltechnologien in aller Ruhe testen. Es wird ihnen bei der Finanzierung von Investitionen geholfen. Experten erstellen mit ihnen Machbarkeitsstudien und Businesspläne. Hubs sind zudem der Ort für Mitarbeiterschulungen sowie Umschlagplatz für Informationen und Networking.

Die zweite Säule ist die Gesetzgebung. Die Kommission hat seit 2014 insgesamt 30 Gesetzgebungsvorschläge gemacht. Jetzt kurz vor den Europawahlen sind 28 abgeschlossen. Das heißt: Rat und Parlament haben sie abgesegnet. Im Wesentlichen ging es darum, die digitale Infrastruktur zu schaffen, etwa den neuen Mobilfunkstandard 5G. Unternehmen sollen besser vor Cyberkriminalität geschützt werden – etwa indem ein EU-weit operierendes Zertifizierungssystem aufgebaut wird, welche Produkte und Dienstleistungen als sicher einzustufen sind. Außerdem will die EU für den freien Fluss von nicht persönlichen Daten im Binnenmarkt sorgen. Früher gab es viele Beschränkungen der Mitgliedstaaten. Daten durften von Firmen etwa nicht im EU-Ausland gespeichert werden. Dadurch hatten Hersteller von Industrieprodukten hohe Zusatzkosten, weil Software für ihr Produkt und die Wartung häufig mehrfach zur Verfügung gestellt werden musste.

EU-Gesetze sind langwierig und müssen komplizierten Bedingungen genügen

Bis in Europa ein Vorschlag der Kommission Gesetz ist, vergehen schon einmal bis zu vier Jahre. Der Gesetzgebungsapparat ist langsam, was die Regulierung in einer sich rasant ändernden digitalen Welt vor besondere Herausforderungen stellt: Der EU-Gesetzgeber kann nur den Rahmen setzen. Eine Regulierung im Detail wäre schon wieder überholt, wenn sie in Kraft tritt. Zudem bewegt sich die Europäische Union nicht in einem abgeschotteten Raum: Die Kommission muss Lösungen finden, die für Betriebe auch weltweit funktionieren.

Wenn es Europa gelingen sollte, kluge ethische Spielregeln aufzustellen und taugliche technische Standards zu entwickeln, dann wäre dies eine gute Startvoraussetzung im Wettrennen um die Poleposition bei den digitalen Plattformen für Industrieunternehmen: Über sie können Betriebe untereinander Daten austauschen, sich technische Unterstützung holen und vorwettbewerblich forschen. Während die USA und China mit Google, Uber, Facebook und Alibaba im Geschäft mit Verbrauchern uneinholbar vorn liegen, ist die Sache beim Geschäft mit Firmenkunden noch nicht entschieden. Von 2018 bis 2020 stellt die EU allein 300 Million Euro zum Aufbau von Plattformen der nächsten Generation und Pilotverfahren zur Verfügung.

Die Digitalisierung betrifft in der EU mehrere Kommissare – zu kompliziert sagen Kritiker

Eine Herausforderung für die Kommission ist sicherlich, dass Digitalisierung eine Querschnittaufgabe ist: Drei Kommissare – für Justiz, Industrie und Digitales – sind im engeren Bereich betroffen und legen die politischen Vorgaben fest. In der Ebene darunter ist die Expertise der Beamten auf etliche Generaldirektionen (DG) aufgespalten.

Der Binnenmarktexperte der CDU-Abgeordneten im Europaparlament, Andreas Schwab, mahnt denn auch an, dass die nächste EU-Kommission stärker eine umfassende Strategie für die Industriepolitik Europas im Jahr 2030 im Blick hat und eine Politik aus einem Guss liefert: „Wir brauchen eine echte Harmonisierung. Also eine EU-Verordnung und nicht 27 nationale Gesetze, um den digitalen Binnenmarkt voranzutreiben.“ Das erfordere besser aufeinander abgestimmte Gesetzgebungsvorschläge. „Es ist entscheidend, dass die Kommission das erkennt und Anpassungen ihrer Strukturen vornimmt.“