Foto: Franziska Kraufmann

Dienst hinter Mauern. In Stammheim bewachen 120 Justizvollzugsbeamte 900 Häftlinge. Wir haben einen ganz normalen Tag im berühmtesten Gefängnis der Republik erlebt.

Stuttgart - Hinweise auf den Knast sucht man in Stammheim vergebens. Vorbei an Wohnhäusern, irgendwann ein Sackgassenschild. Graue Mauern türmen sich auf. Fünf Meter hoch. Stacheldraht, Scheinwerferlicht. Die Festung, der Mythos Stammheim.

Kurz vor sechs Uhr morgens, die Frühschicht beginnt. Die Außenmauer, einen Kilometer lang, ist an einer Stelle unterbrochen. Die Mitarbeiter nennen den Eingang "Blaues Wunder". Vollzugsbeamte kommen, grüßen die Kollegin im Wachhaus an der Mauer. Das blau gestrichene Tor öffnet sich. Erste Diensthandlung, die Beamten gehen zum Verwaltungsgebäude. Hier befindet sich der Schlüsselkasten mit 342 Fächern. Nr. 37 gehört Hans-Jürgen Joachim. Grauer Haarschopf, Vollbart, massiger Körper, tiefe Stimme, 58 Jahre alt. Typ gemütlicher Teddybär. "Der Schlüsselbund ist unser Arbeitsgerät, ohne den können wir nichts machen", sagt er. Je größer der Bund, desto höher der Rang. Auf den Schulterklappen von Joachims lindgrünem Rollkragenpulli sind vier Sterne aufgenäht. Als Oberinspektor besitzt er 20 fingergroße Schlüssel.

Vom ehemaligen Terroristentrakt im siebten Stock im Bau I bis zum Ausgang sind 13 Türen zu öffnen. Klick, klack. Man gewöhnt sich schnell an das Geräusch. Bei jeder zweiten Pforte summt die elektronische Sicherung. Im Erdgeschoss befindet sich die Kontrollzentrale. Zwei Beamte überwachen den Außenbereich auf 14 Bildschirmen. Wenn sie aus den Fenstern schauen, sehen sie den Neubau. Hier sitzen seit drei Jahren Gefangene ihre Haftstrafen ab. Zuvor waren in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stammheim nur Untersuchungshäftlinge untergebracht. Inzwischen sind zwei Drittel normale, sogenannte Strafhäftlinge. Von außen ist der Unterschied zum Altbau kaum zu erkennen. Der Bau passt sich ein in das Ensemble aus Beton und ein wenig Glas. Der Neubau soll dennoch freundlicher wirken. Im Treppenhaus hat jedes Stockwerk eine eigene Farbe. Blau, Rot, Orange, damit sich die Häftlinge orientieren können.

Im zweiten, dem roten Stock schiebt ein Gefangener den Frühstückswagen den Flur entlang. Die Vollzugsbeamtin Bianka Müller, 40, begleitet ihn. Sie öffnet eine Zellentür. Schweißgeruch. Zwei Männer verbringen die Nacht auf zwölf Quadratmetern bei geschlossenem Fenster. Die Häftlinge gehen zum Essenwagen, holen sich Brot, Wurst, Butter, Käse, Marmelade. "Breakfast international", sagt Volker Erath; mit Kollegin Müller ist der 40-jährige Vollzugsbeamte für die 32 Häftlinge auf dem Stockwerk zuständig. Zellennummer 13 fehlt, im Gefängnis herrscht Aberglaube. Wenn das Frühstück verteilt ist, geht's zur nächsten Zelle. In mancher läuft der Fernseher. An der Wand hängen Poster von nackten Frauen, daneben Kinderzeichnungen.