Tanja Weidmann hilft Isabel beim Puzzlen in der Schausteller-Kita. Foto: Peter-Michael Petsch

Während des Frühlingsfests kümmern sich ehrenamtliche Betreuer um die Kinder der Schausteller.

Stuttgart - Ein Leben auf dem Frühlingsfest: Das dürfte der Traum vieler Stuttgarter Kinder sein. Doch diejenigen, die dort wohnen und das Jahr über von Jahrmarkt zu Jahrmarkt reisen, sehnen sich stattdessen nach einem ruhigen Platz zum Spielen. In der Schausteller-Kita haben sie ihn gefunden.

Ungeduldig warten die Kinder, bis Kita-Leiterin Tanja Weidmann die Tür zum Haus im Veielbrunnenweg aufschließt. Dann stürmen sie los. Joanna (8) und ihre Schwester Ayleen (6) zieht es direkt in den kleinen Bastel- und Malraum. „Ich mach’ heute eine Nudelkette für dich“, sagt die blonde Joanna zu ihrer Schwester und macht sich an die Arbeit. Die beiden Mädchen kommen gerne in die Schausteller-Kita. Auch die dritte im Geschwisterbunde, die zweijährige Loreen, ist in diesem Jahr dabei.

Gebäude kostenlos

Seit Beginn des Frühlingsfests am 21. April treffen sich die Kinder der Schausteller jeden Tag um 14 Uhr an der Fußgängerunterführung, die den Wasen mit dem Stadtteil Veielbrunnen verbindet: Hier holen Tanja Weidmann und ihr Team sie ab. Die quirlige Rasselbande schlüpft durch den Tunnel, und schon ist sie in ihrem ganz eigenen Paradies: der Schausteller-Kita.

Das alte Eckhaus im Veielbrunnenweg, in dem die Kita untergebracht ist, gehört den Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB). Bis Anfang der 1990er Jahre war hier das Busdepot untergebracht, mit Verwaltungsräumen und Werkstatt. Später mieteten verschiedene Firmen das Haus. Heute steht es leer, die SSB stellen die großzügigen Räume im Erdgeschoss der Schausteller-Kinderbetreuung während des Frühlingsfests kostenlos zur Verfügung.

Genug Platz zum Spielen

Im Lauf dieser drei Wochen dürfen die Kinder täglich von 14 bis 18 Uhr kommen, an allen 23 Tagen.Beim Frühlingsfest öffnet der Wasen unter der Woche um 12 Uhr, „14 Uhr ist, nach dem Essen und dem Mittagsschlaf, deshalb perfekt für die Eltern“, sagt Weidmann, denn dann beginne der Ansturm auf die Buden und die Fahrgeschäfte. „Die Kinder kommen in dieser Zeit mal von ihren Wohnwagen weg, und sie haben hier genug Platz zum Spielen“, so Weidmann.

Die 40-Jährige ist Erzieherin in einem Kindergarten, doch seit über 15 Jahren arbeitet sie ehrenamtlich für die Schausteller-Kita. Früher wurde sie eigenverantwortlich von einem Diakon geführt, doch vor fünf Jahren stieg die Evangelische Gesamtkirchengemeinde Stuttgart als Trägerin der Kita ein und ernannte Tanja Weidmann zu deren Leiterin. Für die Schausteller-Kita bekommt Tanja Weidmann zehn Tage Sonderurlaub von ihrem Arbeitgeber – sechs weitere Tage nimmt sie zusätzlich privaten Urlaub. Die Kinder sind ihr das wert.

3,50 Euro am Tag kostet die Betreuung pro Kind. Dafür gibt es einen kleinen Nachmittagsimbiss und Säfte, Wasser und Tee, die jederzeit bereitstehen. Jedes Jahr zu Beginn des Frühlingsfests geht Tanja Weidmann über den Festplatz und stellt sich bei den Eltern vor. 29 Kinder zwischen zwei und zwölf Jahre stehen in diesem Jahr auf ihrer Liste. Wer aber tatsächlich kommt, weiß die Erzieherin erst um 14 Uhr eines jeden Tages. „Unter der Woche sind es weniger Kinder, meistens zwischen fünf und zehn“, sagt sie, weil die älteren zumeist in der Schule seien. Am Wochenende hingegen sorgen bis zu 25 Kinder für ein volles Haus.

Kinderbetreuung gibt es nicht in jeder Stadt

Die meisten Kinder kennen sich untereinander: Vom vergangenen Jahr oder von anderen Rummelplätzen. Manche haben sich schon beim Volksfest auf dem Wasen gesehen und mit den Nonnen der Aidlinger Schwesternschaft gespielt, die während der Wasen-Zeit die Schausteller-Kinder betreuen. Das gibt es für sie nicht in jeder Stadt. „Auf anderen Plätzen sind wir meistens im Wohnwagen und schauen fern oder spielen mit unseren Barbies“, erzählt Joanna. Von Januar bis Oktober sind die Eltern der Achtjährigen mit dem Fahrgeschäft Disco Fieber in ganz Deutschland unterwegs. Die restliche Zeit steht der Wohnwagen im Hof der Großeltern in Wiesbaden. „Hier ist auch meine feste Schule“, erklärt Joanna, die während der Schaustellersaison alle drei bis vier Wochen Wohnort und Schule wechselt.

Früher haben sich die Betreuer für jeden Tag ein Programm überlegt. Ausflüge in die Wilhelma oder auf den Bismarckturm zum Beispiel. Das haben sie aber schnell aufgegeben. „Wir haben gemerkt, dass die Kinder hier einfach nur in Ruhe spielen wollen“, sagt Weidmann. Action hätten sie auf den Rummelplätzen schließlich genug.

Altes SSB-Gebäude ist ein richtiges Schlaraffenland

Woran es ihnen aber oft fehle, seien Struktur im Alltag – und Spielsachen. Für Letzteres sei in den Wohnwagen einfach kein Platz. Die große Halle in dem alten Gebäude der SSB ist somit ein richtiges Schlaraffenland: Unzählige Spiele, Puzzel, Bauklötze und Bücher auf den Fensterbänken säumen den riesigen Raum. Auch toben, Seil springen und Pferd spielen können die Kinder hier. „Manchmal bauen wir auch eine Tischtennisplatte auf oder spielen Federball“, erzählt Joanna begeistert.

Viele Spielsachen wurden der Kita gespendet, andere haben die Betreuer dazu gekauft. Für die Lagerung der Sachen in der frühlingsfestfreien Zeit hat Tanja Weidmann extra eine Garage gemietet. „In meine passten die Sachen und mein Auto irgendwann nicht mehr gleichzeitig rein“, sagt sie lachend.

13 Betreuer arbeiten abwechselnd in der Kita

Je nachdem, wie es ihr persönlicher Tagesablauf zulässt, arbeiten 13 ehrenamtliche Betreuer abwechselnd in der Schausteller-Kita, drei bis vier Betreuer pro Tag. „Die Kinder genießen es, dass Erwachsene sich einmal Zeit für sie nehmen können“, so Weidmann. Seit 2008 besteht das Team aus einem festen Mitarbeiter-Stamm von fünf Leuten. Jedes Jahr ist die Schausteller-Kita auf der Suche nach weiteren Ehrenamtlichen, die sich während des Frühlingsfests mit den Kindern beschäftigen wollen.

Wer im kommenden Jahr als ehrenamtlicher Betreuer in der Schausteller-Kita auf dem Frühlingsfest mitarbeiten möchte, kann sich per Mail an die Leiterin Tanja Weidmann wenden. Die Adresse: weidmann.t@freenet.de.