Roland Kuch, der Vorsitzende des Obst- und Gartenbauvereins, inspiziert droben im Neidlinger Kirschenmuttergarten den Stand der Blüten. Foto: Ines Rudel

Mit Ausfällen zwischen zehn und 20 Prozent halten sich die Frostschäden der vergangenen Nächte in Grenzen. Die Freunde von Hochprozentigem können sich freuen. Bei den Obstbauern in Neidlingen und Weilheim gehen die Sorgen dennoch nicht aus.

Kreis Esslingen - Mit geübtem Schnitt per Daumennagel durchtrennen die beiden Männer etliche Blütenknospen. Lautet der Befund „Schwarz!“, dann ist, auf gut schwäbisch „Älles g’schwätzt“. Sprich: diese Blüte wird nie und nimmer zu einer saftigen Frucht heranreifen.

Wir sind oberhalb Neidlingens im Gewann Ried, dort, wo in dem vom Obst- und Gartenbauverein betreuten Kirschenmuttergarten über 200 Bäume mit knapp 50erlei Sorten in voller Blüte stehen. Beim Blick ins Tal zieht sich die weiße Pracht der Hochblüte entlang der Hänge in Richtung Hepsisau und bis rüber zum Reußenstein.

Das Neidlinger Kirschwässerle dürfte weiterhin fließen

Der Ausblick bietet also keinen Grund zur Schwarzseherei wie beim Knospentest. Doch Roland Kuch (53), Vorsitzender der Obst- und Gartenbaufreunde, und sein Vereinskollege Karl Burkhardt (60) sind es gewohnt, hinter den bloßen Augenschein zu gucken – schließlich ist den Kirschenanbauern im Oberen Lindachtal noch der frostbedingte Totalausfall von 2017 in bitterer Erinnerung. Und nach den zurückliegenden, fast schon frühsommerlichen Ostertagen mit „Top-Bienenflug“, so Karl Burkhardt, kam bereits in der Nacht auf Dienstag mit bis zu 3 Grad minus der erste Dämpfer. „Mehr darf nicht kommen!“ sagte sich Roland Kuch – der Wechsel auf Mittwoch nahm denn auch fast die Züge einer „Schicksalsnacht“ an. Mit durchschnittlich zwei Minusgraden blieb indes Väterchen Frost gnädig. Das Neidlinger Kirschwässerle dürfte somit auch weiterhin fließen.

Die Einschätzung, dass sich die frostbedingten Ausfälle bis dato zwischen zehn und 20 Prozent bewegen, teilt auch Karl Bölz, der Chef des Weilheimer Obst- und Gartenbauvereins. Mit 18 000 Kirschbäumen auf der Gesamtmarkung, also inklusive der Hepsisauer Fluren, rangiert man in der Zähringerstadt hinter den Neidlingern, deren Baumbestand mit rund 20 000 veranschlagt wird. „Wir sind knapp davongekommen!“ bringt Bölz die Frostmalaisen dieses Frühjahrs auf den Nenner. Spitzenreiter auf der Minusgrad-Skala sei erst jüngst wiederum das Gewann Äckerle gewesen; inmitten einer seit alters her berüchtigten Kaltluftschneise, so Karl Bölz, sei das Thermometer auf 5 Grad unter Null gerutscht.

Nicht nur die Witterung sorgt für Probleme

Dass es entlang des Albtraufs im prekären Zusammenspiel von Blütenpracht und Frostattacken bisher überhaupt so glimpflich abgegangen ist, ist indes allein dem Umstand zu verdanken, dass ausgangs März eine komplette Woche mit Minusgraden sich an den noch geschlossenen Knospen – bildlich gesprochen – die Zähne ausgebissen hat.

Außer der Witterung treiben die Obstbauern, und speziell die Kirschenanbauer, noch ganz andere Sorgen um. So verweist der Neidlinger Karl Burkhardt („Ich bin mit Kirschen groß geworden“) auf Pläne der Landesregierung, bis zum Jahr 2030 den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um 30 bis 50 Prozent zurückzufahren. Mit Blick etwa auf die Kirschfruchtfliege hat Burkhardt höchste Bedenken, sollte es soweit kommen, dann sei für ihn „der Kirschenanbau in unserer Gegend passé“.

Schon seit Jahren stelle man auch ein verändertes Kaufverhalten fest: „Wer heutzutage kein eigenes Kirschengsälz mehr macht, der kommt auch mit drei statt 30 Kilo Früchten aus.“