Bei seinem letzten Versuch, den WM-Gürtel zu holen, ist Firat Arslan (re.) gescheitert: Im Januar wurde er von WBO-Champion Marco Huck geschlagen Foto: Baumann

StN-Interview - Fritz Sdunek (67) ist der erfolgreichste Boxtrainer Deutschlands – und der neue Mann an der Seite von Firat Arslan: Der Cruisergewichtler aus Donzdorf fordert am 16. August in Erfurt IBF-Weltmeister Yoan Pablo Hernández heraus.

- Hallo Herr Sdunek, was halten Sie von der Rente mit 67?
Ich beziehe schon Rente, aber da kommt leider nicht viel.
Wir dachten bei der Frage eher an Ihr Alter: Sie sind 67 und arbeiten noch als Boxtrainer.
Aber das mache ich aus Leidenschaft, nicht des Geldes wegen (Sduneks Handy klingelt, er telefoniert kurz). Es war meine Bankberaterin: Das Finanzamt hat überwiesen (lacht).
Wie lange werden Sie noch in der Ecke stehen?
Ich habe gesundheitlich ja schon einiges hinter mir. Ich hatte Krebs und eine Herz-OP, habe zwei neue Hüftgelenke. Und da ich nun schon runderneuert bin, hoffe ich, dass ich noch eine Weile arbeiten kann.
Es gibt keinen genauen Zeitpunkt, an dem Schluss sein wird?
Nein. Wenn ich zwei Wochen am Stück zu Hause in Hamburg bin, fällt mir die Decke auf den Kopf. Ich werde folglich arbeiten, solange ich die Sportler fordern und fördern kann und sie Vertrauen zu mir haben. Wer rastet, der rostet.
Firat Arslan besitzt dieses Vertrauen, sonst hätte er Sie nicht für seinen WM-Kampf gegen Yoan Pablo Hernández verpflichtet. Wie lief die Kontaktaufnahme?
Vor ein paar Wochen fragte er mich in Schwerin, ob er mal mit mir reden könne. Dann hat er mich gebeten, ihm in der Vorbereitung auf den Kampf zu helfen und ihn im Kampf zu coachen. Er weiß, dass es seine letzte Chance ist, noch einmal Weltmeister zu werden. Deshalb will er alles probieren.
Und?
Ich habe zugesagt.
Warum?
Weil es menschlich passt. Und weil ich an Firat Arslan glaube.
Sie sind nun seit einer guten Woche in Donzdorf. Glauben Sie immer noch an ihn?
Jetzt noch mehr. Vor unserer ersten Einheit bin ich extra nachts um 3 Uhr in Hamburg losgefahren, um pünktlich zum Laktattest vor Ort zu sein. Das Ergebnis war wie erwartet: Firat Arslan ist konditionell in einer Topverfassung.
Firat Arslan wird im September 44 Jahre alt. Was können Sie ihm denn noch beibringen?
Er wird sicher kein Boxästhet mehr, und ich werde auch keinen Techniker aus ihm machen können. Aber er ist ein Kämpfer mit einem unbändigen Willen und der Fitness eines 30-Jährigen. Seine Ehrlichkeit und sein Charakter zeichnen ihn aus: Ich habe selten einen Boxer gesehen, der seinen Job mit so viel Einsatz und Akribie macht. Er ist ein Ausnahmeathlet.
Sie haben die Frage nicht beantwortet.
Wir sind vor dem Kampf insgesamt vier Wochen zusammen. Da kann man taktisch und strategisch schon einiges herauskitzeln. Und auch koordinativ versuchen wir, Dinge zu verbessern. Konkreter will ich nicht werden, aber Sie können sicher sein: Man wird im Ring sehen, dass wir gemeinsam gearbeitet haben. Wir werden Hernández überraschen. Und meinen alten Freund Ulli auch.
Ulli Wegner und Sie sind die beiden Startrainer des deutschen Boxens. Kann es da tatsächlich eine echte Freundschaft geben?
Ja. Wir waren schon zu DDR-Zeiten bei Trainer-Lehrgängen gemeinsam auf dem Zimmer. Wir haben regelmäßig Kontakt, spenden uns auch Trost nach Niederlagen.
Wie steht es in den direkten Duellen?
Fünfmal haben Boxer von uns gegeneinander gekämpft. Aus meiner Sicht gab es einen Sieg, ein umstrittenes Remis und drei Niederlagen. Höchste Zeit also, um die Bilanz aufzupolieren.
Wer ist der bessere Trainer?
Das kann ich nicht beurteilen, und es ist mir auch egal – am Ende zählen nur die Resultate. Ich habe 14 Boxer trainiert, die unter mir Weltmeister geworden sind, stand in 122 WM-Kämpfen in der Ecke . Ich glaube nicht, dass es noch einen Trainer gibt, der auf ähnliche Zahlen kommt.
Was zeichnet einen guten Trainer aus?
Fachwissen über Trainingsmethodik, Leistungsdiagnostik und Ernährung. Der Drang, sich immer weiterentwickeln zu wollen und dafür auch Trainern anderer Sportarten über die Schulter zu schauen und sich mit ihnen auszutauschen. Ein absolutes Vertrauensverhältnis zu den Athleten. Und ein Boxtrainer muss auch im entscheidenden Moment das Handtuch werfen können.
Wie oft kam das bei Ihnen vor?
Vielleicht vier- oder fünfmal. Ich spüre das Herz meiner Boxer. Wenn es nicht mehr geht, dann muss ich sie schützen.
Den Austausch unter Trainern haben Sie schon zu DDR-Zeiten gepflegt. Ging es dabei auch um Doping?
Es wurde darüber gesprochen, aber ich habe es nicht angewendet. Doping ist im Boxen extrem gefährlich: Wer sich aufputscht, der nimmt zu viele harte Schläge. Zudem ist Doping oft mit mehr Muskelmasse und damit einer Gewichtszunahme verbunden. Das kann im Boxen kontraproduktiv sein.
Zurück zu Firat Arslan. Er kämpft um seine letzte WM-Chance. Besteht die Gefahr, dass er sich selbst zu sehr unter Druck setzt?
Nein, damit kommt er klar. Er ist psychisch sehr stark. Und er weiß, dass er mit seiner enormen Physis jeden zermürben kann.
Auch Yoan Pablo Hernández?
Definitiv. Ich habe im November mit Alexander Alexejew gegen ihn geboxt, hatte ihn am Rande einer Niederlage. Ich habe Hernández damals sehr genau studiert.
Mit welchen Erkenntnissen?
Er kämpft typisch kubanisch: variabel, technisch gut, schlagstark. Boxerisch ist er einer der Stärksten im Cruisergewicht.
Aber?
Er hat in den letzten Kämpfen nicht voll überzeugt. Und die Art von Firat Arslan, der immer voll auf Angriff boxt, passt ihm nicht. Außerdem haben wir in Ex-Weltmeister Juan Carlos Gómez einen extrem starken Sparringspartner verpflichtet – Firat Arslan wird optimal vorbereitet sein.
Wenn er sich den WM-Titel holt, bleiben Sie dann sein Trainer?
Zeit und Lust hätte ich. Und dass ich ein gutes Händchen für ältere Boxer besitze, das habe ich ja schon bewiesen.
Vor allem bei Vitali Klitschko. Haben Sie noch Kontakt zu ihm?
Ja, zuletzt am 19. Juli. Ich habe ihm telefonisch zu seinem 43. Geburtstag gratuliert, er mir zu meinem 40. Hochzeitstag. Er sagt immer noch „Papa Fritz“ zu mir.
Wie geht es ihm?
Er hat als Bürgermeister von Kiew einen sehr anstrengenden und gefährlichen Job, während der Proteste auf dem Maidan konnte er nicht ohne schusssichere Weste auf die Straße gehen. Die Politik fordert ihn voll, und es tut ihm unendlich leid, dass in der Ukraine alles aus dem Ruder gelaufen ist. Ich aber sage: Wenn er es nicht schafft, dann schafft es keiner. Denn mit dem Einsatz, Willen und Können, mit dem er Weltmeister im Boxen wurde, kämpft er nun in der Politik. Das ist seine neue Lebensaufgabe. Für mich ist er ein Jahrhundert-Mensch, das beweist er nun auf eine neue Art und Weise.
Eine Rückkehr in den Ring ist ausgeschlossen?
Dieses Kapitel ist erledigt. Vitali hätte zwar 2013 gerne einen Abschiedskampf gemacht, doch das ist Geschichte. Und die Lage in der Ukraine zeigt ja   auch , dass es wichtigere Dinge im Leben gibt als Sport.