Ob William Forsythe, Jirí Kylián, Uwe Scholz, John Neumeier oder in jüngerer Zeit Christian Spuck und Marco Goecke – sie alle verdanken ihre ersten Schritte als Choreografen der Förderung durch die 1958 von Fritz Höver gegründete Noverre-Gesellschaft. Am Dienstag ist Höver im Alter von 93 Jahren gestorben.
Fritz Höver ist tot. „Das kann nicht sein“. Reid Anderson, Intendant des Stuttgarter Balletts, drückt in einer ersten Reaktion am Dienstagnachmittag aus, was die Nachricht bedeutet: Eine Tanzwelt ohne Fritz Höver „ist einfach nicht vorstellbar“, sagt Anderson. Und doch bestätigt Rainer Woishyk, Hövers Nachfolger an der Noverre-Spitze, die für Anderson „unfassbare Nachricht“.
Mit der Förderung durch die Noverre-Gesellschaft verbinden sich internationale Erfolge von Choreografen und späteren Ballettdirektoren wie William Forsythe, Jirí Kylián, Uwe Scholz, John Neumeier oder aus der jüngeren Generation Christian Spuck, Marco Goecke, Bridget Breiner und Demis Volpi.
„Ohne die unermüdliche Arbeit von Fritz Höver“, sagt Anderson am Dienstag unserer Zeitung weiter, „würde es die europäische Tanzwelt in dieser Form nicht geben. Sein Tod ist ein unfassbarer Verlust für die gesamte Tanzwelt.“ Vor allem verbinden sich mit der so engagierten wie liebenswürdigen Persönlichkeit und dem Wirken von Fritz Höver die zahllosen Fäden. die Stuttgart mit Ballettbühnen in Deutschland und in aller Welt verbinden.
"Man kommt nicht an Stuttgart vorbei"
„Man kommt in Deutschland beim Tanz an Stuttgart nicht vorbei“, sagte denn auch einmal Ulrich Roehm, der Vorsitzende des Berufsverbands der Tanzpädagogik, als der Deutsche Tanzpreis auf ein Neues nach Stuttgart wanderte.
Dass die Strahlkraft des hiesigen Ballettstandorts auch lange nach dem Tod von John Cranko ungebrochen ist, hat auch mit Fritz Höver zu tun: Er wusste, dass choreografisches Talent einen sicheren Rahmen braucht, um nicht nur entdeckt, sondern auch gefördert zu werden und sich entwickeln zu können. Diese Arbeit leistet die von ihm gegründete Noverre-Gesellschaft bis heute. Und zu Recht darf Höver zeitlebens stolz darauf sein, im Lauf der Jahre Künstlern eine erste Chance geboten zu haben, die später Ballettgeschichte schreiben sollten. Im Jahr 2000 erhielt er selbst für diese Förderarbeit den Deutschen Tanzpreis.
Von William Forsythe, Jirí Kylián, Uwe Scholz und John Neumeier reicht die Liste der von Höver und seiner Noverre-Gesellschaft Geförderten bis hin zu Christian Spuck und Marco Goecke. Und längst ist die Namensliste selbst auch eine Verbeugung vor dem Einsatz Hövers, der bis ins hohe Alter alles unternimmt, um keine wichtige Vorstellung in Stuttgart auszulassen.
Höver und ein Auftritt des Stuttgarter Balletts – für Jahrzehnte gehört dies zusammen, und immer ist Höver dabei die Entdeckerfreude anzumerken. Allein seine Präsenz markiert schon den Anspruch auf buchstäblich immer neue (Tanz-)Schritte in die Zukunft.
Höver und Cranko: die Chemie stimmte
Heute ist nur schwer vorstellbar, dass in der Ballettstadt Stuttgart das Publikum einst Nachhilfe in Sachen Tanz benötigte. Doch unter Crankos Vorgänger Nicholas Beriozoff mochte sich das Publikum nicht so recht mit dem Bühnentanz anfreunden. Höver, ebenfalls ein Zugereister, wollte sich damit nicht abfinden. Er hatte die Idee, mit seiner Ballettbegeisterung möglichst viele zu infizieren, und gründete mit Gleichgesinnten am 5. Mai 1958 die Noverre-Gesellschaft. Namenspatron war jener berühmte Choreograf, der 200 Jahre zuvor am Hof von Carl Eugen Ballettgeschichte geschrieben hatte.
Die Lehrstunden, die ein sachkundiges Publikum heranbildeten, waren bald überflüssig, die Noverre-Gesellschaft wandelte sich zum Forum für den Choreografen-Nachwuchs, das sie bis heute geblieben ist, und unterstützt das Stuttgarter Ballett auf vielfältige Weise. So wurde 1969 die erste USA-Tournee, welche die Kompanie zum Ballettwunder adeln sollte, auch möglich, weil Mitglieder der Noverre-Gesellschaft privat mitreisten und das gecharterte Flugzeug füllten.
Wer sich mit Fritz Höver unterhielt, konnte tief eintauchen in die Geschichte des Stuttgarter Balletts. „John Crankos überaus herzliche, menschliche Art und sein Humor, der sehr skurril sein konnte, haben mich sofort für ihn eingenommen“, erinnerte sich Fritz Höver einmal an die ersten Schritte des Choreografen in Stuttgart. „Zwischen uns stimmte die Chemie einfach. Ich hatte ihn in London kennengelernt; und 1960, als er in Stuttgart seinen ,Pagodenprinz’ einstudieren sollte, klingelte er, bevor er ins Theater fuhr, bei mir und wollte alles über die Noverre-Gesellschaft und die Kompanie wissen.“
"Tänzer werden, wäre mit meiner Familie nie gegangen“
Die Zusammenarbeit zwischen der Noverre-Gesellschaft und John Cranko machte durch Hövers Engagement aus vielen Menschen in Stuttgart Ballettfans. Vielleicht ging für Höver damals auch ein Kindheitstraum in Erfüllung? Am 27. November 1921 in eine gutbürgerliche Familie im rheinischen Euskirchen geboren, faszinierte ihn die Welt des Theaters bereits früh.
Als er sein erstes Ballett sah, war für ihn klar: Das ist es. „Aber Tänzer werden, das wäre mit meiner Familie nie gegangen“, erzählte er einmal, „bei uns war es üblich, dass man studierte und einen Doktor machte, entweder jur., med. oder phil.“ Er musste die Schule beenden, wurde sechs Tage nach dem Abitur zur Wehrmacht eingezogen und verlor zwei Jahre später in Russland ein Bein.
Die Noverre-Gesellschaft, die er bis 2004 ehrenamtlich leitete, erlaubte es ihm, seinen Traum doch zu leben. „Fritz Höver denkt Ballett, redet Ballett, handelt Ballett“, schrieb der Kritiker Bernd Krause über ihn.
Wie nimmt man von Fritz Höver Abschied?
Und Christian Spuck, unter Reid Anderson zum Hauschoreograf des Stuttgarter Balletts avanciert und inzwischen selbst Ballettdirektor in Zürich, betonte stellvertretend für die erfolgreiche Riege derer, denen Höver erste Stücke ermöglichte: „Wer weiß, wo ich heute ohne diese Förderung stehen würde. Die Noverre-Gesellschaft hat mir Tür und Tor geöffnet, das war damals für mich eine große Chance.“
Die Bande, die Höver knüpfte, waren im besten Sinn nachhaltig gedacht. Der Ermöglicher behielt jene, die er fördern konnte, über viele Jahre, ja, über Jahrzehnte, im Auge, beobachtete die weitere Entwicklung.
Fritz Höver ist tot. Seit Jahren kämpfte er darum, weiter dem Ballett zur Seite stehen zu können, weiter Impulse geben zu können. Mit unvergesslicher Präsenz prägte er auch nur noch knappe Dialoge, überraschte dabei immer wieder mit einem entwaffnenden Interesse.
Wie nimmt man von Fritz Höver Abschied? Am 23. April wird sich die Ballettwelt verneigen – bei der Trauerfeier um 13 Uhr auf dem Benckendorff-Friedhof in Stuttgart-Heslach, unweit des Wohnsitzes, mit dem sich so unendlich viele Impulse für die Weiterentwicklung des Tanzes verbinden. Es sagt sich leicht, und doch ist es richtig: Die Ballettwelt trauert.