Fürs Foto, sagt Friseur Oliver Klam, steigen wir in die Ammer, die direkt an seinem Salon in Tübingen vorbeifließt. Foto: Klaus Franke

Wo kann man sich besser mit einem Friseur über haarige Themen unterhalten als auf dem Friseurstuhl? Umso besser, wenn der Mann zudem noch Beauty-Experte und Entertainer ist.

Stuttgart - Seine tägliche Bühne ist der Friseursalon. Aber inzwischen hat der Tübinger Friseur , Buchautor und Entertainer Oliver Klam auch ein echtes Unterhaltungsprogramm.

Maestro Klam, ran an die Schere! Sie haben bei mir freie Hand.
Mal schauen, was ich da bei Ihnen noch rausholen kann. Also ich finde den lockigen Heckspoiler nicht so gut, weil Ihr Haar oben nicht mehr so füllig ist.
Sagen Sie ruhig die ungeschönte Wahrheit, ich kann’s ertragen.
Mach ich sowieso. Also gut, bei den Augenbrauen müssen wir natürlich auch etwas machen. Wenn ich die Deckhaare oben etwas länger lasse, können Sie sich vor Frauen kaum noch retten.
Ich bitte darum. Und bitte die Haare in den Ohren nicht vergessen.
Das ist eine Selbstverständlichkeit.
Habe ich auch schon anders erlebt.
Klar, ein Friseur, der in zehn Minuten fertig sein will oder muss, kann sich darum nicht kümmern. Bei uns zahlen Sie etwas mehr. Dafür bekommen Sie auch einen Kaffee, eine Zeitung, eine Kopfmassage, eine Fönfrisur . . .
Kommen eigentlich oft Kunden so wie ich, die sagen: „Sie haben freie Hand?“ Oder haben die Leute konkrete Vorstellungen?
Natürlich ist jeder in seinem Kopf und in seinem Körper gefangen – aber man sollte die Einflüsse von außen nicht unterschätzen. Gerade in unserer Social-Media-Welt kommen oft junge Leute mit dem Smartphone und zeigen mir ein Foto, wie sie es haben wollen. Ein junges Mädchen hat keine Locken, aber schönes Haar – und sie zeigt mir ein Model mit Lockenhaar.
Und dann bekommt sie wider Ihre Überzeugung eine Lockenfriseur?
Nein, natürlich nicht. Ich habe genug Fingerspitzengefühl, dass die Kunden hinterher eine Frisur haben, mit der ich auch leben kann. Als extrovertierter Typ habe ich schon Möglichkeiten, auf die Leute einzuwirken.
Den Spruch mit dem Heckspoiler kann man nicht bei jedem bringen, oder?
Kann man nicht, sollte man aber nach Möglichkeiten trotzdem tun. Man sollte keine andere Person spielen. Im Zweifel sagt der Kunde, der es lieber zurückhaltend mag: „Na ja, das ist mein Friseur, der ist halt ein bissle durchgeknallt.“
Wird jeder Kunde beim Schneiden zugetextet?
Natürlich nicht. Ob das einer will, weiß man nach zwei Sätzen. Kurze Bemerkung zum Wetter oder die Frage, woher jemand kommt. Wenn der Kunde nicht reagiert, weiß ich, dass er seine Ruhe haben will. Und die bekommt er dann auch.
Meine Kolleginnen haben mir folgende Frage aufgetragen: Warum verlangt der Friseur bei Frauen mehr als bei Männern?
Ganz einfach, weil Frauen mehr nerven. Nein, ohne Quatsch, die Richtlinie ist ganz einfach: In der Regel brauchst du für einen Herren eine halbe bis eine Dreiviertelstunde. Für eine Frau brauchst du eine Dreiviertelstunde bis eine Stunde. Dahinter stecken also rein betriebswirtschaftliche Überlegungen.
Und man bekommt fürs Geld auch ein vertrauensvolles Gespräch.
Klar, das Klischee stimmt tatsächlich, dass viele Leute beim Friseur ihr Herz ausschütten. Da erfährst du mitunter Dinge, die nicht mal der Partner des Kunden oder der Kundin weiß. Es kann also nicht schaden, wenn du in dem Beruf das Herz auf den Lippen hast.
Nun haben Sie unlängst ein Buch veröffentlicht: „Haarige Geschichten“. Untertitel: „Das wahre Leben im Friseursalon“. Gab es Beschwerden von Kunden, die sich darin wiedergefunden haben?
Nein, überhaupt nicht. Das Buch spielt ja nicht in Tübingen, sondern in der schwäbischen Provinz. Und der Friseur heißt René und nicht Oliver.
Aber die eine oder andere Erfahrung von Oliver wird doch eingeflossen sein.
Sagen wir mal so: Das ist wie bei einem Kuchen, der gegessen wurde. Ein paar Krümel bleiben immer übrig. Diese Krümel habe ich gewissermaßen zu einem Buch verarbeitet. Klar hatte ich wie im Buch mal einen Kunden aus dem Rotlichtmilieu. Aber der hatte nicht seine Frau dabei, die in gebührendem Abstand warten musste. Und der fragte mich auch nicht beim Haareschneiden, ob ich für ihn Frischfleisch hätte.
Sie sind ein viel beschäftigter Mann. Wann haben Sie das Buch geschrieben?
Nach Feierabend. Und montags. Oder wenn mir halt wieder eine Story einfiel. Neulich kam eine Frau in den Laden. Sie war jung, blond, sah gut aus und fragte: „Entschuldigung, ist das ein Friseursalon?“ „Nein“, sagte ich, „das ist ein Bäcker. Was wünschen Sie denn für ein Brot?“ So eine Szene ist wie ein Elfmeter, den du selbstverständlich verwandeln musst. Die Szene wird sicher irgendwann in einem Text von mir auftauchen, aber sie reicht natürlich nicht, um eine ganze Geschichte zu tragen.
Also doch Szenen aus dem wahren Leben?
Manche Erlebnisse sind so gut, die musst du verarbeiten. Auch die Frau, die die Ampullen fürs Haar geschluckt hat, anstatt das Zeug in die Kopfhaut einzumassieren, gab es wirklich. So was kannst du nicht erfinden.
Wann wussten Sie, dass Sie Friseur werden wollen?
Im Grunde kam ich als Friseur auf die Welt.
Mit Schere in der Hand.
Genau. Schon als Teenager habe ich allen die Haare geschnitten. Deshalb war auch jedem klar: „Der Oli wird Friseur.“ Also habe ich eine Lehre gemacht und bin nun schon seit rund 30 Jahren der Meister der Entspannungswerte. (Er singt) „Ich bin Friseur, Coiffeur, Barbier am Klavier.“
Und wann haben Sie entdeckt, dass Ihnen der Salon als Bühne nicht mehr reicht?
Ich habe auch schon immer Songs geschrieben und Musik gemacht. (Er singt) „Ich bin ein Meister der Entspannungswerte, ein absoluter Beauty-Experte.“ Schon früh habe ich an Frisuren-Shows teilgenommen. Ich war Landessieger und Stylist of the Year. Und jetzt bin ich der Barbier am Klavier, parodiere Songs von Maffay und Grönemeyer, erzähle Geschichten aus meinem Alltag. Und ich bringe Charaktere aus meinem Buch wie den Rotlicht-Peter und Irina Petroschenko.
Der Haarkünstler als Rampensau?
Das kann man so sagen. Als Teilnehmer an Friseurwettbewerben war ich es gewohnt, auf der Bühne zu arbeiten. Im Moment bin ich aber dabei, das Ganze auf eine professionellere Ebene zu heben. Im Herbst starte ich meine zweite Salontour, ich werde in Friseursalons in circa 20 Städten in Österreich, Deutschland und in der Schweiz auftreten.
Wie lässt sich das mit dem Friseurgeschäft vereinbaren?
Entertainment ist mein Hobby, das ich im Wesentlichen am Wochenende betreibe.
Lassen Sie meine Koteletten eigentlich stehen?
Ja, aber ich mach sie etwas dünner.
Sie wirken unheimlich beweglich, wenn Sie mit Ihrer Schere um einen herumturnen. Haben Sie nach all den Jahren eigentlich keine Rückenprobleme?
Nein, ich mache Sport, fahre mit dem Rad in den Salon, spiele Fußball, Volleyball, Golf, mache Liegestützen. Im Grunde gilt das für alle Berufe: Du musst einen Ausgleich zu deiner Arbeit finden.
Ich finde das verblüffend: Reden und Haareschneiden geht bei Ihnen Hand in Hand.
Das ist überhaupt kein Problem. Haareschneiden kriege ich immer hin. Das ist bei mir implantiert. Wenn erst mal eine Idee da ist, läuft der Rest wie von selbst.

Oliver Klam redet im Video über sein neues Buch „Haarige Geschichten“.