Voller Emotionen am Spielfeldrand: Der neue Frisch-Auf-Trainer Rolf Brack. Foto: Pressefoto Baumann

Andere in seinem Alter bereiten sich auf die Rente vor, Rolf Brack geht mit 63 Jahren in die Vollen: Der Sportwissenschaftler möchte Handball-Bundesligist Göppingen aus der Krise führen.

Göppingen - Andere in seinem Alter bereiten sich auf die Rente vor, Rolf Brack geht mit 63 Jahren in die Vollen: Der Sportwissenschaftler aus Scharnhausen möchte als neuer Trainer den Handball-Bundesligisten Frisch Auf Göppingen aus der Krise führen und mittelfristig vorne angreifen – mit innovativen Impulsen.

Herr Brack, wie überrascht waren Sie, als Sie am Montag der Anruf von Frisch-Auf-Geschäftsführer Gerd Hofele erreichte?
Ehrlich gesagt gar nicht so sehr. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass aufgrund der schlechten sportlichen Entwicklung in Göppingen etwas passieren wird . . .
. . . und Sie der Retter in der Not sein sollen?
Irgendwo war es schon naheliegend. Ich habe in der vergangenen 30 Jahren in der Region erfolgreiche Spuren hinterlassen. Zudem wohne ich keine 35 Kilometer von der EWS-Arena entfernt, und es gibt ja auch sehr enge persönliche Verbindungen.
Vor allem zum Geschäftsführer.
Ich saß mit Gerd Hofele zehn Jahre lang an der Universität Stuttgart im selben Büro. Auch sein Stellvertreter Peter Kühnle hat bei mir studiert. Und zu Athletiktrainer Dieter Bubeck besteht über die Uni ein seit Jahren gewachsenes Vertrauensverhältnis.
Wie können Sie Ihren Beruf an der Uni künftig mit dem Traineramt vereinbaren?
Da werden wir eine Lösung finden. Durch den Theorie-Praxis-Transfer besteht hier eine Win-win-Situation für die Uni und den Verein. Zudem werden die Vormittagseinheiten in Göppingen mit den Schwerpunkten Prävention, Koordination, Kondition und Physiotherapie von unseren Spezialisten geleitet.
Mussten Sie vor Ihrer Zusage Hürden aus dem Weg räumen?
Vor allem die persönliche. Ich befand mich nach dem Ende meiner Trainertätigkeit in Balingen im Dezember 2013 in einer sehr positiv ausgeprägten Komfortzone mit ausreichend Zeit für Familie und Freizeit. Am Dienstag musste ich schnell zwei geplante Angeltrips an die Rems und nach Slowenien absagen, genauso einen Ski-Urlaub.
Andere bereiten sich auf die Rente vor, Sie gehen mit 63 in die Vollen. Warum?
Das liegt an meiner Mentalität. Ich werde zwar als Handball-Professor bezeichnet, doch ich bin ein adrenalinorientierter Spielertyp – schon von frühester Jugend an.
Sie brauchen den Kick.
Im Profi-Spitzensport in vollen Hallen an vorderster Front, Woche für Woche auf dem Prüfstand zu stehen, das hat schon was. Zumal ich noch nie so gute Rahmenbedingung vorfand, wie jetzt bei Frisch Auf . Ich war sofort Feuer und Flamme.
Jetzt können Sie erstmals beweisen ...
...dass ich nicht nur mit Low-budget-Teams in der Außenseiterrolle erfolgreich sein kann, sondern mit dem amtierenden EHF-Pokalsieger. Ich weiß schon, dass das etwas anderes ist, aber genau darauf freue ich mich riesig. Ich möchte zeigen, dass man auch im reiferen Alter mit einer anderen Herangehensweise signifikante Leistungssteigerungen herbeiführen kann.
Was wollen Sie konkret ändern?
In der Trainings- und Spielsteuerung gibt es noch sehr viele innovative wissenschaftliche Reserven. Grundsätzlich geht es darum, dem Team eine neue Erfolgsphilosophie zu vermitteln.
Die da wäre?
Das bezieht sich zum einen auf die Tempoerhöhung im Umschaltspiel und zum zweiten auf eine verbesserte Variabilität in den Abwehr- und Angriffsystemen. Zudem wollen wir über mehr positive Emotionalität eine Mentaliätsverbesserung erreichen.
Zu Ihrer Philosophie gehört, dass Ihre Teams möglichst aus der Nahdistanz zu Toren kommen sollen, das Göppinger Spiel ist seit Jahren rückraumorientiert. Wie wollen Sie mit dem Kader erfolgreich sein, den nicht Sie zusammengestellt haben?
Mit dem Kiss-Prinzip, die Abkürzung steht für „keep it simple, stupid“. Frei übersetzt: weniger ist mehr. Oder anders ausgedrückt: Sich auf wenige Dinge konzentrieren und diese durch Wiederholungen perfektionieren.
Wie lange dauert dies?
Wir spielen ja schon am Sonntag beim TV Hüttenberg. Diese Mannschaft kenne ich aus Zweitligazeiten so gut wie wenig andere. Die nur vier Trainingseinheiten reichen hoffentlich, dass mein Matchplan umgesetzt wird. Die Perfektionierung kann grundsätzlich bis Saisonende dauern.
Dann läuft Ihr Vertrag aus.
Der Verein und ich schauen wie sich bis zum Januar alles entwickelt, dann sind wir alle schlauer. Vielleicht rücke ich ja mal in die Sportdirektoren-Rolle wie sie Ralf Rangnick bei RB Leipzig ausfüllt oder in ähnlicher Form Hans Meyer in Gladbach.
Fürchten Sie, dass Ressentiments aus Ihrer Zeit als Trainer der SG Göppingen/Scharnhausen 1994 bis 1996 hochkommen?
Aus meiner Sicht waren das zwei erfolgreiche Jahre. Das Grundproblem war, dass die Frisch-Auf-Fans die Fusion ihres Traditionsclubs mit einem Dorfclub nicht akzeptierten. Auch ich habe damals Fehler gemacht, die mir heute nicht mehr passieren würden. In unserer prekären Lage brauche wir jetzt die Unterstützung mehr denn je.
Ist nach den mageren 4:6 Punkten das Saisonziel Platz sechs noch realistisch?
Positiv ist: Der THW Kiel hat auch schon sechs Minuspunkte (lacht). Im Ernst: Es wäre nicht seriös, nach gerade mal einer Trainingseinheit vom Gesamtziel zu reden. Ich möchte jeden einzelnen Spieler und damit die Mannschaft besser machen.
Sie sind ein Mann mit Visionen. Welche haben Sie?
Auch für die Tätigkeit bei Frisch Auf gilt: Keine Motivation ohne Visionen. Wir wollen ins erste Drittel reinkommen und dort auch nicht Tabellenletzter werden.