Schlüsselspieler im Frisch-Auf-Rückraum: Zarko Sesum Foto: Baumann

Eine Messerstecherei, in die er unverschuldet gerät, ein Münzwurf in sein Auge und Verletzungen verhindern einen möglichen Aufstieg zum Weltstar. Doch auch so ist der Handballer Zarko Sesum von Frisch Auf Göppingen vor dem Bundesliga-Spitzenspiel bei den Rhein-Neckar Löwen mit sich und seiner Karriere im Reinen. Er hat alle Rückschläge weggesteckt.

Göppingen - Der Lebenslauf von Zarko Sesum (28) bringt es mit sich: Er genießt jeden Moment. Vor allem außerhalb des Sports. Doch derzeit hat er an der Ausübung seines Berufs als Handballprofi ganz besonders viel Spaß. Mit seinem neuen Verein steht er mit 9:1 Punkten auf Platz zwei der Bundesliga-Tabelle. Und an diesem Mittwoch (19 Uhr/livestream auf www.sport1.de) kommt es zum Spitzenspiel: Es geht nach Mannheim in die SAP-Arena, zu Sesums ehemaligem Club, zu Tabellenführer Rhein-Neckar Löwen (10:2 Punkte). „Das wird ein Riesenspiel. Wir sind selbstbewusst und haben nichts zu verlieren. Der Druck liegt beim Vizemeister, nicht bei uns“, sagt Sesum.

Er redet ruhig, unaufgeregt. Schnell wird klar: Er hält nichts von Show. Er ist Sportsmann pur. Wenn es um seine abenteuerliche Biografie geht, beginnt Sesum seinen Rückblick im April 1999. Raketen werden auf seinen Geburtsort im serbischen Backa Palanka gefeuert. Er ist zwölf Jahre alt und spielt gemeinsam mit seinem jetzigen Frisch-Auf-Kollegen, Freund und Trauzeugen Bojan Beljanski Handball bei RK Sintelon. Der Krieg auf dem Balkan prägt ihn. Typisch Sesum streicht er etwas für seine Karriere Positives heraus: „Wir konnten monatelang nicht in die Schule und haben den ganzen Tag nichts anderes gemacht, als Handball zu spielen.“ Sein Aufstieg beginnt: Bei der Junioren-EM 2006 wird der Rechtshänder zum besten Spieler des Turniers gewählt. Europäische Top-Teams werben um ihn. Der Rückraumspieler entscheidet sich für den ungarischen Serienmeister KC Veszprem. Es läuft gut, bis eine Nacht im Februar 2009 den Sport komplett in den Hintergrund drängt. Gemeinsam mit Teamkollegen feiert Sesum in der Stamm-Disco des Vereins die Geburt des Kindes eines Mitspielers. Plötzlich taucht eine Gruppe von jungen Männern auf, die Streit sucht. Es kommt zu einer folgenschweren Auseinandersetzung mit Kreisläufer Marian Cozma. Der Rumäne stirbt durch einen Messerstich ins Herz.

Sesum, zum Tatzeitpunkt 22, will helfen und erleidet durch Tritte einen Schädelbruch. Er hat heute noch eine Metallplatte im Kopf. Auch die seelischen Narben bleiben. Doch der serbische Nationalspieler meistert den Schicksalsschlag, geht weiter seinen Weg. 2010 zu den Rhein-Neckar Löwen. Das nächste einschneidende Erlebnis folgt 2012. Bei der Heim-EM kochen im Halbfinale gegen Kroatien die Emotionen in der Belgrad-Arena über. Ein Münzwurf eines serbischen Fans verfehlt sein Ziel und trifft stattdessen Sesum ins offene Auge. Er verpasst das Finale gegen Dänemark (19:21), sieht seitdem auf seinem rechten Auge nur noch die Hälfte. Dennoch kehrt er acht Wochen nach dem tragischen Vorfall wieder aufs Feld zurück.

Andere wären daran zerbrochen. Nicht Sesum. Sein Intellekt und seine innere Ruhe helfen ihm, alles zu verarbeiten. Aufstehen, immer wieder Aufstehen! Dieses Motto hat er verinnerlicht. Auch als er sich im Mai 2013 im EHF-Pokal-Halbfinale in Nantes gegen Frisch Auf einen Kreuzbandanriss und eine Fraktur des Schienbeinkopfes zuzieht. Er verpasst das Endspiel und den ersten Titel in der Vereinsgeschichte der Löwen. Sesum schiebt den Oberkörper nach vorne und gesteht frei von der Leber weg: „Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wird man verrückt bei so viel Pech. Oder man sagt sich: Ich habe alles überlebt, das macht mich nur noch stärker.“ Sesum entscheidet sich für die zweite Variante.

Was er noch erreichen will in seiner Karriere? „Bei meiner Vita großartig über Ziele zu reden, verbietet sich fast. Ich will jeden Moment in meinem Leben genießen,“ betont Sesum. Er blickt auf die Uhr. „Ich muss zur nächsten Verabredung“, sagt er und strapaziert die Lachfältchen in seinem Gesicht. Es ist eine besonders schöne: Ehefrau Milena und Töchterchen Lena (2) warten.