Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 2001: der algerische Schriftsteller Boualem Sansal Foto: dapd

Friedenspreisträger Sansal muss in seiner Heimat viel erdulden. Am Freitag liest er in Tübingen.

Stuttgart - Selten ist ein Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels so privat geworden in der Paulskirche wie der Algerier Boualem Sansal: "Liebe Naziha, für alles möchte ich dir danken, für deine Liebe, für den stillen Mut", bemerkte er im Rahmen der Preisverleihung mit Blick auf seine Frau.

Anders als viele Autoren, die ihr Land respektive dessen Regierungen massiv kritisieren, ist Sansal in seinem Heimatland Algerien geblieben, wo er ein Publikationsverbot hat. Dafür nimmt er viele Einschränkungen in Kauf: Allein im Juli dieses Jahres habe es acht Anschläge mit Toten und Verletzten gegeben in Bourmedès, der Stadt, in der Sansal heute erlebt, berichtet sein Laudator, der Schweizer Germanist Peter von Matt. "Der Autor selbst hat um sein Haus Stacheldraht gezogen, er geht abends nicht aus und fährt nie ins Hinterland. Was tut er dann? Er schreibt. Er erzählt. Er erzählt um sein Leben, auch wenn er es damit riskiert", so von Matt.

Das steckt wohl dahinter, wenn Sansal in seiner Rede in der Paulskirche sich bei seiner Frau für "deine Liebe, deine Freundschaft, deine Geduld und für den stillen Mut" bedankt, wenn er von Prüfungen spricht, "die wir durchstehen mussten, und Gott weiß, wie schmerzlich sie waren, der Bürgerkrieg, das Versinken im Absurden, die methodisch herbeigeführte, immer schlimmere Vereinsamung, durch die das Leben steril wird".

"Echter Widerstand, voller Würde"

Ein Vergleich mit anderen Biografien von Autoren aus Algerien verdeutlicht Sansals Situation. Mohammed Moulessehoul etwa war schon bald ein hoher Offizier in der algerischen Armee. Das Schreiben war sein Freiraum vor dem Drill. Zunächst waren es Krimis, die viel von den Schattenseiten der algerischen Gesellschaft, von Korruption und Menschenmissachtung durch die oberen Zehntausend kündeten. Als die Zensur-Bestimmungen zeitweilig strenger wurden, publizierte er unter den Vornamen seiner Frau Yasmina Khadra. Erst als er Ende des Jahres 2000 ins französische Exil fliehen konnte, offenbarte er den Namenswechsel.

Ein prominenteres Beispiel ist Assia Djebar, die bereits im Jahre 2000 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde und auf die Sansal ausdrücklich Bezug nahm in seiner Friedenspreisrede: "Echter Widerstand, also ein Widerstand voller Würde und Zähigkeit, wird in Algerien heute hauptsächlich von Frauen geleistet", bemerkte er.

1955 war sie die erste algerische Studentin an einer französischen Eliteuniversität. Die Geschichtsstudentin engagierte sich im antikolonialistischen Kampf, musste deshalb die Universität nach zwei Jahren verlassen. Um ihre Familie nicht zu gefährden, nahm sie 1957, bevor sie ihren ersten Roman über die Situation arabischer Frauen im damals noch besetzten Algerien veröffentlichte, den Namen Assia Djebar an. 1958 zog sie nach Tunesien, schloss ihr Studium ab und arbeitete für eine politische Zeitung, bis sie 1962 nach der Unabhängigkeit wieder in ihr Heimatland zog. Von 1980 an lebt sie vorwiegend in Paris, hielt sich aber viel zu Recherchezwecken in Algerien auf, drehte dort Filme und wirkte an diversen Projekten mit. Seit 1990 ist ihr dies aus politischen Gründen verwehrt.

Flucht aus der Paulskirche

Und Sansal? - Das Kind aus einem Arbeiterviertel wird nach seiner Promotion 1986 Generaldirektor einer Consulting-Firma, wird 1992 Berater des Handelsministeriums, 1996 gar Generaldirektor im Ministerium für Industrie und Umstrukturierung. Zum Schreiben findet er 1996 mit 47 Jahren. Sein Debüt "Der Schwur der Barbaren" entsteht unter dem Eindruck der Ermordung des algerischen Präsidenten Boudiaf und der damit folgenden Islamisierung der Gesellschaft. In Frankreich wird diese Kritik begeistert aufgenommen, der Verlag rät ihm zuvor, sich ein Pseudonym zuzulegen, was er jedoch ablehnt. Sansal wird von seiner Arbeit beurlaubt. Im Jahre 2000 erscheint sein zweiter Roman, in dem zwei Kandidaten in einer Todeszelle stellvertretend den Dialog zwischen der westlichen und der nordafrikanischen Welt führen. Nach einigen kritischen Äußerungen über den autokratischen Führungsstil des algerischen Präsidenten Bouteflika wird Sansal 2003 aus dem Staatsdienst entlassen.

Ein dritter und ein vierter Roman erscheinen, in denen es um Korruption und Machtmissbrauch sowie um die Rolle der Frauen in einer islamisch geprägten Welt geht. Als im Jahre 2006 sein französischer Verlag "Postlagernd: Algier. Zorniger und hoffnungsvoller Brief an meine Landsleute" veröffentlicht, in dem Sansal eine wahrhaftige Demokratie fordert, werden alle seine Werke in Algerien auf den Index gesetzt. In seinem jüngsten Roman "Das Dorf des Deutschen" setzt er die Methoden der Islamisten mit denen der Nazis in Relation. Damit hat er in Frankreich eine große Debatte ausgelöst, in Algerien nimmt der politische und gesellschaftliche Druck auf ihn noch mehr zu, denn nach wie vor gibt es Buchhändler, die es trotz des Verbots wagen, seine Bücher in seinem Heimatland zu vertreiben. Da wird Sansals Aussage in der Paulskirche verständlicher, wenn er bemerkt: "Ich bedaure sehr, dass der algerische Botschafter in Deutschland heute nicht unter uns ist, denn über meine Person werden heute das Land Algerien und sein Volk geehrt. Dieser leere Stuhl betrübt und beunruhigt mich, denn er zeigt mir an, dass meine Situation in Algerien sich auch dadurch nicht verbessern wird, dass ich einen Friedenspreis mit nach Hause bringe."

Es gibt Schriftsteller wie den gebürtigen Iraner Said oder den gebürtigen Syrer Rafik Schami, die sich mit ihrer Emigration inzwischen abgefunden haben, weil sie sicher davon ausgehen können, dass sie bei einer Rückkehr in ihre Heimat verhaftet werden. Sansal stellt sich noch dem Risiko, eines Tages sein Land nicht mehr verlassen oder nicht mehr betreten zu dürfen oder inhaftiert zu werden. Deshalb saugt er alles Neue begierig auf. Unmittelbar nach der Preisverleihung etwa verzichtete er auf das obligatorische Händeschütteln, flüchtete förmlich aus der Paulskirche mit seinem Laudator Peter von Matt. Frankfurts verschlafene Innenstadt an einem frühen Sonntagnachmittag zu sehen, das ist doch mal etwas anderes. Die Honneurs der Passanten, die ihn wieder erkannten, die nahm er aber doch mit großer Freude entgegen.

An diesem Freitag um 20 Uhr kommt Sansal nach Tübingen in die neue Aula (Audimax) in der Wilhelmstraße 7.