Preisträger David Grossman (li.) herzt Laudator Joachim Gauck Foto: dpa

Der israelische Autor David Grosman erhält den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.

Frankfurt - "Ich stehe hier und rede mit Ihnen über Frieden. Merkwürdig. Ich, der ich in meinem ganzen Leben noch keinen Augenblick wirklichen Friedens erlebt habe. Doch ich weiß etwas über Krieg. Deshalb denke ich, habe ich das Recht, hier über Frieden zu reden." David Grossman findet schnell die richtigen Worte in der Frankfurter Paulskirche. Am Sonntagvormittag hat der israelische Schriftsteller dort den mit 25.000 Euro dotierten Friedenspreis des deutschen Buchhandels vor prominenten Gästen entgegengenommen.

"Friede ist für mich nicht nur die Definition eines Zustands, in dem der Krieg mit all seinen Schrecken zu Ende sein und Israel umfassende und gute Beziehungen mit seinem Nachbarn haben wird. Wirklicher Friede für Israel bedeutet die Aussicht, in der Welt auf eine neue Art leben zu können." Grossman spricht davon nicht als Idealist. Am 12. August 2006, wenige Stunden vor dem Ende des zweiten Libanonkriegs, ist sein zweiter Sohn bei einer Militärpatrouille auf israelischem Gebiet durch eine Rakete der Hisbollah getötet worden. Argumentativ vorsichtig schildert Grossman, weshalb er nicht in Hass oder Verzweiflung verfallen ist, sondern stattdessen ein literarisches Werk geschaffen hat, das nun mit dem Friedenspreis geehrt wird. "Wenn einem Menschen ein Unglück widerfährt, hat er das Gefühl, im Exil zu sein", bemerkt er dazu. "Für mich war die Rückkehr zum Schreiben eine instinktive Reaktion. Ich hatte das Gefühl, das Schreiben könnte der Weg sein, auf dem ich aus dem Exil zurückkehren würde." Und schließlich stellt er fest: "Als ich das richtige Wort gefunden hatte, empfand ich eine Befriedigung, von der ich geglaubt hatte, ich würde sie nie mehr im Leben empfinden können: das Gefühl, in dieser chaotischen Welt eine Sache so zu machen, wie sie gemacht werden muss. Immer wieder kam ich mir vor wie ein Mensch nach einem Erdbeben: Er kriecht aus den Trümmern seines Hauses, setzt sich auf die Erde und beginnt, wieder Steine aufeinanderzulegen."

"Nichts steht still, es gibt Auswege"

Heute stellt Grossman fest: "Nur Frieden wird Israel ein Zuhause und eine Zukunft geben. Und nur Frieden wird es uns ermöglichen, etwas zu erleben, was wir überhaupt nicht kennen: Das Gefühl einer stabilen Existenz." Zugleich erklärt der Schriftsteller aber auch: "Ich kann den Palästinensern nur von ganzem Herzen wünschen, dass sie nach der über Generationen andauernden Unfreiheit durch die Besatzung von Türken, Engländern, Ägyptern, Jordaniern und Israelis schon bald ein Leben der Freiheit und der Souveränität kennenlernen werden."

Die Gemütslage eines israelischen Staatsbürgers verdeutlicht er mit einem Vergleich: "Wenn Sie in einer deutschen Zeitung lesen, dass Deutschland staatliche Projekte für das Jahr 2030 plant, erscheint Ihnen das völlig normal und logisch. Kein Israeli würde so weitreichende Pläne machen. Wenn ich an Israel im Jahr 2030 denke, zuckt etwas in mir zusammen, als habe ich, indem ich es wage, mir ein so großes Stück Zukunft zu erlauben, ein Tabu gebrochen."

Zuvor rückte Joachim Gauck, Bürgerrechtler und ehemaliger Bundesbeauftragter für Stasi-Unterlagen, vor einigen Monaten auch als Bundespräsident im Gespräch, in seiner Laudatio den Preisträger in einen allgemeineren Rahmen: "Ich sehe Grossman nicht als den Naiven, der meinen könnte, dass durch Brücken von Empathie und Verständnis Feindschaft total aufgelöst werden könnte. Aber selbst wenn ihr nicht der Garaus gemacht werden kann, so kann ihr vielleicht doch eine Zeit des Moratoriums aufgezwungen werden, das die Suche nach dem Kompromiss, der den Frieden baut, bestärkt. Es bleibt keine Alternative zum Dialog, zu Verhandlungen, zum Kompromiss."

Grossman zitierend, stellt Gauck fest, dass man schon durch die Auseinandersetzung mit der Willkür Freiheit erlange, die "Freiheit, die Tragik seiner Lage in eigene Worte zu fassen". Hier zieht Gauck einen Vergleich zu seiner eigenen Vergangenheit: "Als Bürger der DDR haben ich und viele andere Menschen im Osten Europas trotz Ohnmacht Ähnliches geschafft: Wir lebten ein wahres Leben im falschen." Gaucks Fazit: "Ihre Literatur ist Vorbild und Anleitung bei Reisen zu den anderen und zu uns selbst. Indem Sie uns mitnehmen in die Wirklichkeit Ihres Landes, nehmen Sie uns mit in die Gefühle von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Sie lassen uns aber auch teilhaben an dem Trost und dem Glück, wenn wir mit Ihnen erkennen dürfen: Nichts steht still, es gibt Auswege aus jeder Situation."