Luisa Neubauer ist das bekannteste Gesicht von „Fridays for Future“ in Deutschland. Sie warb in einem Video für die Veranstaltung „12/06/2020“ im Berliner Olympiastadion – und hat sich dafür massiv Kritik eingehandelt. Foto: dpa/Christoph Soeder

Die Gründer des Kondomherstellers Einhorn wollen 90 000 Menschen im Berliner Olympiastadion versammeln. Die Menge soll live Bundestagspetitionen unterzeichnen. Luisa Neubauer von „Fridays for Future“ wirbt dafür und distanziert sich dann. Was steckt dahinter?

Stuttgart - Die Botschaft ist klar: „Es geht um die Zukunft unserer Zivilisation und wie wir zusammen die größte Krise der Menschheit lösen können. Die Lösung gibt es jetzt bei Startnext zu kaufen. Für nur 29,95 Euro könnt ihr euer Ticket zur größten Krisensitzung Deutschlands kaufen. So billig war die Weltrettung noch nie. Und das pünktlich zu Weihnachten. Bitteschön!“

Mit diesen Worten beginnt ein Video, in dem die Klimaaktivistin Luisa Neubauer, die Moderatorin Charlotte Roche und andere Menschen für ein Event im Juni 2020 in Berlin werben. Bis zu 90 000 Menschen sollen am 12. Juni 2020 im Olympiastadion in der Hauptstadt zusammen kommen und an ihren Handys live Bundestagspetitionen unterzeichnen. In der Regel sind 50 000 Unterschriften nötig, damit eine Petition im Petitionsausschuss des Bundestags diskutiert wird. Sollte der Plan aufgehen, wäre diese Bedingung allein durch die vielen Teilnehmer des Events gegeben.

„Stell dir vor, es gibt einen Tag, der einzig allein dafür da ist, die Welt zu einem zukunftsfähigeren Ort zu gestalten“, heißt es in dem Aufruf zu der Aktion. „Unser Ziel ist, mit dem 12. Juni 2020 ein Zeichen zu setzen – für unsere Demokratie – und uns daran zu erinnern, wie viel Einfluss von uns als Menschen ausgeht.“

Hinter der Idee steckt ein Kondomhersteller

Initiiert wurde die Idee von Waldemar Zeiler und Philip Siefer, die das Kondom-Startup Einhorn gegründet haben. Auf der Plattform Startnext läuft eine Crowdfunding-Kampagne für den Tag. 1,8 Millionen Euro wollen die Veranstalter bis Heiligabend zusammen bekommen, um die Kosten für so eine Großveranstaltung zu stemmen. Deshalb müsse man bis dahin mindestens 60 000 Tickets verkaufen, heißt es auf der Seite.

Als Partner werden unter anderem „Fridays for Future Berlin“ und „Scientists for Future“ genannt. Und damit begann die Kontroverse. Denn für die Idee, dass man für gemeinschaftliches Unterzeichnen von Bundestagspetitionen Geld bezahlen soll, haben sich die Initiatoren massiv Kritik eingehandelt.

Die wichtigsten Argumente der Kritiker

Viele Menschen halten die Aktion für dumm. Durch den Verkauf der Tickets werde politische Teilhabe an einen Preis geknüpft. Viele sehen die Aktion auch nicht als Form der politischen Partizipation, sondern schlicht als Event. Auch die Wahl des Olympiastadions wird kritisiert, weil es von den Nazis gebaut wurde.

Zudem hinterfragen Kritiker, wie wirksam die Aktion in politischer Hinsicht ist. Die Gesetze macht in Deutschland der Bundestag. Jedes Jahr gehen mehr als zehntausend Petitionen beim Bundestag ein. 2018 ist die Zahl noch einmal stark gestiegen und lag bei mehr als 13 000 Petitionen. Dem jeweiligen Anliegen wird aber nur in rund fünf Prozent aller Fälle entsprochen, so der Mannheimer Politik-Professor Thomas König. Das viele Geld, das die Veranstaltung kostet, könnte man deshalb auf andere Weise viel sinnvoller einsetzen, schreibt etwa Christopher Lauer im „Tagesspiegel“.

Lauers Rechnung: Addiert man zum Ticketpreis für das Event im Olympiastadion durchschnittlich 125 Euro pro Person für Anreise und Verpflegung, werden insgesamt etwa 14 Millionen Euro ausgegeben. „Von 14 Millionen Euro könnte man eine ziemlich schlagkräftige NGO aufziehen, die fähige Juristinnen und Juristen dafür bezahlt, die Klimagesetzgebung zu schreiben, die jetzt notwendig ist. Eine solche NGO hätte die Möglichkeit, auf Bundesebene massives Lobbying für diese Gesetze zu betreiben, auf Landesebene könnten Volksbegehren losgetreten werden“, schreibt Lauer, der einst als führender Kopf der Piratenpartei bekannt wurde.

„Fridays for Future Berlin“ distanziert sich

Sowohl Luisa Neubauer als auch die Berliner Ortsgruppe von „Fridays for Future“, die auf der Startnext-Seite als Partner genannt wird, distanzieren sich mittlerweile von der Aktion. „Wir sind weder Initiator noch Mitveranstalter des Projekts“, schreibt die Ortsgruppe in einem Statement auf Twitter.

Die Einhorn-Gründer Zeiler und Siefer hätten die Idee gehabt und sie nach Input gefragt, sagte ein Sprecher der Berliner „Fridays for Future“-Gruppe unserer Zeitung. Es habe aber von Anfang den Konsens gegeben, dass „Fridays for Future“ kein Partner ist. „Das kam falsch rüber“, sagte der Sprecher. „Wir wollen weiterhin aktiv mitgestalten und werden das auch tun. Aber wir sind jetzt gerade dran, die Kommunikation zu überarbeiten.“

„Diskussionen ohne Ende“

Für „Fridays for Future“ sei auch wichtig, dass es kein Firmenbranding geben dürfe. Die Aktion sei eine Idee der beiden Unternehmensgründer, habe aber mit der Firma Einhorn an sich nichts zu tun, bestätigt ein Ansprechpartner von Einhorn am Telefon. Unter dem Crowdfunding-Aufruf stehen neben den Namen der Firmengründer allerdings auch noch die Namen weiterer Einhorn-Mitarbeiter.

Auch in Baden-Württemberg sehen Umweltaktivisten die Aktion kritisch. „Da gibt es intern gerade Diskussionen ohne Ende“, sagte Lukas Schwab von „Fridays for Future Baden-Württemberg“ unserer Zeitung. Manche Gruppierungen lehnen laut Schwab jegliche Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen ab. Eine offizielle Positionierung von „Fridays for Future Baden-Württemberg“ gibt es aber bislang nicht.

Was ist der Vorteil von Petitionen?

Sebastian Haunss von der Uni Bremen beobachtet „Fridays for Future“ seit einiger Zeit. Der Professor sieht den eigentlichen Vorteil von Bundestagspetitionen darin, dass sie eine sehr niedrigschwellige Form der Beteiligung sind. Jeder kann eine Petition von zu Hause am Computer unterzeichnen. Das erfordert weniger Einsatz, als an einer Demo teilzunehmen. „Wenn man jetzt erst nach Berlin fahren soll, um bei dem Event mitzumachen, wird dieser Vorteil von Petitionen verspielt“, sagt Haunss.

Den Kritikpunkt, dass „Fridays for Future“-Aktivisten sich lieber in einer Partei engagieren sollen, hält der Wissenschaftler aber für Unsinn. „Die Kritik von ‚Fridays for Future’ ist ja gerade, dass politische Parteien wie die derzeitigen Regierungsparteien CDU und SPD ihre Versprechungen zum Klimaschutz nicht einhalten. Deshalb wählen die Aktivisten den Weg, gerade nicht in eine Partei zu gehen.“

Zumal manche „Fridays for Future“-Aktivisten selbst die Klimaschutzforderungen der Grünen für unzureichend halten und sich deshalb mit keiner existierenden Partei identifizieren. Haunss und andere Wissenschaftler befragten im März Schüler bei „Fridays for Future“-Demonstrationen in mehreren Ländern. Mehr als die Hälfte der Schüler gab an, sich mit keiner Partei stark zu identifizieren.

Wo steht die Kampagne?

Sebastian Haunss bezweifelt, dass die Organisatoren genügend Menschen zur Teilnahme an dem Event motivieren können. Bis Donnerstagmorgen hatte die Crowdfunding-Kampagne rund 555 000 Euro eingesammelt. Bis Heiligabend bleiben knapp drei Wochen, in denen die Initiatoren insgesamt 1,8 Millionen aus dem Ticketverkauf einnehmen wollen. Für 29,95 Euro die Welt retten – vielleicht ist dieses Angebot doch weniger attraktiv, als die Einhorn-Gründer sich erhofft hatten.