Ein Anlass, um sich aktiv mit dem Thema Flüchtlinge auseinander zu setzen: Das in Brand gesetzte Asylbewerberheim in Tröglitz, Sachsen-Anhalt. Foto: dpa

„Tröglitz ist überall“ – für diese These finden sich Argumente, aber auch solche, die dagegen sprechen. Was die Stadt definitiv ist: Ein Anlass, sich aktiv mit dem Thema Flüchtlinge auseinanderzusetzen, meint unser Landesnachrichtenchef Jan Sellner.

Stuttgart - Nein, die Schuldfrage ist noch nicht geklärt. Die Polizei kann bisher nicht benennen, wer konkret hinter der Brandstiftung in einer bezugsfertigen Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz in Sachsen-Anhalt steckt. So wie die Polizei in Vorra in Mittelfranken vier Monate nach dem Anschlag auf einen für Flüchtlinge umgebauten Gasthof weiter nach den Schuldigen sucht. Oder in Malterdingen in Südbaden, wo Unbekannte Anfang März ein leeres Flüchtlingsheim unter Wasser setzten. Bisher gibt es nur Vermutungen, die in Richtung Fremdenfeindlichkeit weisen. Ist die öffentliche Empörung über solche Vorgänge deshalb verfrüht? Finden vorschnell Schuldzuweisungen statt?

Mit solchen Einwänden muss man sich auseinandersetzen, denn die Ermittlungsarbeit liegt ausschließlich bei der Polizei. Zuständig für die Beschäftigung mit gesellschaftlichen (Fehl-)Entwicklungen ist hingegen jeder einzelne Bürger dieses Gemeinwesens.

Wer das ernst nimmt und nicht die Augen davor verschließt, was um ihn herum passiert, wird feststellen, dass in Zusammenhang mit der wachsenden Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern Geister wach werden, die ein übles Spiel mit Emotionen treiben. Das beginnt bei dem Zusammenschluss von Verunsicherten und Verängstigten, der sich Pegida nennt. Das setzt sich fort bei der Hooligan-Bewegung, und das endet bei der NPD und anderen rechtsextremen Gruppen, die gegen die angebliche Überfremdung des Landes agitieren.

Morddrohungen gegen den Landrat

In einem solchen Klima gedeihen Aggressivität und mindestens verbale Gewalt. Tröglitz ist dafür ein krasses Beispiel – wie die Morddrohungen gegen den zuständigen Landrat zeigen, der ungeachtet des Brandanschlags an der Unterbringung von 40 Asylbewerbern in dem 2800-Einwohner-Ort festhält.

Die Tatsache, dass Rechtsextreme zuvor den örtlichen Bürgermeister dazu nötigen konnten, sein Amt aufzugeben, wirkt gespenstisch. Zumal sich die Drohkulisse gegen den demokratischen Rechtsstaat insgesamt richtet. In den Worten des Extremismus-Forschers Hajo Funke gesprochen: „In Tröglitz tobt ein Kampf, ob der Rechtsstaat funktioniert.“ Der Streit um die Unterbringung der Flüchtlinge dient den Verfassungsfeinden dabei als Vehikel.

Was ist dagegen zu tun? Zum einen muss sich die Demokratie gegenüber der extremistischen Bedrohung – in diesem Fall von rechts – einmal mehr als wehrhaft erweisen, etwa durch eine konsequente Strafverfolgung. Dabei sollte man sich vor falschen Annahmen hüten: Ein Verbot der NPD, das derzeit vom Bundesverfassungsgericht geprüft wird, löst das Problem alleine nicht, zumal die NPD nur ein rechtsextremer Akteur unter vielen ist.

Ende der Flüchtlingsströme nicht absehbar

Entscheidend ist, dass es in der Gesellschaft gelingt, eine positive Einstellung zu Flüchtlingen zu entwickeln – auch wenn ein Ende der Flüchtlingsströme angesichts der vielen Kriege und Krisen nicht absehbar ist. Das funktioniert nicht auf Knopfdruck von oben oder in Form von Appellen, sondern nur gemeinsam mit den Bürgern und Nachbarschaften. Wichtig sind Aufklärung, Transparenz, die Ermutigung zur ehrenamtlichen Mitarbeit und zum Dialog, wie dies in Baden-Württemberg bereits vielfach geschieht.

„Tröglitz ist überall“, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff unter dem Eindruck des Brandanschlags in dem strukturschwachen Ort. Für diese These finden sich Argumente, aber auch solche, die dagegen sprechen. „Was man sicher sagen kann, ist, dass Tröglitz ein Anlass sein muss, sich mit dem Thema Flüchtlinge aktiv auseinanderzusetzen – sonst gibt es Tröglitz tatsächlich überall.“ Ein Satz von Richard Arnold, dem in Flüchtlingsarbeit erfahrenen Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd. Er bringt es auf den Punkt.