Die umstrittene Südtiroler Band Frei.Wild hat am Freitag in der Schleyerhalle in Stuttgart gespielt. Foto: dpa

Vor 12.000 Fans hat die Südtiroler Band Frei.Wild am Freitagabend in der Schleyerhalle in Stuttgart gespielt. Mit den punkigen Akkorden und den Texten von Freiheit, Trunkenheit und Heimatland trifft die Band den Nerv ihres Publikums.

Stuttgart - Der wichtigste Song des Abends - für Philipp Burger, den Sänger und Gitarristen von Frei.Wild heißt er „Land der Vollidioten“. 12 000 Menschen singen den Text dieses Songs mit, in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle, am Freitag: „Wir sind keine Neonazis, wird sind keine Anarchisten - wir sind einfach gleich wie Ihr... von hier“, so geht der Refrain.

Die Band aus Südtirol steht nach wie vor in der Kontroverse, wird von vielen dem rechten Spektrum zugeordnet. Vor zwei Jahren zog die Deutsche Phono-Akademie die Nominierung von Frei.Wild für den Medienpreis Echo zurück - die Branche übte Druck aus. „Und was hat all das gebracht?“, sagt Burger in Stuttgart mit Siegermiene - „Es hat uns nur bekannter gemacht.“

Er hat Recht damit, aber er sagt nur die halbe Wahrheit - denn Frei.Wild nutzen diese Situation zielstrebig aus. Musikalisch tritt die Band kräftig, aber ganz uneigenständig auf: Jeder ihrer Songs könnte, ohne die Worte, auch von den Toten Hosen stammen. Dazu der Stil typischer Gitarrenbands: Der Bass von Jochen Gargitter wird stark betont, Christian Fohrer bedient sein Schlagzeug ekstatisch, schwitzend, Jonas Notdurfter spielt die zweite Gitarre. Fast alle Songs sind schnell, heizen an, setzen auf Emotion, alle Melodien sind eingängig, die Gitarrensoli gut platziert. Die Bühnenshow von Frei.Wild kommt mit viel Pyrofeuer daher, Lichteffekte werden präzise eingesetzt - so weit ist ihr Konzert das einer harten, gut präsentierten, aber wenig originellen Deutschrockband.

Es geht nicht um Musik, sondern um Identifikation

Die Worte sind jedoch wichtig, denn Burger deutet die Punk-Attitüde bewusst um, stellt sie in den Dienst von Freiheit, Trunkenheit und Heimatland - und erreicht damit sein Publikum. Explizite Inhalte, die den Verdacht bestätigen könnten, Frei.Wild seien ein Teil der rechten Szene, finden sich nicht - aber die Gefühle die Burgers Texte ansprechen, sind stets auf den kleinsten Nenner gebracht, statt Argumenten fliegen die Kraftausdrücke. Der Ton ist immer aggressiv, pathetisch, vulgär, die Zielscheiben des Hasses bleiben im Nebel und dürfen für Vieles herhalten. Hier geht es, das ist offensichtlich, nicht um Musik, sondern um Identifikation.

Und all das ist viel zu clever eingefädelt, um kein Unbehagen zu hinterlassen. Was Philipp Burger singt, ist dem Uneingeweihten nicht immer verständlich - schließlich schreit er oft, mit seiner tiefen, kehligen Raspelstimme. Für die Fans spielt das keine Rolle: Sie kennen die Texte auswendig, sie singen mit, immer. Und die Kameras, die durch die Halle gleiten, suchen diese Fans, suchen genau jene unter ihnen, die sich ins rechte Klischee nicht einfügen, stellen sie aus: Auf der Leinwand leuchten die Gesichter, die Münder, die Lippen, die sich bewegen, leuchtet die Wut, die mit fremden Worten hinaus geschrien wird.

Populäre Musik wird zum Populismus

Sein Heimatbegriff, sagt Philipp Burger gerne, stamme aus Südtirol und sei dort selbstverständlich - was man ihm so auch nicht ohne Weiteres abkaufen sollte. In Deutschland jedoch singt er für ein anderes Publikum. Und Burger kennt dieses Publikum genau. Er enthält sich aller Parolen, am Freitag, in Stuttgart, aber einmal ruft er in der Schleyer-Halle die Berufsgruppen auf: „Wo sind die Handwerker? Wo sind die Industriearbeiter? Wo sind die Landwirte? Wo sind die sozialen Berufe?“ fragt er - und jedes Mal fliegen viele Hände empor. „Und wo sind die Akademiker unter den Frei.Wild-Fans? Ich wusste, dass es sie gibt!“

Das ist der unbehaglichste Augenblick des Abends - nicht, weil natürlich längst bekannt ist, dass der Anteil der Akademiker in der rechten Szene zunimmt. Sondern weil in diesem Moment ganz deutlich wird, dass es um Politik geht. Pop-Musik, Rock-Musik - all das ist Showbusiness. Dem Star ist es gleichgültig, woher seine Fans kommen, was sie sind. Bei Frei.Wild ist das nicht so: Hier wird populäre Musik zum Populismus.

Vor Konzertbeginn stellt sich die Band mit einem kurzen Schwarzweiß-Film vor, der sie auf ihrer Reise nach Stuttgart bis in die Garderobe der Schleyer-Halle begleitet. Frei.Wild besuchen ihr Merchandise-Vertriebszentrum, das sich in Winnenden befindet, sie erzählen davon, dass ihre Karriere auch in Baden Württemberg begann, das sie in Stuttgart schon früh große Konzerte gaben: „Unser erster Manager kam aus Horb am Neckar!“ Die Fans aus Horb am Neckar springen auf und jubeln. Das Vertriebszentrum in Winnenden wirbt auf der Leinwand um Mitarbeiter - und eine Behinderung soll dieser Mitarbeit nicht im Wege stehen: Frei.Wild entdecken den vielgeschmähten Gutmenschen in sich.

Boykott? Ganz sicher nicht

Wenige Tage vor dem Stuttgarter Konzert sollte ein Auftritt der Band in der Hamburger O2 Arena mittels einer Online-Petition gekippt werden. War das richtig? Soll man diese Band boykottieren? Ganz sicher nicht. Im schlimmsten Falle, wenn Frei.Wild tatsächlich die Wölfe im schäbigen Schafspelz sind, für die viele sie halten, dann hieße das ja, mit ihnen Hand in Hand zu arbeiten, ihnen die Karte zuzuspielen. Außerdem: Die Demokratie muss sich treu bleiben. Und die populäre Musik besitzt die manchmal auch schöne Eigenschaft, ihre Protagonisten über kurz oder lang wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen.

Bis dahin könnte man sich die Frage stellen, weshalb eine Band wie Frei.Wild so großen Erfolg hat. Wo die Ursachen dafür liegen, dass sich sehr viele Menschen heute wieder auf einem solchen Niveau ansprechen lassen. Das Frei-Wild-Konzert in der Schleyer-Halle wird zuletzt zu den am besten besuchten Stuttgarter Konzerten des Jahres 2015 gehören.