Das Wetter wird schön und die Stuttgarter – wie hier am Palast der Republik– zieht es nach draußen. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Das Wochenende wird warm und sonnig. Höchste Zeit, die Freiluftsaison einzuläuten! Das ist für die Gäste schön und für die Gastronomen enorm wichtig.

Stuttgart - Ja, es stimmt wirklich: Bis zu 23 Grad könnte es an diesem Wochenende in und um Stuttgart geben. Da grüßt einem Eduard Mörike sogleich sonnig ins Gemüt („Frühling lässt sein blaues Band / Wieder flattern durch die Lüfte“), und auch die Wirte frohlocken in Erwartung des ersten wirklich warmen Wochenendes im Jahr 2018. Denn tatsächlich sind die Außenbereiche der Restaurants, Cafés, Bars und Kneipen längst zu überlebenswichtigen Pfeilern der Gastronomie geworden. Wo der geneigte Gast früher froh sein musste, wenn ihm die resolute Bedienung ein Kännchen dünnen Filterkaffee samt Kondensmilch und Würfelzucker auf den verwitterten Tisch stellte, geht heute gar nichts mehr ohne ein paar einladende Möbel im Freien. Denn, siehe da: Sobald die ersten Lokalitäten Stühle nach draußen stellen, macht es sich der Stuttgarter mit Gusto (und notfalls mit dicker Decke) unter freiem Himmel bequem, als wäre er die letzten Monate eingesperrt gewesen.

Mentalitätsveränderung bei den Gästen?

Auch Daniel Ohl vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Baden-Württemberg erkennt die wachsende Bedeutung der Freiluftkultur. „Gastronomen ohne Außenbereich haben es im Sommer immer schwerer“, stellt er fest und verweist auf die auffällige Entwicklung jener Flächen. „Vor 20 Jahren gab es gerne noch lieblose Plastikstühle und -tische. Doch damit kommt man heute nicht mehr durch“, konstatiert Ohl. Der Außenbereich allein sei allerdings kein Abonnement auf Erfolg. „Auch draußen wird der Wettbewerb immer anspruchsvoller.“

Auch Karl-Christian Knapp vom Amt für öffentliche Ordnung beobachtet eine Mentalitätsveränderung bei den Gästen. „Die Ausgehkultur verändert sich mehr und mehr nach draußen.“ Das heißt aber auch: Pech für jene Wirte, die keine Plätze im Freien haben. Etwa 570 Betriebe in Stuttgart haben die Lizenz zum Draußensitzen – Tendenz gleichbleibend. Der Grund: Jeder Wirt muss seinen Außenbereich vor jeder neuen Saison aufs Neue genehmigen lassen – sofern er sich auf einer öffentlichen Fläche befindet. „Wenn also eine neue Gastronomie dazukommt, müssen bestehende Flächen eventuell geteilt werden“, sagt Knapp.

Das kann zu Ärger führen – und zu zahlreichen Verstößen, weil immer wieder Fußgängerbereiche, Rettungswege oder Einfahrten blockiert werden. Die Regelungen sind nämlich ebenso unmissverständlich wie penibel. Kleines Beispiel: Tische und Stühle in der Außengastronomie dürfen maximal 90 Zentimeter hoch und Sitzbänke nicht länger als 1,20 Meter sein. Notfalls wird nachgemessen.

Der unbiegsame Palast der Republik

Sicher kann das als Pfennigfuchserei ausgelegt werden. Man müsse aber auch die Seite der Stadt akzeptieren und respektieren, meinen Nicolin Wehling und Nils Weymann, die Anfang des Jahres das Deli am Hans-im-Glück-Brunnen übernommen haben. „Manchmal hat man schon das Gefühl, dass es uns schwer gemacht wird, doch natürlich hat jede Regelung im Einzelfall auch ihre Daseinsberechtigung“, betont Weymann. 100 Plätze haben sie draußen, drinnen sind es deutlich weniger. „Dennoch sind wir kein Laden, der nur für die Sommergastronomie lebt“, so Wehling. Am meisten los ist im Deli und anderswo um den Brunnen aber eben auch im Sommer.

Und dann ist da noch das Paradebeispiel für Außengastronomie: der unverzichtbare, unverwüstliche, unbiegsame Palast der Republik. Generationen von Studenten stillten hier ihren Bierdurst neben einem Querschnitt der Gesellschaft, wie man ihn sonst nirgendwo findet. Seit einigen Jahren zwar auch vermehrt auf Bierbänken, aber eben immer noch auf Mauern oder einfach auf dem Boden. Das übrigens, so sei angemerkt, mit Genehmigung: „Wir haben das gesamte Grundstück mitgepachtet“, sagt Betreiber Stefan Schneider dazu. Seit 1992 führt er das ehemalige Toilettenhäuschen, machte es zur Institution und Ikone. „Wir waren ein Trendsetter in Sachen Außengastronomie“, erzählt er nicht ohne Stolz. „Damals gab es nur eine Handvoll anderer Läden, die bis vier oder fünf Uhr morgens geöffnet haben durften.“

Neue Läden locken Besucher an

Bis zu 95 Prozent des Jahresumsatzes werden dort im Sommer erzielt. Die Kehrseite: Wenn es oft regnet, sieht es entsprechend mau aus. „Pacht und Personal müssen wir aber natürlich das ganze Jahr bezahlen“, sagt Schneider. Wie es bei ihm angesichts der neuen Systemgastronomie im ehemaligen Gravis-Store direkt gegenüber weitergeht, weiß er zwar nicht. „Eine gewisse Konkurrenz besteht dann natürlich, aber ich denke, das Palast-Publikum unterscheidet sich genug von deren Gästen“, sagt Schneider. „Und wenn nicht“, meint er grinsend, „müssen wir eben eine Palastrevolution ausrufen“.

Auch anderswo gibt es neue Läden in der Stadt, die das Publikum mit Stühlen im Freien locken. In der Calwer Straße buhlen The Gardener’s Nosh und das portugiesische Café Lis um Sonnenanbeter, in Kürze geht mit Hillsons der Milliways-Nachfolger an der Hauptstätter Straße an den Start – mit Europaletten und Motorradparkplätzen vor der Tür. Das findet per se erst mal (fast) jeder spitze. Bis es abends mal zu laut wird. 2015 gingen 568 Lärmbeschwerden beim Ordnungsamt ein – Tendenz steigend.

Doch auch hier gibt es Regelungen: Nach 23 Uhr muss ohne besondere Lizenz Ruhe sein. Das ist zwar nicht immer zu garantieren, wie man aus dem Urlaub in Italien oder Frankreich weiß. Aber manchmal herrscht halt doch eine kleine Diskrepanz zwischen mediterraner Leichtigkeit und schwäbischer Ordnung.