Max Tidof überzeugt als Schwerenöter Don Juan Foto: Freilichtspiele/Jürgen Weller

Die Freilichtspiele in Schwäbisch Hall starten mit „Tschick“ und „Don Juan“ ins 90-Jahr-Jubiläum. Dabei überzeugt Max Tidof als Schwerenöter Don Juan.

Schwäbisch Hall - „Vorsicht Baustelle!“, warnen die Schildertexte auf der Bühne im Globe-Theater Schwäbisch Hall. Ein Hauch von Stuttgart 21? Egal. Autoreifen und Tonnen und jede Menge Schutt. Ein Rollgerüst reicht bis zum ersten Rang im Schwäbisch Haller Globe-Theater.

„Die will sich wichtigmachen!“, brüllt von dort oben Andrej Tschichatschoff oder kurz: Tschick (Pedro Stirner). Mit „Die“ meint er das von lediglich einem weißen, weiten, ärmellosen Shirt umhüllte Müllkippenmädchen Isa (Corinne Steudler). Isa spottet schonungslos über ihr Gegenüber, schmäht ohne Unterlass und belfert dabei so gellend – man möchte direktemang einen Exorzisten frequentieren. „Du kleiner Scheißer, dich mach’ ich Matsch!“ findet sich noch unter ihren harmlosen, halbwegs guten Gewissens zitierbaren Provokationen. Die beiden jagen einander durch die Szenerie, während Maik (Florian Peters) in braunem Anzug und beige Pullunder unparteiisch im Abseits ruht.

Mit Robert Koalls Bühnenfassung von „Tschick“, dem Roman-Bestseller Wolfgang Herrndorfs, starteten die Freilichtspiele Schwäbisch Hall am Freitag in ihre Jubiläumssaison zum 90-jährigen Bestehen. Herrndorf, den der Krebs 2013 in den Suizid trieb, wäre an jenem Tage 50 Jahre alt geworden. Silvia Armbruster inszeniert die Geschichte des graumäusigen Teenagers Maik, der mit dem deutschrussischen Außenseiter Tschick einen Roadtrip im geknackten Lada erlebt. Obzwar es in Koalls Version keinen wahren Protagonisten gibt, spielt sich Pedro Stirner mit russischem Akzent und häufigem Emotionswechsel in den Vordergrund. Angst, Schmerz, Enthusiasmus, Aggression, Komik – er kann’s.

Die 23-jährige vom Stuttgarter Theaterhaus bekannte Steudler hat in eingangs geschilderter Szene ihren stärksten Moment. Im lärmenden, wutentbrannten Toben kommt ihr lautes Organ zur Geltung. Mit ihr besetzt Armbruster gleich fünf weitere Nebenrollen, hier fehlt es noch ein wenig an spielerischem Facettenreichtum. Der gesangsversierte Peters gibt den in Roman wie Stück rückblickend erzählenden Maik solide, er darf auch mal trällern.

Das Trio ergänzt Herrndorfs Sprachwitz mit viel Körpereinsatz, klettert und geht baden, beinahe pausenlos schwungvoll. Ein gelungener Saisonauftakt, dem am Folgeabend die erste Aufführung auf der Treppe folgte. Auf den 53 Stufen, die zur Kirche St. Michael streben, arrangiert Regisseur Thomas Goritzki Molières Schwerenöterkomödie „Don Juan“.

Über dem Eingangsbogen des Gotteshauses weilt ein steinernes Antlitz, welches später als Himmelsvertretung mit dem Sünder kommuniziert. Max Tidof gibt den agnostizistischen Verführer, der sich zum Gram seines nichtsdestominder loyalen Dieners Sganarelle (Clemens Giebel) einfach nicht belehren lässt. Mit knöchellangem, weinrotem Mantel, darunter weißem Stehkragen und wallenden Strähnen am Haupt lacht er schelmisch, kriecht liebeheuchelnd auf allen vieren und bekommt so manche Ohrfeige zugeführt. „Das Herz in meiner Brust könnte die ganze Welt lieben“, postuliert er mit Blick ins Publikum, die Treppen herabstolzierend. Für Scherereien sorgen die Brüder der Dona Elvira (Elisabeth Halikiopoulos). Don Juan lockte die Dame mittels Heirat aus dem Kloster, woraufhin er sie nach der Stillung seiner Lendenlust wie einen hocherhitzten Erdapfel fallen ließ.

Anfangs scheint Clemens Giebel, modern mit dunkelblauem Nadelstreifanzug gekleidet, als unterwürfiger Moralist im Dauerstress allen die Show zu stehlen. Leider gerät die Darbietung zunehmend klamaukig, was für die brillante Situationskomik Molières keineswegs vonnöten ist. Goritzki lässt seine Akteure bei mäßig choreografierten Keilereien Zähne spucken respektive sich das Gesicht kunstblutig kloppen. Repräsentativ fürs Ensemble krakeelt etwa Bärbel Schwarz als bäuerliche Charlotte in einer Tour – Subtilität adieu. Tidof ist firm genug, da zu kontrastieren. Auch Don Juans Vater (Jan Kämmerer), glatzköpfig und nosferatuesk, beweist Stil.

Ein indes geistreicher Einfall ist es, Don Juan nach Pseudoläuterung sein Lob der Heuchelei wie eine Rede vor einem Mikrofonständer verkünden und dabei die Merkel-Raute formen zu lassen. So verkommt, dem schwächelnden, weil mit Gewalt auf Komik pochenden Mittelteil zum Trotz, der zweite Teil des Auftakts der Freilichtspiele auf den St.-Michael-Stufen nicht zum flachen Treppenwitz. Die Reise zum Kocher lohnt sich.

„Tschick“: 19.–21. Juni, 8.–12., 15.–18. Juli, 12.,13. August. „Don Juan“: 18.–20. Juni, 15., 17., 18., 28., 29. Juli, 12.–14., 19.–21. August. Karten: 07 91 / 75 16 00.