Joan Baez Foto: AP

Ein schöner Abend mit Joan Baez und vielen alten Liedern auf der Freilichtbühne Killesberg.

Stuttgart - Joan Baez ist die Ikone des amerikanischen Folksongs, des Protestsongs, des politischen Engagements.  Am Sonntagabend ist sie in Stuttgart aufgetreten.

Mit diesen Liedern ist man aufgewachsen. Mit „The Night They Drove Old Dixie Down“ vor allem, das Joan Baez am Sonntagabend auf der Freilichtbühne Killesberg erst sehr spät, in der letzten Zugabe, ohne Gitarre, begleitet nur von ihren beiden Musikern, den 3300 Fans vorsingt. Mit dem jüdischen Lied „Donna Donna“, das durch Baez weltberühmt wurde. Mit Bettina Wegeners „Sind so kleine Hände“ und Pete Seegers „Where Have All The Flowers Gone“, das Baez natürlich auch hier wieder auf Deutsch singt – wie seit Jahrzehnten.

In Deutschland mag man alldem das Etikett der friedensbewegten frühen 1980er Jahre anheften – allein, das trifft nicht: Denn Joan Baez ist mit nun 71 Jahren ein Beispiel verblüffender Vitalität. In Jeans und Stiefeln, zu Beginn des Konzertes noch mit Jacke und blauem Schal, wirkt sie geradezu jugendlich. Die Frau, die während ihrer erfolgreichsten Jahre lange insgeheim unter Bühnenangst litt und sich in den Pausen ihrer Konzerte übergeben musste, tritt locker und entspannt auf. Joan Baez plaudert, beginnt gar zu tanzen, ihre Qualitäten als Interpretin haben fast nicht gelitten unter den Jahren: Daraus, dass ihre Stimme, selten nur, den Dienst versagt, macht sie kein Hehl, aber allein, dass diese Stimme sich mit diesem Volumen erhalten hat, wirkt wie ein Wunder.

Ein sentimentaler Abend ist dies nicht

Man erlebt eine Legende, die ganz unprätentiös und oft selbstironisch auftritt und dabei strahlt, den ganzen Abend. Und sich auch einmal vom Mikrofon zurückzieht, um dieses der französischen Songwriterin Marianne Aya Omac zu überlassen – Stuttgart ist das vorletzte von acht Konzerten, zu denen Baez die Sängerin, die sie während ihrer Frankreichtournee kennenlernte, eingeladen hat.

Aya Omacs Temperament ist groß, ihre Stimme ist größer, und Baez, die als Folk-Gitarristin einiges Ansehen genießt, wird neidisch, wenn Aya Omac die Saiten schlägt. Baez wird allerdings auch neidisch, wenn ein Vogel hinter der Bühne beginnt zu singen – ein „Mockingbird“, eine Spottdrossel, wie sie meint. Auf der Bühne steht ein rosa Sofa, auf dem sie sich niederlässt, um zu lauschen, neben ihr eine Stehlampe und eine Sonnenblume.

Begleitet wird sie nicht nur von Vögeln, sondern auch von Dirk Powell, der Geige, Mandoline, Banjo, Piano und eine akustische Bassgitarre spielt, und von Gabriel Harris, Baez’ Sohn aus ihrer Ehe mit dem amerikanischen Bürgerrechtler David Harris, als Perkussionist. Grace Stumberg, Joan Baez’ Tourbegleiterin, kümmert sich nach jedem Song um ihre Gitarren – Nachbauten jener ersten Gitarre, die Baez 1962 für 250 Dollar erwarb.

Ein sentimentaler Abend ist dies nicht, dennoch muss die Vergangenheit hier ihren Platz haben – sehr lustig allerdings, als Joan Baez den Song „Love Is Just A Four Letter Word“ anstimmt, der von ihrer Beziehung zu Bob Dylan handelt. „Here comes Dylan“, raunt sie ihrem Publikum zu und singt dann, in der bekannt kratzigen Schieflage: „Your poetry is lousy, you said.“

Auf der Bühne spielt die Tagespolitik für Joan Baez keine wirkliche Rolle mehr, privat engagiert sie sich weiter, und das musikalische Interesse an der Gegenwart hat sie ebenfalls nicht verloren: Dafür steht der Song „Scarlett Tide“, den Elvis Costello und T-Bone Burnett ursprünglich für Alison Krauss schrieben. Er erklingt früh am Abend, der mit „Imagine“ und natürlich „Blowin’ In The Wind “ zu Ende geht und an dem man viele Stücke hört, die heute so sehr gelingen wie einst: „Farewell Angelina“, „Suzanne“, „Diamonds And Rust“, „Long Black Veil“, „House Of The Rising Sun“. Nach knapp zwei Stunden auf dem Killesberg ist Joan Baez müde, und das Publikum steht vor der Bühne und blickt ihr hingerissen nach.