Dieter Salomon ist gerne Rathauschef in Freiburg: „Eine Rückkehr in die Landespolitik habe ich schon bei früherer Gelegenheit ausgeschlossen“, sagt er. Foto: dpa

Für Schwarz-grün warb der Freiburger Oberbürgermeister schon in den 1990er Jahren – und auch im örtlichen Gemeinderat ist solch ein Bündnis erprobt: Dieter Salomon über politische Farbenlehre, den Umgang mit Flüchtlingen und die Misere im Wohnungsbau

Freiburg - Die Atmosphäre im Alten Rathaus in Freiburg ist entspannt an diesem Spätnachmittag. Dieter Salomon, der Rathauschef mit grünem Parteibuch, nimmt sich viel Zeit für seine Gäste. Denn an aktuellen Themen herrscht kein Mangel, und es geht auch sehr ins Persönliche: um Salomons eigene Migrationserfahrungen und vor allem diejenigen seiner Mutter. „Das hat mich geprägt“, sagt er.

Herr Salomon, Sie sind grün-schwarz erprobt. Denn solch eine Koalition regiert schon längst im Freiburger Gemeinderat. Klappt das auch auf Landesebene?
Es gab in Freiburg tatsächlich eine Zeit lang die Konstellation einer grün-schwarzen Mehrheit. Inzwischen hat sich das aber wieder stärker aufgesplittert. Bei manchen Themen arbeiten die Grünen und die Christdemokraten zusammen, bei anderen nicht – aber sagen lässt sich, dass die Fraktionen ein gutes Verhältnis untereinander haben.
Sie galten ja schon in den 1990er Jahren als Anhänger der Idee, dass die Grünen auch mit der Union paktieren könnten. Hätten Sie sich damals träumen lassen, dass sich dabei jemals Ihre Partei in der Führungsrolle befinden könnte?
Niemals. Wir waren damals eine kleine Oppositionspartei – und keine Konkurrenz zur CDU. Und dass wir jemals einen Ministerpräsidenten stellen, war außerhalb jeder Vorstellung. Ich habe noch 2011 nach der Landtagswahl gesagt, dass wird das beste Ergebnis der Grünen in den nächsten 700 Jahren bleiben. Man kann also auch mit todsicheren Tipps falsch liegen. Die Grünen vor der CDU? In den kühnsten Träumen hätte ich das nicht zu denken gewagt.
Wie erklärt sich denn der rasante Aufstieg der Grünen?
Da kommen aus meiner Sicht zwei Dinge zusammen. Einerseits sind die Themen, mit denen wir vor 20, 30 Jahren eine Art Avantgarde gebildet haben, heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wenn Sie an Umweltfragen oder gesundes Essen denken, an die Gleichstellung von Mann und Frau, an den Umgang mit Homosexuellen oder auch an das moderne Lebensgefühl insgesamt – dann treffen die Grünen den Nerv vieler Menschen gerade auch in Baden-Württemberg.
Hätten Sie nicht die Ikone Winfried Kretschmann an die erste Stelle rücken müssen?
Dass, zweitens, Winfried Kretschmann eine charismatische und integrierende Führungsfigur ist, die diese politischen Ansätze glaubhaft verkörpert, ist ein echter Glücksfall und von unschätzbarem Wert für die Partei, keine Frage.
Warum hatten Sie als Grüner immer auch Sympathie für die Christdemokraten?
Sympathie ist in diesem Zusammenhang der falsche Begriff. Mir ging es damals und geht es bis heute darum, dass im Spektrum der demokratischen Parteien immer eine Zusammenarbeit möglich sein muss, wenn die Wahlergebnisse dies verlangen. Im Übrigen lege ich Wert auf die Feststellung, dass nicht ich die schwarz-grüne Option erfunden habe. Das haben Fritz Kuhn, der heute mein Amtskollege in Stuttgart ist, und Rezzo Schlauch mit ihren Papieren schon in den 1980er Jahren ventiliert.
Dennoch waren Sie zuletzt einigermaßen skeptisch, ob solch ein Bündnis im Moment eine Chance hat. Warum?
Das hat eher mit dem unglücklichen Guido Wolf der CDU zu tun. In der Tat haben mich Aussagen im Wahlkampf vor allem von Christdemokraten teilweise irritiert, die ganz stark auf Abgrenzung gegenüber den Grünen gezielt haben. Inzwischen aber bin ich zuversichtlich, dass die Koalition auch wirklich zustande kommt. Denn die überraschende Erfahrung unter anderem in Freiburg war und ist ja – und das sage ich mit einem Augenzwinkern –: Die Mitglieder der anderen Parteien sind auch Menschen, unabhängig davon, dass man bei einzelnen Themen möglicherweise unterschiedliche Ansichten hat.
Kommen wir zu den Inhalten: was erwarten Sie, was erwarten die Kommunen denn von der neuen Landesregierung?
Es wird die beiden verhandelnden Parteien nicht freuen, aber die Städte und Gemeinden erwarten vor allem Dinge, die finanziell zu Buche schlagen. Ganz konkret geht es beispielsweise um eine Beteiligung an den Integrationskosten für Flüchtlinge. Und da denke ich nicht nur an Sprachkurse. Denn zwar ist das Land bislang bei den Kosten für die vorläufige Unterbringung fair mit den Kommunen umgegangen. Aber die riesigen Kosten entstehen erst bei der sogenannten Anschlussunterbringung, wenn diese Menschen Anspruch auf Hartz IV und dauerhaft ein Dach über dem Kopf haben. Da sind die Städte zu zwei Dritteln bei den Kosten der Unterkunft gefordert – und das können wir auf Dauer nicht stemmen.
Über welche Beträge reden wir da?
Alleine für Freiburg haben wir im Blick auf die Flüchtlingszahlen bisher rund 200 neue Stellen geschaffen – das heißt für Hausmeister, Sozialarbeiter und so weiter –, um diese Aufgabe angemessen erledigen zu können. Da reden wir allein beim Personal über zehn Millionen Euro pro Jahr. Und das betrifft ja nur einen Teil der Kosten.
Neuer und bezahlbarer Wohnraum ist in dieser Rechnung noch gar nicht enthalten. Was braucht es denn, um die Misere in diesem Bereich zu lindern?
Es steht außer Zweifel: wir brauchen kurzfristig viel mehr bezahlbaren Wohnraum, nicht nur für die Flüchtlinge, auch für die Menschen, die schon hier leben. Denn gerade in den Ballungsräumen – und da geht es Freiburg nicht anders als Stuttgart oder anderen Städten im Land – können sich schon Normalverdiener schwer eine Wohnung oder gar ein Haus leisten. Sprich: der soziale Wohnungsbau muss dringend wieder angekurbelt werden. Und das wird mit zinsverbilligten Darlehen, die heute als Förderprogramme gelten, nicht gelingen in Zeiten, in denen die Zinsen minimal sind.
Also doch direkte Zuschüsse?
Der Bund hat seine ursprünglich für den Wohnungsbau zugesagten 500 Millionen Euro auf eine Milliarde aufgestockt. Die spannende Frage ist, welche Programme die Länder nun daraus machen. Finanzminister Nils Schmid hat kurz vor der Landtagswahl die Idee direkter Zuschüsse in die Debatte geworfen. Das halte auch ich für den einzig gangbaren Weg. Aber zu diesen Fragen – Integration von Flüchtlingen, sozialer Wohnungsbau – habe ich aus den Koalitionsverhandlungen bisher leider nichts gehört.
Kein Wunder, denn eines ist schon nach außen gedrungen: die Kassen sind leer.
Mit Verlaub, es ist ein Witz, dass nach jeder Wahl erst einmal ein Kassensturz gemacht werden soll. Die Politiker haben den Haushalt verabschiedet, und sie sollten eigentlich wissen, wie die Zahlen aussehen und welche Mittel vorhanden sind. Also, solche Argumente zählen nicht. Am Ende ist es eine Aufgabe der Politik, die Gelder gemäß den gesetzten Prioritäten zu verteilen.