Die sportliche Lebensversicherung des SC Freiburg: Nils Petersen Foto: Getty


Nils Petersen ist der Erfolgsgarant des SC Freiburg – und fordert nun seinen Ex-Club FC Bayern heraus.

Freiburg - Im Zeitalter der Smartphones ist es nach Fußballspielen längst Usus, dass die Trainer und die Profis ihre Aussagen meist nicht mehr in die guten, alten Notizblöcke der Medienvertreter diktieren, sondern die Handys vor die Nase gehalten bekommen. Wenn die Aufnahmetaste gedrückt ist, kann es losgehen mit der Analyse – für die Christian Streich kürzlich nicht allzu lange brauchte. Es wäre ja generell mal spannend zu erfahren, was dem soliden Metzgerssohn und belesenen Pädagogen Streich so alles durch den Kopf geht, wenn er in ein paar dieser neuartigen, großen Mobiltelefone gleichzeitig sprechen muss, aber das ist ein anderes Thema.

Der Trainer des SC Freiburg jedenfalls hat sich arrangiert mit den Gegebenheiten der digitalen Welt, und manchmal nutzt er sie auch aus für eine klare Botschaft. So wie neulich, als Streich gefragt wurde, was der Stürmer Nils Petersen für sein Team und den Verein bedeute. Streich schaute also mal wieder in den Handy-Wald vor sich. Und brachte dann kurz und knapp alles auf den Punkt: „Ihr Handy ist leer, bis ich alles erzählt habe, was der Nils für uns bedeutet – so viel Akku haben Sie gar nicht.“

Damit waren die Dinge geklärt.

Knipser, Vorkämpfer, Anführer

Petersen ist der Knipser, der Vorkämpfer, der Anführer, die Identifikationsfigur auf und außerhalb des Platzes – er bedeutet für Freiburg gefühlt: alles. Nie würde Christian Streich das so ausdrücken, nie würde er all das über seinen inoffiziellen Lieblingsspieler sagen.

Allein schon deshalb nicht, weil er die Rolle von Petersens Teamkollegen nicht im Ansatz kleinreden will, weshalb er die Thematik mit den leeren Akkus elegant abwiegelte. Streich aber weiß um die Bedeutung seines Kapitäns. Petersen (29) ist rein sportlich gesehen die Lebensversicherung des SC. Vor dem Heimspiel gegen den FC Bayern an diesem Sonntag (18 Uhr) belegen das auch ein paar Zahlen. In 107 Pflichtspielen für Freiburg schoss er 62 Tore, auch in dieser Saison erzielte er knapp die Hälfte aller SC-Treffer, zudem ist er mit seinen zwölf Toren der beste deutsche Stürmer in dieser Bundesliga-Saison.

Das sind die Fakten – hinter der Geschichte Petersen/Freiburg steckt aber mehr. Es ist eine spezielle Beziehung zwischen Spieler, Trainer und Club, die dazu geführt hat, dass Petersen seinen Vertrag kürzlich vorzeitig verlängert hat. „Ich habe eine emotionale Verbindung zum Verein, das Umfeld hier tut mir gut“, sagt Petersen dazu, „ich gehe jeden Tag mit Spaß zur Arbeit.“ Beim SC wiederum schätzen sie neben den sportlichen Qualitäten vor allem die Bescheidenheit und die Demut Petersens. Mit seinem integren, reifen Charakter ist er ein Vorbild.

Wie ein Häufchen Elend

Wer die Beziehung und die gegenseitige Wertschätzung zwischen Petersen und dem SC begreifen will, der muss zurückschauen in den Mai 2015, als der Stürmer und der Club am Tiefpunkt waren. Nach dem 1:2 bei Hannover 96 war der Abstieg aus der ersten Liga besiegelt. Damit war klar, dass etliche Profis den Verein verlassen. Weil sie weiter erste Liga spielen wollten. Und weil es woanders mehr Geld gibt.

Nachdem er die Pressekonferenz und die TV-Interviews in Hannover irgendwie überstanden hatte, brach Christian Streich im kleinen Kreis in den Katakomben fast zusammen. Er weinte. Aufgrund des Abstiegs, klar. Aber auch, weil er kurz vorher Nils Petersen wie ein Häufchen Elend in der Umkleide sitzen sah. „Wer begreifen will, was das hier bedeutet“, sagte Streich damals, „der muss in die Kabine schauen. Da sitzt der Nils und heult Rotz und Wasser.“ Was Streich nicht sagte, aber dachte: Auch der Nils ist wie so viele andere bald weg. Den können wir nicht halten, der will nicht mit uns in die zweite Liga. Keine Chance. Schon damals gab es eine enge Bande zwischen Streich und Petersen. Sein Abgang wäre der schmerzvollste für den Coach gewesen.

Nils Petersen aber blieb. Trotz zahlreicher Angebote aus der Bundesliga. Der Angreifer übermittelte seinem Coach die frohe Kunde nur ein paar Tage nach dem Abstieg. Petersen ging mit Streich und dem SC durchs Feuer. Abstieg, zweite Liga, Wiederaufstieg, Klassenverbleib. Die jüngere Freiburger Geschichte ist Petersens Geschichte. Weshalb er Kultstatus beim SC besitzt – und ihm die Fans als Fußballgott huldigen.

Petersens überragende Schusstechnik

Bei aller Romantik ist die Zeit des Stürmers im Breisgau aber auch eine der Weiterentwicklung. Dass Petersen Tore schießen kann, war schon früher bekannt. Seine Stärke ist der Abschluss im Strafraum, meist mit einer Direktabnahme – Petersen hat links wie rechts eine überragende, saubere Schusstechnik, die ihn von anderen Stürmern abhebt. Früher allerdings war das gefühlt das einzige Qualitätsmerkmal. Wenn er traf, war alles gut. Ansonsten aber war er nicht oft zu sehen, weshalb er sich nach vielversprechender Anfangszeit als Profi bei Energie Cottbus bei seinen folgenden Stationen Bayern München und Werder Bremen nicht durchsetzte.

In Freiburg aber, wo der Stürmer traditionell der erste Abwehrspieler ist und weite Wege gehen muss, hat Petersen auch das Kämpfen, das Bällehalten und das Mitspielen gelernt. Er hat sich zu einem kompletten Stürmer entwickelt. Das ist Petersen bewusst, und das weiß er zu schätzen. Auch deshalb blieb er schon beim Abstieg 2015, auch deshalb verlängerte er nun seinen Vertrag. Seine Fortschritte führten jetzt sogar dazu, dass einige Experten ihn zuletzt als Kandidat für die WM im Sommer ins Spiel brachten. Petersen sagte dazu erst, dass er sich da keine Chancen ausrechne und seine Ferien bereits gebucht habe – ergänzte dann aber, dass man den Urlaub auch stornieren könne. Wenn Petersen so weitermacht, ist dieses Szenario zumindest nicht komplett ausgeschlossen.