Ernst Thilo Kalke ist glücklich darüber, dass er die Musik doch noch zum Beruf machen konnte. Foto: Linsenmann

Der Freiberger Komponist Ernst Thilo Kalke ist 92 Jahre alt, denkt aber kein bisschen ans Aufhören. Im Interview erzählt er aus seinem Leben und darüber, wie er erst in den 1980er Jahren die Musik zu seinem Beruf machen konnte.

Mühlhausen – - Ein Konzert mit Werken des Freiberger Komponisten Ernst Thilo Kalke beginnt am Samstag, 25. April, um 17 Uhr in der evangelischen Kirche Mönchfeld, Barbenweg 11. Ein Interview vorab.
Herr Kalke, Sie kamen 1924 zur Welt, noch in der Weimarer Republik. Sie haben also einen weiten Weg beschritten. Wie sind Sie denn zur Musik gekommen?
Ich komme aus einer musikbegeisterten Familie. Mein Vater war ein guter Geiger, er hat neben seinem Beruf als Einzelhändler Violinunterricht gegeben und, als ich sechs war, auch mich unterrichtet. Mit acht hat er mich zum Klavierunterricht zu Erwin Kübler geschickt, einem über Stuttgart hinaus bekannten Pianisten und Klavierlehrer. Ich habe die Musik geliebt. Deshalb bin ich zur Musik gekommen. Als Schüler hatte ich mit meinem Freund Kurt Gebhard sogar eine Tanzkapelle gehabt.
Gab es da eine Art Plan, Musiker und Komponist zu werden?
Nicht wirklich. Ich habe damals die Dinge auf mich zukommen lassen. Eigentlich sollte ich Nachfolger im elterlichen Geschäft, einer Drogerie, werden. Ich hatte im Hinterkopf, dass ich nebenher die Musik machen könnte, die mir gefällt. Ich hab immer Musik gemacht. Das hat mich vielleicht auch vor Schlimmerem bewahrt, als ich drei Jahre Soldat in Frankreich war. Wenn andere Dienst machen mussten, habe ich zu verschiedenen Anlässen Klavier gespielt und wurde auch an andere Einheiten ausgeliehen.
Und nachdem Krieg haben Sie dann ein Musikstudium begonnen?
Ich habe zunächst in den Clubs der Amerikaner Klavier gespielt, bis Ende 1947. Ich wollte natürlich „was Höheres“ machen und habe an der Musikhochschule studiert. Ich habe, auch wenn das eine Nummer zu groß war, davon geträumt, ein zweiter Hindemith oder Gershwin zu werden. Dann sind meine Schwester und deren Mann ums Leben gekommen. Ich habe mit meiner Frau Gertrud die beiden kleinen Kinder adoptiert und meinen Eltern im Geschäft geholfen. Da blieb ich dann hängen.
Bis dann eine Reihe von Fügungen Sie wieder an die Musik herangeführt hat. Etwa eine Klavierlehrer-Vakanz und Verleger, die Stücke von Ihnen in Ludwigsburg und Heidelberg gehört haben. Ober eine Kleinanzeige, aus der sich dann eine Big Band entwickelte.
Das stimmt. Ich habe auf meine alten Tage aber auch noch Oboe gelernt und im Orchesterverein Stuttgart gespielt. Da konnte ich viel lernen, allein durchs Zuhören. Für die Big Band habe ich ja alles arrangiert und auch viel komponiert. Aus dieser doppelten Praxis ist meine Art von Musik entstanden, eine Verbindung von klassischer Musik und Jazz. Ich bin der typische Fall von einem Mann, der sich zwischen zwei Stühle gesetzt hat. Aber da habe ich offensichtlich meinen Platz gefunden. (lacht)
Sie komponieren und arrangieren. Wie kann man sich das vorstellen?
Ich arrangiere auf verschiedene Art: Ganz nahe am Original, auch in einer Art Variation. Und dann sehr frei, mit dem Original im Hintergrund. Im Konzert kann man dies so bei den Arbeiten zu Debussy, Mozart und Toselli in Reinkultur hören. Dazu kommen die freien Kompositionen, bei denen das Jazzidiom im Vordergrund steht.
Ein Grund Ihres Erfolges ist wohl auch, dass Ihre Stücke eingängig wirken.
Auch Mozart hat Unterhaltungsmusik geschrieben! Ich bin kein zweiter Mozart. Aber ich finde, dass Musik zu Herzen gehen darf. Es gibt kaum etwas Schwierigeres, als leicht Wirkendes zu schreiben. Beim Komponieren denke ich vor allem an die Musiker. Sie sollen Freude dran haben, das Stück zu spielen. Und diese Freude soll sich im Konzert dem Publikum vermitteln.
In einem Alter, in dem die meisten schon an die Rente denken, da ist es bei Ihnen erst richtig losgegangen. Über 30 Jahre, unaufhörlich, bis heute. Inzwischen liegt meterhoch „gedruckter Kalke“ vor. Ein richtiges Werk! Sie werden nicht nur in Europa, sondern auch in Japan oder den USA gespielt. Was ist das für ein Gefühl?
Ein gutes. Wie immer, wenn man Erfolg hat. Wissen Sie, als ich 1983 das Geschäft abgab an meinen Sohn, da war das ein Sprung ins kalte Wasser. Es hätte auch schiefgehen können. Dass ich die Musik doch noch zum Beruf machen konnte, das war für mich wie eine zweite Geburt. Ich habe angefangen, glücklich zu werden. Das war ich vorher nicht.
Im 92. Lebensjahr sich endlich aufs verdiente Altenteil zu setzen: Wäre das nicht auch ein verführerischer Gedanke?
Nein, denn alles, was ich mache, das mache ich gerne. Ich begleite am Klavier ja auch noch einen kleinen Frauenchor, die „Miladies“, mit dem wir ehrenamtlich in Seniorenheimen mit alten Schlagern auftreten. Das kommt gut an. Und ich habe dauernd neue Aufträge und muss mich ranhalten. Wahrscheinlich bin ich auch deswegen noch so gut drauf.