Die Ehrenamtliche Sabine Koch zusammen mit einem Flüchtlingsjungen Foto: Claudia Leihenseder

Die Frauen, die seit einem Jahr zum Nähtreff in Leinfelden-Echterdingen kommen, haben eine schlimme Zeit hinter sich. Sie sind geflüchtet und hoffen in Deutschland auf ein besseres Leben. Zu Besuch an einem Ort, an dem mehr entsteht als Handarbeit.

Leinfelden-Echterdingen - Der Raum mit der großen Fensterfront ist klein und eng. Vier Nähmaschinen stehen an vier zusammengeschobenen Tischen bereit. In der Mitte türmen sich Stoffe, bereit für die nächste Idee. An den Wänden weitere Tische mit Kaffee, Tee und Gebäck. Ein paar Boxen mit Spielsachen warten auf kleine Hände. Es kann also losgehen.

Jeden Freitag treffen sich in der Flüchtlingsunterkunft Nödinger Hof in Stetten Frauen aus verschiedensten Nationen. Sie kommen aus Eritrea, Nigeria, Tunesien, aus der Türkei, dem Iran, Afghanistan oder auch Russland. Sie lernen Nähen, machen gemeinsam Armbänder und Yoga. Doch eigentlich geht es um viel mehr: „Die Frauen bauen ihre Vorurteile untereinander ab“, sagt Veronika Herkle. Sie ist Sozialarbeiterin und beim Kreisdiakonieverband Esslingen für die kirchliche diakonische Flüchtlingsarbeit zuständig. Mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht beobachtet sie das Treiben.

Die Frauen nähen, die Kinder spielen

Schon nach kurzer Zeit sind die vier Nähmaschinen besetzt. Eine weitere Maschine, die am Fensterbrett steht, hat die Aufmerksamkeit einer jungen Frau aus Afrika auf sich gezogen: „Veronika, Maschine kaputt?“, fragt sie die Sozialarbeiterin. Veronika Herkle nickt. „Ihr müsst euch heute abwechseln“, sagt sie.

In dem kleinen Raum wird es immer voller und lauter. Acht Frauen und ihre Kinder sind da. Die funktionierenden Maschinen brummen vor sich hin, während die Nadeln sich ihren Weg durch die Stoffe bahnen. Die Kinder reden durcheinander, schnappen sich mal einen Keks und suchen dann wieder nach Spielzeug. Auf dem Boden sitzt Sabine Koch vom Kreis Flüchtlingsarbeit in Stetten (FIS) und spielt mit den Kindern.

Zu Hause droht der 28-Jährigen Gefängnis

„Die Frauen genießen es, wenn sie mal etwas alleine machen können“, erklärt Veronika Herkle. Die Stimmung sei friedlich, man kenne sich. Die Frauen verständigen sich mit Händen und Füßen. Das Nähen bringt die Frauen zusammen – es bringt Nähe unter den vielen Nationen, vermittelt zwischen den Kulturen. Eigentlich, so erzählt Veronika Herkle, habe man mit der Frauengruppe ohne Ziel begonnen. Das Angebot sollte lediglich etwas Abwechslung in den Alltag in der Unterkunft bringen. Dann folgte das Verständnis füreinander – und so manche Freundschaft entstand.

Eine der Frauen ist Layla. Zu ihrem Schutz nennt unsere Zeitung weder ihren richtigen Namen noch den ihres fast zweijährigen Sohnes. Etwas blass sieht die 28-Jährige aus, Traurigkeit steht in ihren Augen – und Angst. Denn die Tunesierin ist nicht ohne Grund nach Deutschland geflohen. Zu Hause in dem nordafrikanischen Staat droht der jungen Frau Gefängnis – schlicht aus dem Grund, weil ihr Sohn nicht von ihrem eigentlichen Mann ist. „Mein Mann hat mich immer geschlagen“, erzählt sie. Als er gedroht habe, sie anzuzeigen, sei sie unter einem Vorwand nach Deutschland geflohen.

Die 31-Jährige hätte sich prostituieren sollen

Nun hat Layla Angst davor, abgeschoben zu werden. Das Nähen bringt Ablenkung. Die Gruppe gibt ihr Halt. Dort kann sie mit Freunden reden. Am liebsten würde Layla aber in die Nähe von Köln umziehen. Dort wohnt ihr Bruder mit seiner deutschen Frau. Die deutsche Sprache hat sie sich selbst beigebracht – mit einer Handy-App und Youtube-Kursen. Die Hoffnung auf Asyl hält sie aufrecht.

Diese Hoffnung trägt auch Caro aus Nigeria in sich. Die 31-jährige Frau kann gut nähen. In kürzester Zeit hat sie aus ein paar Stoffresten eine nette Tasche genäht. Was sie zu erzählen hat, ist hingegen weniger schön. Denn die junge Frau sollte in ihrem Heimatland verkauft werden. Prostitution sollte zu ihrem Schicksal werden. Doch dann floh Caro, die eigentlich ganz anders heißt. Ihre erste Station war Frankreich, dort durfte sie allerdings nicht bleiben. So ist sie seit März in Leinfelden-Echterdingen.

Ob die Frauen bleiben dürfen, wissen sie nicht

„I’m okay here, happy“, sagt Caro auf Englisch. Ihr gehe es ganz gut hier. Auch ihr Ehemann ist inzwischen in derselben Unterkunft auf den Fildern untergebracht. Unter der Woche lernt Caro regelmäßig in einem Sprachkurs Deutsch. Viel lieber unterhält sie sich aber auf Englisch, erzählt Bruchstücke aus ihrer Kindheit, die wohl bitterarm war, damals in Nigeria. Als der Vater starb, gab es kein Geld mehr für die Schule.

Gerne würde Caro in Deutschland bleiben und hier arbeiten. Doch ob ihr Asylantrag durchgeht? Das weiß sie nicht. Sie hofft. Und bis zum endgültigen Bescheid kommt sie jeden Freitag in die Frauengruppe und näht. Oder bastelt. Oder macht Armbänder. „I like the way we are here“, sagt Caro, die Art, wie die Frauen miteinander umgehen, das gefällt ihr. Sagt sie, lächelt und setzt sich wieder an die Nähmaschine.