In Neu Delhi in Indien demonstrierten Frauen gegen Benachteiligung gegenüber Männern. (Symbolbild) Foto: IMAGO/Pacific Press Agency/IMAGO/Sondeep Shankar

Fast die Hälfte aller Schwangerschaften weltweit sind laut einem UN-Bericht unbeabsichtigt. Und von den 121 Millionen ungewollten oder nicht geplanten Schwangerschaften jährlich enden 60 Prozent mit Abtreibung.

Fast die Hälfte aller Schwangerschaften weltweit sind laut einem neuen UN-Bericht unbeabsichtigt. Und von den 121 Millionen ungewollten oder zumindest nicht geplanten Schwangerschaften pro Jahr werden demnach mehr als 60 Prozent durch Abtreibung abgebrochen - die Hälfte davon unter unsicheren Bedingungen, wie der UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) am Mittwoch mitteilte. Die Studienautoren warnten, Konflikte wie der Ukraine-Krieg könnten die Zahl ungewollter Schwangerschaften in „schwindelerregende“ Höhen treiben.

Der UNFPA-Bericht stützt sich auf neue Daten des Guttmacher-Instituts aus 150 Ländern aus den Jahren 2015 bis 2019. Das Guttmacher-Institut setzt sich für das Recht auf Abtreibung ein. Als Hauptursachen für unbeabsichtigte Schwangerschaften nennen die Berichtsautoren die Benachteiligung von Frauen, Armut, sexuelle Gewalt sowie einen mangelnden Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibungen.

Ungerechtigkeit, Armut und sexuelle Gewalt gegen Frauen

In dem Bericht geht es den Autoren zufolge nicht um „ungewollte Babys oder glückliche Missgeschicke“, sondern darum, wie ein Zusammenspiel aus Geschlechterungerechtigkeit, Armut, sexueller Gewalt und eingeschränktem Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibungen Frauen „die lebensverändernste Entscheidung - ob sie schwanger werden oder nicht“, nehme.

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Die Autoren des Berichts warnten, dass Konflikte wie der Ukraine-Krieg die Zahl ungewollter Schwangerschaften enorm ansteigen lasse, da sexuelle Gewalt zunehme und der Zugang zu Verhütungsmitteln eingeschränkt sei. UNFPA-Direktorin Natalia Kanem verwies bei der Vorstellung des Berichts auf Fälle schwangerer Frauen in der Ukraine, „die wussten, dass sie ernährungstechnisch nicht in der Lage sein würden, ihre Schwangerschaft durchzuhalten“. Es gebe auch Beispiele von Kriminellen, „die die Tragödie des Krieges als eine Gelegenheit sehen, Frauen und Mädchen ins Visier zu nehmen“.

Studien zufolge erleben mehr als 20 Prozent der vertriebenen Frauen weltweit sexuelle Gewalt. Kanem warnte, dass die offiziellen Zahlen wegen des mit der Gewalt verbundenen sozialen „Stigmas“ vermutlich zu niedrig angesetzt seien. 

Pandemie erhöht Anzahl ungewollter Schwangerschaften

Die UNFPA-Direktorin schätzte, dass allein der Konflikt in Afghanistan bis 2025 voraussichtlich zu 4,8 Millionen ungewollten Schwangerschaften führen werde. Auch die Corona-Krise führte UNFPA zufolge allein im ersten Jahr der Pandemie zu bis zu 1,4 Millionen ungewollten Schwangerschaften, weil Frauen keinen Zugang zu medizinischer Versorgung oder Verhütungsmitteln hatten.

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Jedes Jahr müssten dem Bericht zufolge sieben Millionen Frauen nach unsicheren Abtreibungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Diese Schwangerschaftsabbrüche seien eine der Hauptursachen für die Müttersterblichkeit.

Die türkische Ärztin Ayse Akin berichtete bei der Vorstellung des Berichts, dass sie „verzweifelte Frauen“ behandelt habe, die versucht hätten, mit „Stricknadeln“ und „Streichhölzern“ abzutreiben.

Sollte Abtreibung finanziell unterstützt werden?

Im Zusammenhang mit dem UNFPA-Bericht wurde auch Kritik an der US-Politik laut, dass US-Entwicklungshilfe nicht an Organisationen und Einrichtungen fließen darf, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzen oder auch nur Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen. Kanem sagte AFP, es gebe viele Belege, dass diese Politik eine „tiefgreifende Wirkung“ habe und die Bereitstellung von Verhütungsmitteln beeinträchtige.

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Die Fakultätsleiterin des Zentrums für Frauen und Arbeit an der Rutgers University in den USA, Yana Rodgers, sagte, nach ihren Untersuchungen in 51 Entwicklungsländern führe die entwicklungspolitische Linie der USA „eher zu mehr als zu weniger Abtreibungen“, weil Frauen auch einen schlechteren Zugang zu Verhütungsmitteln hätten.