Bei der Stichwahl stehen Frauenrechte auf dem Spiel. Foto: dpa/ Tazegul

Frauenrechtlerinnen appellieren vor der Stichwahl in der Türkei am Sonntag an Wählerinnen. Sie sehen ihre Freiheiten stark bedroht.

Wir wollen nicht Iran oder Afghanistan werden“, entsetzt sich Canan Güllü, die Vorsitzende der Vereinigung der Frauenverbände in der Türkei. Bei der Parlamentswahl in der Türkei zogen zwei ultraislamistische Parteien in die Volksvertretung ein, die für Geschlechtertrennung im öffentlichen Leben und die Abschaffung des Gesetzes zum Schutz vor häuslicher Gewalt eintreten. Beide Parteien schafften es dank Listenverbindungen mit der Regierungspartei AKP ins Parlament und gehören dort nun dem Regierungslager an.

Vor der Stichwahl für das Präsidentenamt am kommenden Sonntag richten prominente Künstlerinnen und Frauenrechtlerinnen einen verzweifelten Appell an die türkischen Wählerinnen. „Wir haben noch einmal die Wahl zwischen Finsternis und Licht“, heißt es in dem Aufruf, der von Dutzenden bekannten Schriftstellerinnen, Schauspielerinnen, Regisseurinnen, Musikerinnen und Frauenrechtlerinnen unterzeichnet wurde. „Entweder wir schaffen es gemeinsam, die Finsternis zu zerreißen und das Morgenlicht zu sehen, oder wir ersticken.“

Islamistische Kräfte erstarken

Bei der Stichwahl am Sonntag haben die türkischen Wählerinnen und Wähler zwischen Staatspräsident Erdogan und dem Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu zu entscheiden, die in der ersten Wahlrunde beide die notwendige Mehrheit von 50 Prozent verfehlt hatten. Das zeitgleich gewählte Parlament ist nach dem ersten Wahlgang vom 14. Mai aber schon komplett.

Demnach behält das Regierungslager von AKP und der Nationalistenpartei MHP die Mehrheit in der Volksvertretung und wird um zwei neue Parteien verstärkt: die Neue Wohlfahrtspartei (YRP) von Fatih Erbakan, dem Sohn des früheren Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan, und Hüda-Par, den politischen Arm einer islamistischen Gruppierung namens Hezbollah, die in den 90er Jahren das Kurdengebiet terrorisierte.

Moral und Keuschheit von Frauen gefordert

Beide Parteien vertreten ultrakonservative und islamistische Forderungen zur Frauen- und Familienpolitik. So fordert Hüda-Par eine Geschlechtertrennung in allen Lebensbereichen. Dienstleistungen an Frauen – etwa im Bildungs- und Gesundheitswesen – dürften nur noch von weiblichen Beschäftigten erbracht werden, heißt es im Wahlprogramm von Hüda-Par. Alleinstehende Frauen sollten unter staatlichen Schutz gestellt werden.

Die YRP fordert in ihrem Parteiprogramm die Förderung von „Moral, Keuschheit, Barmherzigkeit und Aufopferung“ bei Frauen. Ihr Vorsitzender Erbakan versprach im Wahlkampf, Unterhaltszahlungen an geschiedene Frauen zu kürzen. Beide Parteien setzen sich dafür ein, außerehelichen Geschlechtsverkehr strafbar zu machen und Homosexualität zur Perversion zu erklären.

„Dies ist für uns die letzte Ausfahrt!“

„Wir werden uns nicht der Finsternis ergeben“, lautet der Aufruf der Frauengruppe Linke Feministenbewegung, der von vielen Künstlerinnen unterzeichnet wurde. „Frauen, überlegt euch das gut“, warnt die Autorin Ayse Kulin vor der Stichwahl: „Dies ist für uns die letzte Ausfahrt!“