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Kim Kulig aus Poltringen bei Herrenberg will bei der Frauenfußball-WM glänzen.

Stuttgart - Vom SV Poltringen in die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft: Kim Kulig hat im Eiltempo ihre Träume verwirklicht. Bei der Heim-WM im Juli könnte die Bundesligaspielerin eine Hauptrolle übernehmen.

Umgeben von Feldern und Wiesen, zwischen Tübingen und Herrenberg, liegt Poltringen. Nicht einmal 2000 Einwohner zählt der kleine Ort. Eine Grundschule, ein Kindergarten, eine Turnhalle, zwei Sportplätze und einen Segelflugplatz - mehr gibt's dort nicht. Statt Stars und Glamour Landwirte und Idylle.

Doch hin und wieder ticken hier die Uhren anders, und ganz Poltringen steht kopf. Dann werden Pferde vor eine Kutsche gespannt, die Menschen tragen Schwarz-Rot-Gold und stehen am Straßenrand Spalier. Das geschieht immer dann, wenn Kim Kulig nach Hause kommt. Sie ist eine der Hoffnungen des deutschen Frauenfußballs und Repräsentantin der jungen Generation. Sie ist frech, hübsch und erfolgreich.

Kim Kulig ist 21 Jahre alt. Doch ihre Vita liest sich, als stehe sie kurz vor dem Ende ihrer Karriere. 2009 wurde sie Europameisterin mit der deutschen Nationalmannschaft, im vergangenen Jahr U-20-Weltmeisterin. Viele Experten sind sicher, dass sie bei der WM im eigenen Land vom 26. Juni bis 17. Juli eine der dominierenden Figuren sein wird.

Für Lothar Wütz-Botsch ist es, als wäre es gestern gewesen, als ein "blonder Junge" auf der Treppe neben dem Trainingsgelände des SV Poltringen saß und das Training der Jungs beobachtete. "Ich habe den Kim gefragt, ob er mitspielen will", erzählt der Jugendtrainer. Seine Jungs klärten ihn später auf, dass Kim ein Mädchen ist. Wütz-Botsch war das egal. Er hatte das Talent erkannt, förderte sie und schickte sie zum Stützpunkttraining. Der Anfang ihrer Karriere. Auch Rudi Orban erinnert sich genau an den Tag, als ein junges Ding beim VfL Sindelfingen an die Tür klopfte. "Kim war sehr ehrgeizig und talentiert bis in die Haarspitzen", sagt der Leiter der Frauen- und Mädchenfußballabteilung. "Sie wusste schon damals, dass sie in die Nationalelf will." Das Ziel haben in der VfL-Jugend viele - der Club gilt als exzellente Ausbildungsstätte. Kim Kulig hat es geschafft und erreicht, was sie wollte - im Eiltempo. Zuletzt spielte sie in der Bundesliga für den Hamburger SV, ab der kommenden Saison steht sie beim Pokalsieger 1.FFC Frankfurt unter Vertrag. Rudi Orban hat sie in den vergangenen zwei Jahren kaum gesehen. Hamburg ist weit weg, das Fußballbusiness stressig. Seit Weihnachten eilt Kulig von einem Termin zum nächsten. Sie macht TV-Spots, posiert für ein neues Plakat, sie lässt sich für Anzeigen stylen. Sie ist eben gefragt. Auch bei den Medien. Vor zwei Wochen war die ARD bei ihr zu Gast, um einen kurzen Film zu drehen, sie war auf dem Titel der ersten Ausgabe der "11 Freundinnen", zusammen mit Mladen Petric vom Hamburger SV stand sie in einem Interview Rede und Antwort. Siegfried Dietrich koordiniert inzwischen die Anfragen für Kulig, ohne Manager geht auch im Frauenfußball nichts mehr.

Die Welt der Medien hat wenig mit dem Leben zu tun, welches Kim Kulig in Poltringen geführt hat. Denn eigentlich steht Kim Kulig nicht so gern im Rampenlicht. "Bei uns ist sie nur aufgefallen, wenn sie den Ball am Fuß hatte", sagt Rudi Orban. Sie will Tore schießen, gut spielen, gewinnen. Aber Medienarbeit ist wichtig, klar. "Ich habe gelernt, damit umzugehen. Mir macht es jetzt auch Spaß, und ich mache meine Sache immer besser", sagt sie.

Stimmt. Bei der Gesprächsrunde der Lokalzeitung und der Sparkasse Herrenberg musste ihr keine Antwort aus der Nase gezogen worden. Sie lächelte, scherzte und redete sich in das Herz der Zuhörer. Sie plaudert darüber, dass sie immer noch die Bettwäsche des VfB Stuttgart im Schrank liegen hat, aber nur noch selten benutzt. Sie erzählt, dass sie zwischen den WM-Lehrgängen shoppen war und zeigt bereitwillig ihre Tätowierungen an den Armen. Sie lächelt in die Kameras, schreibt geduldig Autogramme und spricht über die Kunst, eine kopfballgerechte Frisur zu zaubern. Sie verrät, dass sie auf dem Fußballplatz Make-up trägt. "Ich gehe nie ungeschminkt aus dem Haus, fürs Spiel schminke ich mich nicht ab." Sie hat das Potenzial, die mediale Alleinherrschaft der Birgit Prinz zu durchbrechen.

Auch eher unbeteiligten Zuschauern fällt es leicht, sich die junge Frau einzuprägen. Ihre blonden Locken, beim Spiel straff über dem Kopf zusammengezurrt, machen sie unverwechselbar. Selbst ohne Locken würde Kim Kulig auf dem Fußballplatz auffallen. Sie hat ein gutes taktisches Verhalten, ist beidfüßig, in der Abwehr und im Angriff stark. Als brasilianisch wurde ihre Art zu spielen sogar schon bezeichnet. Und sie ist fast einen Meter achtzig groß - beste Voraussetzung für ihr tolles Kopfballspiel. "Eine komplette Fußballerin", nennt sie ihr Hamburger Trainer Achim Feifel. Sie bringe technisch alles mit. "Sie ist eine sehr intelligente Spielerin", sagt Bundestrainerin Silvia Neid. Und Steffi Jones, Präsidentin des Organisationskomitees der Weltmeisterschaft, sagt: "Sie hat eigentlich alles, was man sich wünscht." 

Nach jeder gewonnenen Meisterschaft steht Kuligs Heimatort kopf

Zumindest auf dem Fußballplatz. Kim Kulig wäre am liebsten öfter in Poltringen, dort, wo sie aufgewachsen ist, ihre Eltern und ihre fünf Geschwister leben. "Wir platzen fast vor Stolz", sagt ihre Mutter Anke Kulig. Die Mama würde die Tochter gern öfter umsorgen. Als Kim - nicht einmal volljährig - ans andere Ende von Deutschland zog, sei es schlimm gewesen. "Sie war ja dort alleine", sagt Anke Kulig. Wenn sie Zeit bei den Eltern verbringt, legt sich die Mutter ins Zeug. "Bei sechs Kindern kann sich zwar nicht immer alles um die Kim drehen", sagt Anke Kulig. Trotzdem steht sie dann hinterm Herd, damit Spätzle oder Maultaschen auf den Tisch kommen. Was typisch Schwäbisches eben.

Und gegen die Sehnsucht der Mama ist auch ein Mittelchen gefunden. Kim Kulig gibt es inzwischen quasi zum Anbeißen, und das direkt vor der Haustür. Sie hat einen Sponsorvertrag mit einer Ehninger Großbäckerei abgeschlossen, die nun die Kim-Kulig-Kruste verkauft. Das 1000-Gramm-Brot mit Sonnenblumenkernen kostet 3,05 Euro.

Außerdem ist der Umzug von Kim Kulig nach Frankfurt fast abgeschlossen. Eine nette Penthouse-Wohnung hat sie gefunden. "Sehr hübsch" sei sie, sagt Kulig, aber noch nicht ganz komplett eingerichtet. Sie müsse noch ein bisschen pendeln. WG-Mitbewohnerin und Teamkollegin Ana-Maria Crnogorcevic hat auch ein Mitspracherecht bei der Möblierung. Die inoffizielle Frauenfußball-Hauptstadt Deutschlands kennt Kulig noch nicht, doch in der wird Kulig sicher noch öfter von Kindern angestupst werden, die ein Foto oder ein Autogramm wollen. An ihr ist der Aufschwung im Frauenfußball messbar. Auch in Poltringen werden ihre Eltern immer häufiger angesprochen und gefragt, wie es "der Kim" denn so geht. "Jeder hier kennt mich und meine Familie inzwischen", sagt Kim Kulig. "Aber alle im Ort freuen sich mit uns", ergänzt die Mama.

Nach der letzten Europameisterschaft haben die Poltringer das bewiesen. Mit einer Kutsche - gezogen von vier Ponys - wurde der Fußballstar zu Hause abgeholt und zum Sportplatz gebracht, mit Vater Alfons und Mutter Anke an der Seite. Bei der Kirbe wartete eine jubelnde Meute - alle wollten die Goldmedaille sehen, alle wollten die Hand der Europameisterin schütteln.

Was geplant ist, wenn Kim Kulig mit einer WM-Medaille um den Hals heimkehrt, wird noch nicht verraten. Sicher ist: Auch dann steht Poltringen wieder kopf.