Mit dem Bild „Mühevolle Ehe“ (1930) stellte Hanna Nagel die Rollenverteilung infrage – ein Thema, das eher Frauen beschäftigt Foto: VG Bild-Kunst, Bonn

Ob eine Künstlerin oder ein Künstler eine Frau abbildet, ist irrelevant – sollte man meinen. Doch gibt es tatsächlich keine Unterschiede zwischen den Frauen-Darstellungen weiblicher und männlicher Kunstschaffender?

Stuttgart - Hätte die Mona Lisa weniger geheimnisvoll gelächelt, wenn sie statt eines Leonardo da Vinci eine Leonarda da Vinci gezeichnet hätte? Wäre Gustave Courbets Gemälde „L’Origine du Monde“ („Der Ursprung der Welt“, 1866) – ein direkter Blick auf einen Venushügel – genauso entstanden, wenn eine Künstlerin an seiner statt damit beauftragt worden wäre?

Oder andersherum: Hätte ein männlicher Künstler eine Frau nach einer Fehlgeburt je so dargestellt, wie die mexikanische Malerin Frida Kahlo es in dem Bild „Henry Ford Hospital“ (1932) getan hat – im Krankenhausbett liegend, mit einer Blutlache unter dem Unterleib, und den Fötus an der Nabelschnur am Himmel schwebend?

In der Region Stuttgart widmen sich im Moment gleich mehrere Ausstellungen der Frage, ob weibliche Künstler Frauen anders darstellen als ihre männlichen Kollegen. Die Schau „Die Neue Frau?“ in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen zeigt Werke von Künstlerinnen der Neuen Sachlichkeit, einer Kunstrichtung zu Zeiten der Weimarer Republik (1918 bis 1933). Die Ausstellung umfasst mehr als 170 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Grafiken von 17 Künstlerinnen wie Hilde Rakebrand, Lea Grundig und Jeanne Mammen, die das neue weibliche Selbstverständnis dieser Epoche darstellen sollen.

Die Neue Frau ist ein Übergangsgeschöpf

„Die Neue Frau ist kein statisches Modell, sondern ein Übergangsgeschöpf auf der Suche nach künftigen Rollenmustern“, sagt Isabell Schenk-Weininger, Leiterin der Städtischen Galerie. Ersichtlich wird dies etwa in dem Werk „Mühevolle Ehe“ (1930) von Hanna Nagel, auf dem eine Frau einen mit Paketen beladenen Karren zieht, in dem zudem zwei Säuglinge liegen. Ihr Mann lehnt sich lässig an den Wagen und schwingt eine Glocke – die Kritik ist deutlich.

Die Öffnung hin zu einer kritischeren Kunst verdanken deutsche Künstlerinnen nicht zuletzt ihrer Zulassung zu den Kunstakademien im Jahr 1919. Bis dahin war das Kunstschaffen ein überwiegend männliches Monopol, in dem künstlerisch ambitionierte Frauen nicht nur in der Unterzahl, sondern auch erschwerten Studien- und Ausbildungsbedingungen ausgesetzt waren. So war ihnen etwa die Arbeit mit Aktmodellen nicht gestattet – oft genug mussten sie sich mit einer Kuh als Vorlage begnügen.

Strikte gesellschaftliche Konventionen schränkten Künstlerinnen lange Zeit ein. „Die frühen weiblichen Selbstporträts der Renaissance zeigen Frauen züchtig und mit eng anliegenden Armen. Ihre männlichen Kollegen konnten sich dagegen viel freier porträtieren“, sagt Birgit Eiglsperger, Leiterin des Instituts für Kunsterziehung an der Universität Regensburg, den Stuttgarter Nachrichten.

Weibliche Selbstporträts als eigenständiges Genre?

In ihren Studien stützt sich Eiglsperger hauptsächlich auf die Erkenntnisse von Frances Borzello. Die Kunsthistorikerin ging bereits 1998 in dem Band „Wie Frauen sich sehen. Selbstbildnisse aus fünf Jahrhunderten“ auf die Unterschiede in den Selbstdarstellungen von Männern und Frauen ein und plädierte dafür, weibliche Selbstporträts als eigenständiges Genre in der Kunstlehre zu etablieren.

Unterschiede in den Frauenbildern von Männern und Frauen sieht auch Corinna Steimel, Leiterin der Städtischen Galerie Böblingen. Dort sind derzeit in der Schau „Die Klasse der Damen – Künstlerinnen erobern sich die Moderne“ Werke von Malerinnen und Bildhauerinnen zu sehen, die sogenannte Damenklassen an der Stuttgarter Kunstakademie besuchten. Diese erlaubten es Frauen bereits Jahrzehnte vor ihrer offiziellen Zulassung an den Akademien, ihre künstlerische Laufbahn zu fundieren.

„Der Blick dieser Künstlerinnen auf sich selbst ist ziemlich schonungslos“, findet Steimel. So zeigte sich Alice Haarburger mit Mitte 40 „mit ihren ganzen Sorgenfalten“. Helene Wagner porträtierte sich „niedergeschmettert und melancholisch“.

Der selbstkritische Blick der Frauen zieht sich wie ein roter Faden in die Gegenwartskunst hinein. 2005 zeigte sich die Malerin Maria Lassnig als über 80-Jährige nackt in dem Selbstakt „Zweifel“. Die essgestörte Künstlerin Rachel Lewis stellte sich 1989 bis auf die Knochen abgemagert dar.

Das schöne Geschlecht stellt sich nicht verschönernd dar

„Man könnte davon ausgehen, dass sich das schöne Geschlecht selbst verschönernd darstellt. Doch das ist nicht der Fall“, sagt Steimel. Indem die Künstlerinnen eigene Gefühle mit ins Spiel brächten, gingen ihre (Selbst-)Darstellungen außerdem oft über die Frauen-Bildnisse männlicher Künstler hinaus, sagt die Galeriechefin: „Weil Er nicht in Ihr Seelenleben blicken kann.“

Birgit Eiglsperger findet es vor diesem Hintergrund kaum verwunderlich, dass sich die Frauenbilder weiblicher und männlicher Künstler unterscheiden. Ein Mann, sagt sie, könne beispielsweise die Veränderung im Körper einer Frau bei der Geburt eines Kindes nicht nachvollziehen. Eine junge Mutter würde er deshalb anders darstellen, als es eine Frau tun würde, die Kinder hat. Darüber hinaus beschäftigten Themen wie häusliche Gewalt, der aktuelle Körperkult oder die Gleichstellung von Mann und Frau Künstlerinnen naturgemäß stärker als ihre männlichen Kollegen, so Eiglsperger.

Starre Kategorien skizziert sie aber nicht. Die Unterschiede in den Frauenbildern einzig auf das Geschlecht zurückzuführen greife zu kurz, sagt sie: „Künstler sind Individuen mit ganz unterschiedlichen Temperamenten.“ Die auf Geschlechter-Studien spezialisierte Bielefelder Kunstwissenschaftlerin Irene Below ergänzt: „Künstler nehmen Themen abhängig von dem Umfeld auf, in dem sie sozialisiert wurden, und behandeln sie dann aus ihrer individuell geprägten Perspektive.“ In der Gesamtzahl der Einflüsse, in denen Künstler sich bewegen, ist das Geschlecht also (nur) einer der Aspekte, die sich auf das künstlerische Schaffen auswirken – auch dann, wenn es sich um das (Selbst-)Bild einer Frau handelt.