Im Titelkampf duellierten sich Baby Allison (links) und Cory Zero. Foto: Günter Bergmann

Die Wrestling-Organisation Fury All-Women hat in der Vaihinger Österfeldhalle für ein kurioses Spektakel gesorgt. Warum die Titelverteidigern sich dabei wie eine 60-Jährige fühlt.

Der Abend in der Sporthalle der Vaihinger Österfeldschule ist schon fortgeschritten, als Sultan Suzu die ultimative Waffe hervorholt. Die rotgewandete Türkin, zuvor im Kampf mit mehreren Gegnerinnen vermöbelt worden, wirft einen Würfel TNT mitten in den Ring. Ein Aufschrei geht durchs Publikum, Augenblicke später liegen sechs Kontrahentinnen simultan auf den Brettern. Doch wer gedacht hat, dieses „Multi-Women-Match“ sei damit entschieden, wird schnell eines Besseren belehrt. Wie so üblich im Wrestling sind auch die Kämpfe von Fury All-Women Pro-Wrestling, dem Veranstalter des Events, von unvorhergesehenen Wendungen geprägt. Unter dem Motto „Brawl4Glory“ stehen an diesem Abend insgesamt vier reine Frauen-Kämpfe, auch genannt „Matches“, auf dem Programm, darunter das Duell um den Titel der noch jungen Organisation.

 

„Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass jemand TNT wirft, sonst hätte ich gewonnen“, meckert Violet Zante, die durch die Attacke ausgeschaltet wurde, in der Pause. „Aber man lernt daraus. Nächstes Mal werde ich vor der Explosion in Deckung gehen.“ Freilich, der Würfel besteht nur aus Schaumstoff, und explodiert ist schon gar nichts. Aber die Leverkusenerin ist auch nach dem Kampf noch voll in ihrer Rolle: der des Bösewichts, der das Publikum gegen sich aufstachelt. Die Sympathien der rund 160 Zuschauer gehören indes ihrer siegreichen Gegnerin. Nicht der TNT-werfenden Sultan Suzu, sondern einer Salzburgerin mit dem Kampfnamen Jessy F’n Jay, die sich in diesem zweiten Kampf des Abends das Goldene Ticket sichert. Damit kann sie bei den kommenden Fury-Events jederzeit einen Titelkampf erzwingen. Fortsetzung folgt also. Jessy F’n Jays letzte Botschaft ans Publikum, heruntergeschrien vom Ring: „Frauen sind fucking hardcore.“

Kurioses Frauen-Wrestling Spektakel in Stuttgart

Eine Premiere ist es unter den Zuschauern für Kevin Ricke, zumindest bei der weiblichen Wrestling-Variante. „Mich reizen besonders die vielen Gimmicks, die Wendungen und die verschiedenen Charaktere“, sagt er. Sein Onkel, der ihn vor 14 Jahren zum ersten Mal zu einem Wrestling-Event mitnahm, sitzt neben ihm – und ist offensichtlich auch eingefleischter Fan: Auf dem kahlrasierten Schädel prangt als Tattoo das WWE-Emblem. Jene amerikanische Wrestling-Organisation ist die größte der Welt und hat über die Szene hinaus bekannte Stars wie Dwayne Johnson, den Undertaker oder John Cena hervorgebracht. Längst ist die Schaukampf-Sportart über den großen Teich nach Europa geschwappt und wird in bester US-Unterhaltungsmanier fortgeführt.

Was für den unbeteiligten Beobachter mitunter reichlich bizarr anmutet, quittieren die Fans mit begeisterten „Ahs“ und „Ohs“. Spektakuläre Flugeinlagen wechseln sich mit aus den Ringseilen herauskatapultierten Bodychecks gegen die artig wartende Kontrahentin ab. Angetäuschte Schläge, Tritte und Fingerbrecher-Attacken samt entsprechender Reaktion der Angegriffenen sind teil des Schauspiels. Zu den erwähnten Gimmicks gehören an diesem Abend Computertastaturen, Klappstühle und rollende Transportboxen, die allesamt auf kreative Weise als Waffen fungieren. Ein geradezu ehrfürchtiges Raunen geht durch die Reihen, als Jessy F’n Jay eine Schüssel mit Legosteinen triumphierend in die Höhe reckt und hämisch auf dem Ringboden verteilt. Bei den „Bodyslams“ sind also zusätzliche Schmerzen programmiert.

Alles folgt einer durchorchestrierten Dramaturgie, die sich längst nicht nur auf den Ring beschränkt. Ein Highlight des Abends ist erreicht, als Diana Tano ihre korpulente Kontrahentin Su Yung mitten in die Sitzränge schleudert – nachdem die Zuschauer Gelegenheit hatten, Bier, Taschen und sich selbst in Sicherheit zu bringen. Die Interaktion mit dem Publikum ist elementarer Bestandteil des kuriosen Spektakels.

Cory Zero verteidigt in Stuttgart ihren Titel

Der vierte und finale Akt hält schließlich den Hauptkampf parat – es geht um nicht weniger als den Champion-Gürtel der noch jungen Wrestling-Organisation. Die Titelverteidigerin hört auf den Kampfnamen Cory Zero, eine schwarz gekleidete Französin. Ihr steht die Frankfurterin Baby Allison gegenüber, auch genannt „The Witch Bitch of Wrestling“. Schnell wird klar, dass der Hexe in Grün die Herzen der Zuschauer gehören. „0-6-9“, schallt es immer wieder durch die Sporthalle, in Anspielung auf die Vorwahl der Mainmetropole. Am Ende entscheidet aber die Titelträgerin mit beeindruckenden Flugeinlagen das Duell für sich. Auf einen sogenannten Frog Splash lässt sie einen „Flying Backflip“ folgen – ein Rückwärtssalto vom obersten Ringseil, der auf der am Boden liegenden Gegnerin endet.

„Es war ein harter Kampf, Allison ist eine echte Kämpferin – ich will noch ein Match mit ihr“, sagt die Siegerin später. Auf die Frage, ob sie Schmerzen habe, lässt die Frau aus der Bretagne dann die Maske fallen. „Jeden einzelnen Tag meines Lebens“, verrät sie und fügt lachend an: „Ich bin 23 Jahre alt, aber ich habe den Körper einer 60-Jährigen.“ Wie es für sie weitergeht? „I wanna defend the baby“, kündigt Cory Zero an, zurück in ihrer Rolle, und zeigt auf den Gürtel.

Wissenswertes

Wrestling
Die Mischung aus Sport, Schauspiel und Show stammt aus den USA. Das Ergebnis der Matches steht vorher fest, die meisten Abläufe sind choreografiert. Gekämpft wird in und um ein Seilgeviert, das einem klassischen Boxring gleicht. Fans schätzen die Action, das Storytelling und die Interaktivität.

Fury All-Women Pro-Wrestling
Die einzige deutsche Wrestling-Organisation, bei der ausschließlich Frauen auftreten, wurde 2024 von Marcel Durer und Jennifer Hellmig gegründet. Auch die Ringrichter sind weiblich. Die nächste Show steht am 25. April 2026 erneut in der Vaihinger Österfeldhalle an.

Aktueller Abend
Die Veranstaltung am vergangenen Wochenende in Vaihingen war die vierte und hatte das bislang größte Line-Up zu bieten. 14 Kämpferinnen aus Europa und den USA stiegen in den Ring. Als Titelverteidigerin trat die Französin Cory Zero an, die beim vorangegangenen Event im Mai gewonnen hatte.