Von 8 bis 18 Uhr im Büro sitzen und am Ende des Monats absahnen oder mit dem sinnstiftenden Job weniger Geld verdienen? Frauen haben oft andere Prioritäten als Männer. Foto: lassedesignen - Fotolia

Junge Frauen trauen sich nicht in den Chefsessel, so eine neue Studie von Deloitte. Doch ist dem wirklich so? Eine Personalplanerin, eine PR-Beraterin und eine Arbeitsvermittlerin widersprechen.

Stuttgart - Kind und Karriere? Geht das? Auch heute noch sehen viele Frauen nicht die Möglichkeit, einmal auf dem Chefsessel zu landen. Doch nicht nur die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie scheint den Damen im Weg zu stehen: Wirft man einen Blick auf die kürzlich erschienene „Millennial Survey 2015“, könnte man meinen, sie hätten nicht einmal Interesse am beruflichen Aufstieg.

 

Nach den Ergebnissen dieser Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte streben in Deutschland nur 29 Prozent der zwischen 1980 und 2000 geborenen Frauen eine Führungsposition an. Bei den Männern der Generation Y sind es mit 46 Prozent fast die Hälfte. Doch liegt das tatsächlich daran, dass Frauen sich eine leitende Position nicht zutrauen, wie Deloitte mutmaßt?

„Mich schreckt ab, dass man privat so zurückstecken muss“

Lisa Richter (Name geändert) arbeitet seit einem halben Jahr bei einem Automobilkonzern. Nach ihrem Masterstudium hat die 29-Jährige ein Traineeprogramm bei ihrem Arbeitgeber absolviert. Dass sie Karriere machen möchte, werde im Unternehmen vor diesem Hintergrund fast schon erwartet, sagt Richter. Sie würde sich eine Führungsposition durchaus zutrauen. Ob sie Karriere machen möchte, weiß sie aber noch nicht.

„Mich schreckt ab, dass man privat so sehr zurückstecken muss“, erklärt sie. Um 8 Uhr im Büro sitzen, frühestens um 18 Uhr nach Hause gehen und dann auf dem Sofa E-Mails checken – das wäre ihr auf Dauer zu viel.

Nur unter den richtigen Umständen könnte sich Richter vorstellen, in die oberen Etagen aufzusteigen. Sie möchte Kinder und diese „nicht nur kurz zum Gute-Nacht-Kuss sehen“. Ihr Arbeitgeber kommt Müttern zwar entgegen. Inzwischen können auch Führungskräfte in Teilzeit arbeiten. Aber eben nur, solange die Kinder noch klein sind. Richter versteht das: „Für die Mitarbeiter muss man als Führungskraft erreichbar sein. Da bietet sich Teilzeitarbeit nicht an. Doch für mich ist die Work-Life-Balance ein wichtiges Thema.“

Damit steht Lisa Richter nicht allein da. 60 Prozent der jungen Akademiker nennen eine gesunde Balance von Freizeit und Beruf ihr wichtigstes Karriereziel, wie aus der Umfrage „Young Professional Survey“ des Beratungsunternehmens Universum von 2010 hervorgeht.

Gesundheit und Familie haben höheren Stellenwert

Auch für PR-Beraterin Victoria Nowak aus Stuttgart (Name geändert) steht außer Frage, dass sie ihr Privatleben nicht für das große Geld opfert. „Ich hatte einmal eine Phase, in der ich mir sicher war, dass ich Karriere machen möchte. Ich leiste mir ab und zu gerne eine Kleinigkeit. Doch ich komme auch gut mit weniger Geld aus“, sagt die 26-Jährige.

Ihre Gesundheit und die Familie haben für sie einen weitaus höheren Stellenwert als ihr Job. Wenn es die Gelegenheit dazu gäbe, würde zwar auch Nowak den Sprung nach oben wagen – aber eben nicht zu jedem Preis: „Es würde davon abhängen, welche Position es wäre. Reizen würde mich nur ein Job, der mich erfüllt.“ Wäre die Arbeit bloß Mittel zum Zweck, hätte sie lieber mehr Freizeit als den dicken Bonus auf der Gehaltsabrechnung.

Frauen entscheiden sich tendenziell eher für den sinnvollen und erfüllenden Job als für den gut bezahlten, sagt auch Soziologin Sabine Pfeiffer von der Universität Hohenheim. Der Inhalt zähle für die Damen meist mehr als das Prestige und die Entlohnung. „Männer achten eher auf Geld und Karriere“, sagt Pfeiffer. Die jüngsten Ergebnisse der Deloitte-Umfrage hält sie dennoch für nicht repräsentativ. „Es wurden insgesamt 7800 Menschen in 29 Ländern befragt. Nur 300 kamen aus Deutschland. Davon waren bestenfalls 150 weiblich – von dieser Zahl kann man nicht auf alle deutschen Frauen der Generation Y schließen“, erklärt sie.

Und während Deloitte den Frauen Angst vor der Karriere unterstellt, zeigen andere Studien genau das Gegenteil – so etwa die Studie „Next Generation Diversity“ der Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers. Diese besagt, dass mehr als die Hälfte der Frauen daran glauben, das nötige Rüstzeug zu haben, um höchste Positionen bei ihrem Arbeitgeber zu erreichen. Mangelndes Selbstvertrauen? Wohl eher nicht.

Zwar lassen sich Frauen meist leichter verunsichern als Männer, sagt Pfeiffer. Oft unterschätzen sie die eigene Leistung, so die Soziologin. Im Bildungsweg seien sie häufig allerdings motivierter und erfolgreicher als Männer. Die Mehrheit der Hochschulabsolventen ist hierzulande weiblich.

„In Deutschland haben wir Geschlechtergleichheit noch nicht erreicht"

Nichtsdestotrotz liegt der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der 160 Unternehmen aus dem Leitindex Dax sowie den Nebenwertesegmenten M-Dax, Tec-Dax und S-Dax bei gerade einmal 18,9 Prozent. Von den Vorständen sind nur 5,8 Prozent weiblich. Sieht man über die Landesgrenzen hinaus, ändert sich kaum etwas: In weltweit umsatzstärksten Unternehmen (den Fortune 500) sind nur 4,6 Prozent der Vorstände Frauen – obwohl Frauen inzwischen rund 40 Prozent aller Arbeitskräfte stellen.

Doch warum ist das so? „In Deutschland haben wir die Geschlechtergleichheit noch nicht erreicht. Solange die Kinderfrage die Karriere-Bruchstelle bleibt, wird sich daran nichts ändern“, sagt Pfeiffer. Die Strukturen von Wirtschaft und Gesellschaft machen es Frauen nach wie vor schwer, in die Chefetage zu gelangen, urteilt die Soziologin. „Wenn der Nachwuchs erst da ist, suchen sich viele Frauen eine Teilzeitstelle, während der meist besser verdienende Mann wieder die Ernährerrolle übernimmt“, sagt sie. Die Chance auf Karriere ist damit meist passé.

Silvia Liebholz (Name geändert), die in einem Jobcenter in der Region Stuttgart arbeitet, ist sich dessen bewusst. Trotzdem möchte die 32-Jährige Kinder. Sie erwartet jedoch von ihrem Partner, dass auch er Elternzeit nimmt und sich an der Erziehung beteiligt. „Ich habe keine Lust, zu Hause zu bleiben, nur weil ich die Frau bin“, betont sie. Langfristig strebt Liebholz eine höhere Tätigkeit an. Dauerhaft als Arbeitsvermittlerin zu arbeiten ist ihr zu wenig. „Es ist mir wichtig zu zeigen, was ich kann“, sagt sie. Ganz nach oben möchte sie aber nicht. „Ich möchte etwas machen, das mir persönlich etwas bringt“, erklärt sie. Die Ellbogen würde sie für den Aufstieg jedoch nicht ausfahren. „Fairness ist mir wichtig. Wenn jemand besser ist, bin ich ganz ehrlich“, sagt Liebholz.

Vielleicht ist genau diese Einstellung das Verhängnis der Frauen, die es – obwohl hoch qualifiziert und arbeitswillig – nicht durch die gläserne Decke schaffen. „Historisch gesehen ist es schon lange so, dass sich Frauen um die Kindererziehung und die Altenpflege kümmern. Eine klare Karriereorientierung passt dazu nicht“, sagt Pfeiffer.

Doch die Soziologin gibt auch Hoffnung: „Das ist nichts, was sich nicht verändern lassen würde.“ Als ersten Schritt in diese Richtung sieht sie die Frauenquote, die 2016 in Kraft treten soll: „Die Quote wird zwar nur in den Dax-Unternehmen etwas verändern. Doch wenn junge Mädchen mehr Frauen als Vorbilder bekommen, wird das auf Dauer einen Unterschied machen.“