Noch immer verdienen Frauen im Schnitt 21 Prozent weniger. Seit gut einem Jahr kann man sich über das Entgelt von Vergleichspersonen des anderen Geschlechts informieren. Doch geklagt und eingefordert wird kaum.
Stuttgart - Vor dem nächsten Equal Pay Day (Tag der gleichen Bezahlung) am Montag unterstreichen die Gewerkschaften ihre Kritik, dass Frauen in Deutschland im Schnitt 21 Prozent weniger Gehalt bekommen als ihre männlichen Kollegen. Um die Lohnlücke (Gender Pay Gap) zu verringern, war im Januar 2018 das Entgelttransparenzgesetz eingeführt worden. Es gibt allen Frauen und Männern einen individuellen Auskunftsanspruch, wonach sich Beschäftigte über das Entgelt von Vergleichspersonen des anderen Geschlechts informieren können – wenn auch nur in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten. Dieses Gesetz erweist sich nach gut einem Jahr als praktisch wirkungslos.
Der WSI-Report der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat auf Basis einer großen Betriebsrätebefragung ergeben, dass „das Entgelttransparenzgesetz in den meisten Betrieben keine Aktivitäten ausgelöst hat“. In lediglich zehn Prozent aller Firmen hätten sich Beschäftigte an den Betriebsrat gewandt, um ihr Entgelt auf Lohndiskriminierung prüfen zu lassen – bei Betrieben mit 501 und mehr Arbeitnehmern sei in fast jedem vierten Unternehmen zumindest ein Auskunftsanspruch angestrebt worden. Die große Mehrheit der Firmen habe sich noch nicht damit befasst.
DGB-Vize fordert Nachbesserungen
Die Gewerkschaften, die für die Neuerung mit Macht gekämpft hatten, sehen sie heute lediglich als ersten wichtigen Schritt. „Das Gesetz hilft, ein Tabu zu brechen – mehr nicht“, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes (DGB), Elke Hannack, unserer Zeitung. Seitdem es existiert, werde vermehrt über Gehälter gesprochen. „Für ein wirksames Gesetz fehlt jedoch an vielen Stellen die Verbindlichkeit – Arbeitgeber und Teile der Union haben diese erfolgreich verhindert.“
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat erst vor wenigen Tagen eine Überarbeitung des Gesetzes in Aussicht gestellt. Die von Beginn an geplante Evaluierung soll „mit ersten aussagekräftigen Ergebnissen“ im Sommer vorliegen, kündigte sie an. Dann stelle sich die Frage, ob und wie nachgesteuert werden sollte.
Hannack forderte, die Inspektion für „deutliche Nachbesserungen“ zu nutzen. Denn eine Frau, die in einem Betrieb mit 199 oder weniger Beschäftigten arbeitet, habe nach dem geltenden Gesetz keinen Auskunftsanspruch. Allerdings arbeiteten zwei Drittel aller erwerbstätigen Frauen in kleinen und Kleinstbetrieben. „Das Gesetz muss auch für kleinere Betriebe gelten“, mahnt die DGB-Vize. Auch sollte es die Unternehmen verpflichten, ihre Entgeltpraxis zu überprüfen und Benachteiligungen zu beseitigen. „Zudem braucht es ein Verbandsklagerecht, damit Betroffene ihr Recht nicht selbst einklagen müssen.“
Landesarbeitsgericht zählt lediglich zwei Verfahren
Nach einer Umfrage des Landesarbeitsgerichts (LAG) bei den etwas mehr als 100 baden-württembergischen Arbeitsgerichten wurden seit dem Inkrafttreten erst zwei Verfahren mit Bezug auf das Gesetz in Gang gebracht – je eines in Pforzheim und Heidelberg. „Zwar habe ich nie mit einem Sturm auf die Arbeitsgerichte infolge dieses Gesetzes gerechnet“, sagte LAG-Sprecher Ulrich Hensinger unserer Zeitung. „Die geringe Fallzahl erstaunt aber auch mich.“ Er gehe davon aus, dass das Gesetz die Arbeitsgerichte auch in Zukunft nicht im großen Ausmaß beschäftigen werde. Bei dem vor dem Arbeitsgericht Pforzheim verhandelten Fall verlangt der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Überlassung der Entgeltlisten als elektronische Datei, um diese auszuwerten. Der Arbeitgeber ist aber lediglich bereit, der Gegenseite eine kurzzeitige Einsicht in die nach Geschlecht aufgeschlüsselten Listen über die Bruttolöhne zu gewähren. Das Ansinnen des Betriebsrats wurde vom Gericht zurückgewiesen.
Das Gesetz sieht vor, dass sich die sich benachteiligt fühlenden Frauen in tarifgebundenen oder den Tarifvertrag anwendenden Unternehmen zunächst an den Betriebsrat wenden. Grund ist die Erwartung der großen Koalition, dass sie in der Regel nicht direkt auf den Arbeitgeber zugehen mögen. Der Betriebsrat informiert den Arbeitgeber anonymisiert über das Auskunftsverlangen. Somit sind in den beiden Fällen auch Betriebsräte vor Gericht gezogen.
Ähnliche Erfahrungen wie die Arbeitsgerichte machen die Arbeitgeber Baden-Württemberg. Nach Auskunft der Bezirksgruppen wurden bisher „keine bis vereinzelte Anfragen“ von Mitgliedsunternehmen und „quasi keine strittigen Fälle“ verzeichnet, schildert ein Verbandssprecher. Einmal sei ein Antrag von der Firma abgelehnt worden, weil keine Vergleichsgruppe zustande gebracht worden sei. Von Klagefällen gebe es „null Kenntnis“.
„Richtig ist, dass bei reiner Zahlenbetrachtung Frauen im Durchschnitt weniger verdienen als Männer“, räumt der Sprecher ein. Aber die Unterschiede seien „allergrößtenteils durch andere Faktoren hervorgerufen als durch Diskriminierung“ – etwa durch unterschiedliche Erwerbsbiografien, Differenzen bei der Berufswahl, durch Unterbrechungen wie die Elternzeit oder auch Teilzeit. Diese Faktoren ließen sich nicht per Gesetz eliminieren. „Offensichtlich ist ein auf Diskriminierung begründeter Entgeltunterschied zwischen Frauen und Männern kaum nachweisbar“, resümiert der Sprecher. „Das Gesetz ist daher überflüssig.“ Schon zum Start hatten die Südwest-Arbeitgeber das Gesetz als „elementaren Eingriff in die Vertragsfreiheit der Unternehmen“ gebrandmarkt.
Sein Gutes hat das Gesetz offenbar doch: Über zwei Jahre seien in gut einem Drittel der Betriebe die Entgeltstrukturen überprüft worden, konstatiert die Böckler-Stiftung. Demnach hat das Gesetz schon im Vorfeld eine indirekte Wirkung gehabt. Gleichwohl empfehlen die Experten, die Firmen auf die Prüfung der Lohnstrukturen zu verpflichten. Und die Schranken für den Auskunftsanspruch müssten gesenkt werden. „Es scheint dringend angeraten, die gesetzlichen Bestimmungen zu verschärfen, um mehr Betriebe in die Pflicht zu nehmen“, heißt es im WSI-Report.