Bei der deutschen Frauen-Nationalelf um Torhüterin Ann-Katrin Berger und Sara Doorsoun (Nr. 23) hat es zuletzt – wie hier gegen Brasilien – mächtig geholpert. Foto: imago//Ines Hähnel

Die Bundestrainerin reist nach Australien. Dabei will sie auf die Herausforderungen der Fußball-WM einstellen. Diese werden für die deutschen Spielerinnen in Down Under absehbar größer sein als bei der vergangenen EM in England.

Martina Voss-Tecklenburg weiß selbst, dass diese Dienstreise mit einigen Strapazen verbunden ist. Am Montag in den Flieger nach Australien zu steigen, um sich für drei Tage am Schauplatz der kommenden Frauen-WM (20. Juli bis 20. August) umzusehen, ist der Bundestrainerin indes enorm wichtig. Sie möchte „fühlen, sehen und spüren“, was die Vize-Europameisterinnen auf der anderen Seite der Erdhalbkugel erwartet. „Es wird ganz anders als die EM der kurzen Wege in England.“

Neben Co-Trainerin Britta Carlson zählen auch Greenkeeper Sebastian Breuing und Teammanagerin Jessica Ewald zu ihrer Reisegruppe, um rund ums Basecamp in Wyong fast 100 Kilometer nördlich von Sydney die Bedingungen zu inspizieren. Auf der Rückreise wird sie direkt in London landen, um das Champions-League-Rückspiel des VfL Wolfsburg beim Arsenal mit mehr als 50 000 Fans zu sehen. „Ein toughes Programm“, nannte die 55-Jährige die Tour bei einem Medientermin in der DFB-Akademie.

Geplant ist ein straffes Vorbereitungsprogramm

Selbiges gilt für ihre Spielerinnen, die zuletzt dem Heldinnenstatus nicht ganz gerecht wurden. Die Länderspiele gegen Schweden (0:0), die Niederlande (1:0) und vor allem das gegen Brasilien (1:2) verliefen allesamt sehr zäh. Doch die neuerdings bis 2025 an den Verband gebundene Fußballlehrerin ist deswegen nicht beunruhigt. „Die Sicherheit ist nicht da“, gab die Bundestrainerin zu, aber dafür gebe es in der „hochbelasteten Phase“ auch gute Gründe. Genau wie vor dem Insel-Trip vor einem Jahr soll vor dem Down-Under-Abenteuer eine ausgedehnte Vorbereitung in Herzogenaurach alles zusammenbringen.

„Wir haben viel Trainingszeit, wir werden die Inhalte priorisieren. Wir lassen uns nicht verrückt machen.“ Auch der für den deutschen Markt drohende TV-Blackout fechte sie nicht an. „Ich weiß, dass man sich einigen wird. Ich bin ein sehr positiv denkender Mensch.“ Gleichwohl sind die Verhandlungen zwischen der Fifa auf der einen und ARD und ZDF auf der anderen Seite festgefahren.

Ein großes Feld an Titelanwärtern

Titelansprüche werden beim zweifachen Weltmeister nicht offensiv formuliert. „Wir sollten das Selbstverständnis haben, um den Titel zu spielen“, bekundete Voss-Tecklenburg eher vorsichtig. „Wir wollen mit Spaß, Leidenschaft und Power dabei sein. Dann verzeiht man auch mal einen Fehler.“ Zum Kreis der Titelanwärter zählt sie aufgrund der gestiegenen Konkurrenz inzwischen zehn, elf Nationen.

Die Bundestrainerin glaubt, dass auch die mentale Komponente zu mancher Verkrampfung in den Länderspielen geführt habe. „Der Druck ist bei den Spielerinnen relativ groß. Es ist kein Selbstverständnis, dass diejenige, die bei der EM dabei war, auch mit zur WM kommt.“ Das ist insofern interessant, als dass der 23er-Kader diesmal erst nach der Vorbereitung benannt wird.

Die Aufmerksamkeit ist gestiegen

Überlegt wird zudem, ob ein oder zwei Akteure als Back-up mitreisen. Denn Voss-Tecklenburg will explizit Leistungsträgerinnen wie Giulia Gwinn nach ihrem Kreuzbandriss die Tür offen halten; mit Kapitänin Alexandra Popp ging ein ähnliches Wagnis bei der EM bekanntlich auf. Inzwischen ist die Torjägerin das bekannteste Gesicht des deutschen Frauenfußballs. Daran sehe man, was geschafft worden sei, erzählte die tatendurstige Trainerin: „Wenn ich vor drei, vier Jahren am Platz die Leute gefragt habe, welche Nationalspielerin sie kennen, nannten sie Alexandra Popp und vielleicht Almuth Schult – viel mehr aber nicht. Das ist anders geworden.“

Die gestiegene Aufmerksamkeit ist zuletzt am Wochenende eindrucksvoll bezeugt worden. Mehr als 60 000 Besucher strömten insgesamt zum Bundesligaspiel des 1. FC Köln gegen Eintracht Frankfurt (0:2) sowie zum Champions-League-Halbfinale des VfL Wolfsburg gegen Arsenal (2:2). „Für mich als Bundestrainerin ist das natürlich ein cooles Projekt“, sagte Voss-Tecklenburg. Dass die Spielerinnen neuerdings ihr eigenes Wort nicht verstünden, „weil die Ultras bei einer Ecke so laut pfeifen“, bezeichnete sie als wertvollen Lerneffekt.

Voss-Tecklenburg fehlen in Deutschland die Visionen

Ausdrücklich nahm Voss-Tecklenburg die Clubs der Frauen-Bundesliga in die Pflicht. „In England haben alle Vereine die Vision, nach oben zu kommen.“ Dass sich manch deutscher Lizenzverein allein darauf beschränke, im Frauenfußball Talente lediglich zu entwickeln, sei auf Dauer zu wenig: „Das kann bei uns nicht der Weg für die Zukunft sein. Dann werden wir an der einen oder anderen Stelle überholt.“