Bundestrainerin Silvia Neid arbeitet an der Zukunft des Frauenfußballs und an einem Erfolg bei der Weltmeisterschaft in Kanada Foto: Getty

Volle Stadien, bekannte Gesichter, ein breites Interesse: Die Erwartungen nach der Fußball-WM der Frauen 2011 waren riesig, erfüllt haben sich fast keine. Vom Turnier in Kanada, das in der Nacht zum Sonntag begonnen hat, ist ein schneller Wandel ebenfalls nicht zu erwarten.

Stuttgart - Pauline Bremer – nie gehört? Tabea Kemme und Jennifer Cramer – ebenfalls unbekannt? Alle drei sind Fußballerinnen, alle drei stehen im Aufgebot der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Kanada, und alle drei sind wohl nur ausgewiesenen Frauenfußball-Fans ein Begriff.

Vom Rausch der Heim-WM 2011 ist nicht viel übrig. Zumindest keine vollen Stadien, Stars oder größeres Interesse. „Die Erwartungen waren 2011 einfach zu hoch“, meint Tatjana Haenni. „Wer gedacht hat, die Bundesliga boomt nach dem Turnier, hatte keine Ahnung“, sagt die stellvertretende Direktorin beim Weltverband Fifa, zuständig für Frauenfußball-Wettbewerbe.

Vor vier Jahren waren die WM-Arenen in Deutschland voll mit jubelnden Fans in Schwarz-Rot-Gold, 26 400 Zuschauer kamen im Schnitt ins Stadion. Eine einmalige Angelegenheit, denn die Bundesliga war und ist von solchen Werten weiter entfernt als Thailand vom WM-Titel. In der vergangenen Saison waren durchschnittlich 1013 Anhänger bei den Ligaspielen. Der Frauenfußball ist im Alltag angekommen.

Dass die Liga nicht von der Heim-WM profitierte, wundert Professor Christoph Breuer von der Deutschen Sporthochschule Köln nicht. „Untersuchungen, auch in anderen Sportarten, haben gezeigt, dass es solch einen Effekt bei den meisten Großveranstaltungen nicht gibt“, erklärt er. Denn langfristig würden nicht die Events entscheiden, welcher Sport konsumiert und ausgeübt wird, sondern Eltern, Freunde und das Angebot, das vielerorts noch ausbaufähig sei.

Ein weiterer Faktor für den ausbleibenden Ansturm: das frühe deutsche WM-Aus 2011. Bereits im Viertelfinale war gegen den späteren Weltmeister Japan Schluss – viel früher als erwartet. „Stars produzieren sich aber durch sportlichen Erfolg“, sagt Breuer. Negative Auswirkungen gab es durch das Aus zwar keine, nützlich „war es dennoch nicht“.

Die Frauenfußball-Vereine in Deutschland hatten übrigens selbst nur geringe Erwartungen an die Nachhaltigkeit der Weltmeisterschaft. Auch Bernd Schröder, Trainer des Bundesligisten Turbine Potsdam, hatte schon vor der WM 2011 prognostiziert, dass es keinen Boom geben wird. „Die Nationalmannschaft alleine schafft das nicht“, sagt er. Auch das Produkt Bundesliga müsse überzeugen. Dauerhaft und nicht nur an der Spitze, die aus nur vier Teams besteht. Hinter dem Spitzenquartett FC Bayern München, VfL Wolfsburg, 1. FFC Frankfurt und Turbine Potsdam kommt jedoch 20 Punkte lang nichts – dann erst die SGS Essen.

Die Bundesliga wurde von der Realität eingeholt, die Nationalmannschaft ebenfalls. Selbst Länderspiele sind kein Selbstläufer mehr. Trotz des EM-Titels sackte der Zuschauerschnitt der deutschen Elf in der WM-Qualifikation auf 7361 ab. „An der Qualität des Frauenfußballs liegt es nicht, aber der Aha-Effekt ist verpufft“, meint Bernd Schröder. Fußballerinnen sind heute eben nicht mehr exotisch und Titel der Nationalmannschaft keine Besonderheit mehr. Zudem sei die Konkurrenz groß, nicht nur wegen des Männerfußballs. „Wer hat schon Zeit, Tag und Nacht an Frauenfußball zu denken?“, fragt Schröder.

Die Lehramtsstudenten mit Fachrichtung Sport in Ludwigsburg jedenfalls nicht. „Viele wussten überhaupt nicht, dass in diesem Sommer eine Fußball-WM der Frauen stattfindet“, erzählt Annette Hofmann, Professorin an der Pädagogischen Hochschule, „solange die Männer spielen, ist kein Platz für Frauenfußball.“ Außerdem sei auch die Zeitverschiebung nicht gerade ein Anziehungsmagnet für Sponsoren und Werbekunden. Deshalb rechnet Hofmann auch nicht damit, dass die WM in Kanada zu einem Erfolgserlebnis wird – zumindest nicht, was den Stellenwert des Sports betrifft.

Die Zukunft des Fußballs ist eben noch lange nicht weiblich, auch wenn der scheidende Fifa-Präsident Joseph Blatter vor 20 Jahren etwas anderes versprochen hatte. Auf eine solch rosige Zukunft warten die Fußballerinnen immer noch. Bei der Fifa ist man inzwischen weitsichtiger. „Die Entwicklung des Frauenfußballs braucht Zeit“, sagt Tatjana Haenni. Nicht nur in Deutschland, wo ihrer Meinung nach schon „sehr professionell gearbeitet wird“.

Erst 1991 gab es die erste offizielle Weltmeisterschaft. Zwölf Mannschaften waren am Start. In Kanada werden es erstmals 24 sein. „Es gab eine rasante Veränderung“, meint Haenni. Eine, die noch nicht abgeschlossen sei. „Der Männerfußball musste sich auch erst entwickeln. Wieso soll das langfristig nicht auch den Frauen gelingen?“ Wichtig dafür seien Zeit und ein guter Plan.

In Potsdam, dem Verein in der Bundesliga mit den meisten Zuschauern – im Schnitt kommen 2127 Fans zu den Spielen – haben sie ein Konzept: „Wir wollen guten, interessanten Fußball zeigen und ein Klima schaffen, in dem sich die Zuschauer wohlfühlen“, erklärt Schröder. Ein paar erfolgreiche Nationalspielerinnen im Aufgebot runden das Angebot ab. Was das betrifft, sind nun die Potsdamerinnen Pauline Bremer, Tabea Kemme und Jennifer Cramer gefragt. In Kanada können sie sich einen Namen machen.