Die Lawine war ungewöhnlich breit, die Ortung funktionierte nicht, die Retter kamen spät – eine Verkettung unglücklicher Umstände hat dazu geführt, dass in den Tiroler Alpen ein Mädchen und seine Mutter ums Leben kamen. Die Polizei in Italien ermittelt.
Ludwigsburg/Bozen - Die Homepage des Vereins ist abgeschaltet, seit Mittwochabend ist nur noch die Startseite erreichbar. „Die Schneeläuferzunft Ludwigsburg trauert... unsere Gedanken sind bei den Angehörigen“, steht dort in großen Buchstaben. Noch am Vortag hätte man an dieser Stelle viele Links anklicken können, etwa zur Übersicht mit Fotos der Rennsemmeln, der Nachwuchssportler des Clubs. Die Bilder zeigen Kinder, eingepackt in Skihelme und dicke Jacken, fröhlich lachend. Doch seit Mittwoch, 14.04 Uhr, ist alle Fröhlichkeit, die diesen Verein ausmachte, der Trauer gewichen. Seit bei einem Lawinenunglück in Südtirol eine 45 Jahre alte Mutter und ihre elfjährige Tochter in den Tod gerissen wurden.
Beide stammten aus Ludwigsburg, beide waren Mitglieder der Schneeläuferzunft, beide galten als hervorragende Skiläuferinnen. Das Gleiche gilt für den Vater, der die Tragödie mitansehen musste. „Aus Respekt vor den Angehörigen werden wir keine Stellungnahme abgeben“, sagt Thomas Mayer, der Sprecher des Skivereins. Aufgabe der Polizei in Bozen ist es, den genauen Hergang des Unglücks zu rekonstruieren.
Die Skiläufer aus Ludwigsburg waren sich des Risikos offenbar bewusst
Fest steht bislang, dass die Skifahrer auf der Haideralm oberhalb des Reschensees unterwegs waren, nahe der österreichisch-italienischen Grenze. Sie waren Teil einer Gruppe, die aus einem weiteren Kind und weiteren sechs Erwachsenen bestand: allesamt Mitglieder der Schneeläuferzunft, die seit vielen Jahren regelmäßig Ausfahrten, Familienfreizeiten und Trainingscamps auf der Haideralm organisiert. Nach Informationen unserer Zeitung hatten die Rennläufer schon am Vormittag mehrfach die reguläre Piste verlassen, um an einem Hang durch Tiefschnee zu gleiten. Verboten ist das nicht, die Stelle war nicht abgesperrt. Gleichwohl herrschte am Tag des Unglücks Lawinenwarnstufe 3 von 5, das heißt: erhebliche Gefahr.
Das sind die Lawinenwarnstufen:
Dass die Lawine tödliche Folgen hatte, ist auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückzuführen. Aus sicherer Quelle hat diese Zeitung erfahren, dass die Skiläufer aus Ludwigsburg sich des Risikos bewusst waren und den Hang daher einzeln querten, einer nach dem anderen. Beim letzten Fahrer löste sich das mit rund 150 Metern ungewöhnlich breite Schneebrett. Sechs aus der Gruppe retteten sich in ein angrenzendes Waldstück, einer wurde verschüttet, konnte sich aber selbst befreien. Die 45-Jährige und die Elfjährige jedoch wurden voll von den Schneemassen erfasst. Die Mutter soll noch versucht haben, ihrer Tochter zu helfen – und schaffte es dann nicht mehr rechtzeitig, ihren Lawinen-Airbag auszulösen, der die Überlebenschancen deutlich gesteigert hätte.
Diese Lawinenarten gibt es:
Wegen des starken Winds konnte die Bergwacht den Helikopter nicht einsetzen
Obwohl der Rucksack der Mutter darüber hinaus mit einem Ortungssystem ausgestattet war, gelang es den anderen Skifahrern nicht, die Verschütteten zu finden, weil sich die Wetterverhältnisse innerhalb kürzester Zeit dramatisch verschlechtert hatten. Der starke Wind und Schneefall verhinderten außerdem einen Helikoptereinsatz, weshalb die Bergwacht vergleichsweise spät zum Unglücksort gelangte. Als die Retter die Opfer nach einer Stunde bargen, beide lagen übereinander in zirka einem Meter Tiefe, war das Mädchen tot. Die Mutter starb kurze Zeit später im Krankenhaus.
Der Einsatzleiter der Bergrettung Reschen sagte wenige Stunde danach gegenüber der Neuen Südtiroler Tageszeitung, dass er davon ausgehe, die Gruppe habe die Lawine selbst ausgelöst. Die Deutschen seien immer fahrlässiger geworden und hätten sich immer weiter von der Piste entfernt. Trifft dies zu, könnte das juristische Folgen haben, denn das Auslösen einer Lawine ist in Italien ein Straftatbestand. Die italienische Nachrichtenagentur ANSA jedoch hat am Donnerstag vor Ort recherchiert und mit anderen Bergrettern gesprochen. Demnach befand sich die Gruppe auf einer Höhe von 2100 Metern, als das Schneebrett in 2600 Metern Höhe abriss. Die große Differenz macht es extrem unwahrscheinlich, dass die Skifahrer selbst für das Unglück verantwortlich sind. Der zuständige Experte der Agentur geht davon aus, dass es sich um seine Spontanlawine handelte, die ohne Fremdeinwirkung abging.
Die Lawinen-Ausrüstung:
Die Überlebenden werden derzeit von der Polizei in Bozen befragt
Die Bozener Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen eingeleitet, seit Mittwoch werden die Überlebenden von der dortigen Polizei befragt. Dabei, betont ein Sprecher, handle es sich nicht um Verhöre, sondern um Anhörungen – mit dem Ziel, „mehr über die Dynamik des Geschehens zu erfahren“. An diesem Freitag werden die Mitglieder der Schneeläuferzunft wohl nach Deutschland zurückkehren. Nach Angaben der Verwaltung der Provinz Bozen handelte es sich um das erste Lawinenunglück in den Südtiroler Alpen in diesem Jahr.