Pio Marmai und Adèle Haenel in „En liberté“, dem Eröffnungsfilm der Französischen Filmtage Foto: Festival

Auf die Komödien, die bei den Französischen Filmtagen gezeigt werden, muss sich das deutsche Publikum einlassen - dann kann es viel über Frankreich lernen, glaubt der Festivalleiter Christopher Buchholz.

Stuttgart - Nach einer Razzia in einem SM-Club sitzt ein älterer Herr, noch in Lack und Leder, beim Verhör im Polizeipräsidium. Er streitet Vorwürfe von Drogenkonsum und Sex mit Minderjährigen ab und gibt an, nur rein zufällig dort gewesen zu sein. Der Polizist reicht ihm ein Formular und sagt: „Also gut. Bitte unterschreiben Sie hier, Pater.“ „En liberté!“ heißt das Werk, das die Französischen Filmtage 2018 einläutet, am Mittwoch in Tübingen und am Donnerstag im Delphi in Stuttgart, und die Szene ist typisch für eine französische Komödie. Wo Franzosen herzhaft lachen, kommen Deutsche nicht selten an ihre humoristischen Grenzen. Schon bei Louis De Funès’ skurril aneinandergereihten cholerischen Anfällen fragten sich viele Deutsche: Was macht der Mann da? Warum stellt er sich so an? Französische Zuschauer hielten sich derweil den Bauch vor Lachen.

„Der französische Humor unterscheidet sich vom deutschen in vielen Punkten“, sagt der Schauspieler und Festivalleiter Christopher Buchholz. Im Lauf der Geschichte habe sich eine deutsche Mentalität entwickelt, die sich mit französischem Humor schwertut. Er muss es wissen, er ist mit einem deutschen Vater (Horst Buchholz) und einer französischen Mutter (Myriam Bru) aufgewachsen in Frankreich, den USA und der Schweiz, er kennt die Kulturen also von innen kennt und kann sie zugleich von außen betrachten. Seine Lösung: Entspannung.

Deutsche müssen die Logik über Bord werfen

„Es kommt in erster Linie darauf an, wie die Zuschauer an Filme herangehen“, glaubt Buchholz. „Die Deutschen sind diesbezüglich etwas verkrampft. Trotzdem stelle ich fest, dass sie die französischen Komödien mögen, wenn sie sich einmal darauf eingelassen haben.“ Es sei wichtig, einen Film nicht logisch erfassen zu wollen, sondern sich einfach treiben zu lassen. Wenn das gelinge, öffne sich eine ganz neue Dimension. Loszulassen empfiehlt der Festivalleiter dabei nicht nur mit Blick auf die Komik, sondern auch hinsichtlich der Handlung selbst, „die auf das deutsche Publikum auf den ersten Blick manchmal banal oder skurril wirkt.“ Ein Beispiel dafür ist die Komödie „Le doudou“, die am 7. November im Delphi 1 zu sehen sein wird: Sie handelt von einem am Flughafen verlorenen Kuscheltier.

Komödien können viel über ein Land verraten

Buchholz glaubt, die deutsche Verspannung habe mit der Vergangenheit zu tun, speziell mit der Nazizeit: „Die Deutschen haben durch ihre Geschichte ein Stück weit ihren Humor verloren“, sagt er etwas zugespitzt. „Aktuelle deutsche Komödien sind zwar handwerklich gut, aber viele atmen nicht genug“, analysiert der Festivalleiter. Dabei seien Komödien besonders gut geeignet, ein Land nach außen zu repräsentieren. „Die ganze Welt weiß, wie die Franzosen lachen, weinen, essen und lieben, weil solche Sachen in Komödien häufig vorkommen“, erklärt der Festivalleiter. „Das fehlt mir in Deutschland ein bisschen.“

Keine Angst vorm Thema Sex

Schwer verdaulich sei für das deutsche Publikum zudem das Thema Sex, mit dem die Franzosen alles andere als zimperlich umgehen. Ein Beispiel dafür ist der Film „Au genoux les gars“, der am 2. November im Delphi 1 läuft: Die Teenie-Komödie greift Themen auf, die sich an der Grenze des guten Geschmacks bewegen, thematisiert zugleich aber auch die Probleme der Jugendlichen in den Banlieues.

Ob Sozialkomödie, Slapstick oder Sex-Klamotte: Wichtig sei, dass man Freude an den Filmen habe, sagt Buchholz. Und verspricht: „Wer sich mitreißen lässt, kann aus den Komödien viel über die französische Kultur lernen.“

Festival Die Französischen Filmtage zeigen frankofones Kino aus aller Welt. Am 31. Oktober werden sie in Tübingen im Museum eröffnet, am Donnerstag in Stuttgart im Kino Delphi

Programm In der Tragikomödie „Monsieur et Madame Adelman“ (6. 11.) droht die leidenschaftliche Beziehung eines Schriftstellers und seiner Frau am Alltag zu zerbrechen, in „En Guerre“ (7. 11.) kämpfen Fabrikarbeiter gegen große Wirtschaftskonzerne. Der Horror-Thriller „Climax“ (3. 11.) dreht sich um eine Gruppe von Hip-Hop-Tänzern, für die sich nach gemeinschaftlichem Drogenkonsum eine Welt voller Abgründe auftut. Am Afrikatag, traditionell sonntags (4. 11.), gibt es drei Blickwinkel vom anderen Kontinent zu erleben und den mauretanischen Ehrengast Med Hondo. (ilz)