Christopher Buchholz, Leiter der Französischen Filmtage Tübingen/Stuttgart Foto: Filmtage

Christopher Buchholz, Leiter der Französischen Filmtage, erklärt, was die Stuttgarter Zuschauer in diesem Jahr erwartet. Ein Schwerpunkt: Literatur-Verfilmungen.

Stuttgart - Der Weltbürger Christopher Buchholz, Sohn der Schauspieler Horst Buchholz und Myriam Bru, hat dem Festival neuen Esprit eingehaucht.

Herr Buchholz, ist es ein guter Jahrgang?
Ein sehr guter, und unser Programm in Stuttgart ist fetter denn je. Wir kooperieren mit dem Literaturhaus, dem Haus der Geschichte und dem Linden-Museum. In Tübingen zeigen wir 80 Spielfilme, Stuttgart bekommt eine Auswahl, eine Mischung aus anspruchsvoll und publikumsfreundlich.
Im Eröffnungsfilm „Cherchez la femme“ verschleiert sich ein Mann, um seine Freundin sehen zu können, deren Bruder Islamist ist.
Das ist der erste Film der Regisseurin Sou Abadi, und man sieht, dass sie sich von Billy Wilder hat inspirieren lassen: Ohne Klischees und ganz leicht macht sie sich über Islamisten lustig. Sie wird anwesend sein.
Wieso ist das Cinéconcert im Literaturhaus?
Weil wir die Émile-Zola-Verfilmung „Au bonheur des dames“ von 1930 zeigen. Da kommt ein Mädchen aus der Provinz nach Paris und macht Karriere in einem Warenhaus. Für die musikalische Untermalung sorgen die DJs von Radiomentale aus Paris. Zum Regisseur Julien Duvivier habe ich eine besondere Beziehung, mein Vater hat mit ihm 1955 seinen ersten Film „Marianne“ gedreht. Meine Mutter sollte 1952 in seinem Film „Don Camillo und Peppone“ mitspielen, hat sich aber auf Wunsch eines Produzenten die Nase machen lassen. Als Duvivier sie hinterher gesehen hat, war er entsetzt, hat ihr die Rolle entzogen und gesagt: „Madame, Ihre Karriere ist vorbei!“ Sie wurde dann in Italien ein Star.
Sie haben viel Literatur im Programm, die Pierre-Véry-Verfilmung „L’assassinat du Père Noël“ von 1941, Maupassants „Une vie“ . . .
Frankreich war ja Gastland der Frankfurter Buchmesse, dem wollten wir Rechnung tragen. „L’assassinat du Père Noël“ hat die Firma Continental während der Besatzung produziert. Das waren hochgebildete Leute, die auf Goebbels’ Vorgaben gepfiffen und gute Filme gedreht haben – mit Billigung hochgebildeter deutscher Offiziere.
Worum geht es im Dokumentarfilm „En quête de sens“ im Linden-Museum?
Um Ökologie und Nachhaltigkeit. Ein Filmemacher und ein Ex-Börsenmakler reisen um die Welt und treffen Leute wie Muhammad Yunus, den Erfinder der Mikrokredite, und die pakistanische Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai. Dabei forschen sie nach dem Sinn des Lebens.
Sie haben auffallend viele Filme über junge Menschen im Programm . . .
Ja, Tony Gatlif erzählt in „Djam“ von einer jungen Frau, die im prallen Leben in Istanbul versinkt, „Ava“ von einem wilden Mädchen, das zu erblinden droht. Wir haben aber auch reife Frauen, Juliette Binoche ist im bissigen Drama „Un beau soleil intérieur“ als unglückliche Künstlerin zu sehen.
In „Wallay“ wird ein delinquenter junger Schwarzer aus der Banlieue vom Vater zur Strafe in dessen Herkunftsland Burkina Faso geschickt.
Er denkt erst, er fährt zur Verwandtschaft in die Ferien. Aber dann stellt er fest, das es dort nicht mal Strom gibt, dass sein Handy nutzlos ist. Er fühlt sich als Franzose und in Afrika fremd. Das ist ein toller Beitrag zum Thema Integration. Ich kann das nachvollziehen, ich bin Amerikaner, Franzose und Deutscher und habe auch immer das Gefühl, nie ganz dazuzugehören. Im Herzen bin ich Franzose, und ich sehe schon manches kritisch in Deutschland. Aber ich habe den Ehrgeiz, durch meine Arbeit etwas verändern zu können – leider dauert das viel länger, als man hofft.
Was fällt Ihnen in Deutschland auf?
Viele Deutsche tendieren dazu, alles im Bauch zu behalten, bis sie irgendwann explodieren. Ich bin romanisch geprägt und komme besser mit Italienern zurecht – die schreien und meckern ständig ein bisschen, dafür ist es dann schnell wieder gut. Deutsche sind auch sehr moralisch, da muss man nur mal über eine rote Fußgängerampel gehen. Und sie machen vieles nach Vorgabe, erst A, dann B, C und D. Franzosen versuchen, direkt von A zu D zu kommen, das macht sie sehr kreativ.