Der langjährige Foto: dpa

Viele Verdienste, viele Skandale – auch über ein Vierteljahrhundert nach Franz Josef Strauß' Tod wird um das angemessene Urteil dieser schillernden Persönlichkeit leidenschaftlich gerungen.

München - Franz-Josef Strauß war nicht der Mann, der im Bett stirbt. Auf dem Weg zur Hirschjagd ist er zusammengebrochen. „Wie ein Baum, den man fällt“, sagte ein gewisser Kardinal Josef Ratzinger auf der Beisetzung. Dem Trauerzug in München wohnten 100 000 Menschen bei. Am 3. Oktober 1988 war das. In Bayern hatte Strauß längst monarchischen Status erlangt. „Ich brauche keine Opposition, ich bin schon Demokrat.“ Das war so ein wuchtiger Strauß-Donner aus dieser Zeit.

Mehr als ein Vierteljahrhundert ist das her. Die heutige Jugend, auch die jungen Parlamentarier kennen Strauß nur noch aus Erzählung und Video-Clips. Ein Mann einer untergegangenen Zeit. Einer Zeit, da in der Politik noch herzhaft gestritten, gepoltert, gekämpft und geschimpft wurde. Einer Zeit, in der die Welt noch einfach war: freier Westen oder roter Osten – so einfach war die Alternative. Aber es gab eben auch noch Fragen von fundamentaler Bedeutung: Wiederbewaffnung oder nicht, Entspannungspolitik oder Wettrüsten? Strauß war von Anfang an dabei. Mitten drin. Nein, immer ganz vorn. Als Verteidigungsminister von 1957 bis 1962, als Bundesfinanzminister der ersten großen Koalition. Dann 1980 als Kanzlerkandidat der Union, später als bayerischer Ministerpräsident.

Verehrer oder Feinde

Wer sich so in den Kampf begibt, hat keine Kollegen, sondern bedingungslose Verehrer und Feinde. Strauß hat das genossen. Scharf an dieser scharfen Frontlinie entlang verlaufen die Urteile über sein Wirken – bis heute. Die einen rühmen seinen Weitblick. Er hat die Integration der Bundeswehr in die Nato in die Wege geleitet, er war ein Wegbereiter und massiver Förderer der Partnerschaft mit Israel, er war übrigens auch der erste deutsche Politiker, der energisch auf künftige Folgen des demografischen Wandels hingewiesen hat.

Die anderen schmähen seine Karriere als skandalumwittert und korruptionsgetrieben. In der Spiegel-Affäre betrieb Strauß massiv die Verhaftung von gut recherchierenden Journalisten wegen Landesverrats. Der bis heute größte Angriff auf die Pressefreiheit in Deutschland. Es gab eine ganze Reihe dubioser Rüstungsprojekte mit höchst unklarem finanziellen Hintergrund. Und gerade erst enthüllt ein Buch die umfangreiche finanzielle Unterstützung, derer sich Strauß seitens der deutschen Wirtschaft erfreute.

Beide Seiten haben Recht. Der Mann hatte viele Gesichter. Ein Haudegen, aber auch ein lupenreiner Pragmatiker. Mit Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) arbeitete Strauß in der großen Koalition von Kurt Georg Kiesinger so gut zusammen, dass bald das erstaunend-anerkennende Etikett „Plisch und Plum“ die Runde machte. Als die DDR-Führung Anfang der 80-er Jahre vor der Zahlungsunfähigkeit in westlichen Devisen stand, vereinbarte Strauß einen Milliardenkredit. Ausgerechnet er. Ausgerechnet der Mann, der im Bundestag die Brandtsche Entspannungspolitik in Grund und Boden reden konnte.

Er konnte auch grandios irren

Aber es bekamen ja alle ihr Fett weg. Strauß pflegte seine Feindschaften wie kleine Kostbarkeiten. Helmut Kohl hat unter der Verachtung des Bayern lebenslang gelitten.„Der Helmut Kohl wird nie Kanzler werden. Der wird mit 90 Jahren die Memoiren schreiben: ‚Ich war 40 Jahre Kanzlerkandidat; Lehren und Erfahrungen aus einer bitteren Epoche‘.“ So konnt er spotten. So konnte er grandios irren.

1980 lieferte er sich mit Helmut Schmidt den vielleicht erbittertsten Wahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik. Er scheiterte klar. Insofern ist sein politischer Weg unvollendet geblieben. Helmut Schmidt sagte jüngst über den Gegner von einst erstaunlich Wohlmeinendes: „Er hatte das Zeug zum Kanzler.“ Und irgendwie beruhte die Wertschätzung wohl auf Gegenseitigkeit. Über Schmidt hat sich der Bajuware einmal so geäußert: „Wir kennen uns sehr gut. Wenn er mich anredet ,Alter Gauner’ und ich sage ,Alter Lump’, so ist das durchaus eine von gegenseitiger Wertschätzung und realistischer Kennzeichnung getragene Formulierung.“

Am Sonntag wäre Strauß 100 Jahre alt geworden. Der Streit hält unvermindert an. Nach den neuen Enthüllungen über die Zuwendung aus der deutschen Industrie fordert die Bayern-FDP, das der Münchner Flughafen nicht länger seinen Namen tragen soll. Begründung: So ein „machtarroganter Gauner“ sei ein „schlechter Namenspatron“. Am Freitag gab es eine Gedenkfeier der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung und einen Staatsempfang der Landesregierung. SPD und Grüne gehen nicht hin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war in München und besuchte die dortige Technische Hochschule. Zum Empfang ist sie nicht gekommen. Sie pflegt dann doch einen etwas anderen Politikstil.