Franz Beckenbauer wird 70, doch zum Feiern ist ihm nicht zumute Foto: dpa

Nach dem Tod seines Sohnes Stephan (46) im August ist Franz Beckenbauer nicht nach Feiern zumute. Die offizielle Version zu seinem 70. Geburtstag an diesem Freitag lautet: Der Kaiser weilt samt Familie irgendwo im Ausland. Sein Lebenswerk bleibt davon unberührt.

Stuttgart - Es gibt viele Dinge in seinem Leben, auf die er sich etwas einbilden könnte. Der Film aus dem Jahr 1973, „Der Libero“, mit Franz Beckenbauer als Darsteller gehört ganz sicher nicht dazu. „Einer der schlimmsten Filme, die ich kenne“, sagt Günter Netzer schmunzelnd über das Machwerk seines Freundes. Da mag Beckenbauer nicht widersprechen. Mit der ihm eigenen Art von Humor sagt er: „Ich kann mich erinnern, der Film wurde für den Oscar vorgeschlagen. Leider ist er in der Endausscheidung durchgefallen.“

Beckenbauer, wie er leibt und lebt. Und wie er spricht. Dass er dabei zuweilen einen rechten Kaiser-Schmarrn redet und sich selbst widerspricht – wen stört’s? Ist ja Beckenbauer. Einer, der alles darf. Der Franz, der kann’s. Vor allem kann er sich mehr erlauben als jeder andere Deutsche. Auszüge aus seiner Vita: fünf Kinder von drei Frauen, eines unehelich; zwei Scheidungen; aus privaten und steuerlichen Gründen gegen Ende seiner aktiven Karriere auf der Flucht nach New York; seit Jahren im Steuer-Flachland Österreich zu Hause; seit 1982 in der „Bild“-Zeitung mit eigenem Presseorgan, um in der empörten Debatte um Menschenrechtsverletzungen im WM-Land Katar ungestraft sagen zu können, er habe dort noch nie Sklaven gesehen. Jeden anderen würden sie in seiner Heimat Bayern einen Hallodri schimpfen.

So einem vertrauen die Leute von Flensburg bis Lindau – von Rio bis Tokio und Timbuktu? Mehr noch: Sie verehren ihn. Und hängen an seinen Lippen, wenn er tiefgründige Weisheiten aus der Fußball-Glitzerwelt preisgibt: „Ja gut, es gibt nur eine Möglichkeit: Sieg, Unentschieden oder Niederlage.“

Den Aufgeregtheiten der Branche begegnet er mit der Klugheit eines Philosophen

Schon früh hat Max Merkel selig, der alte bissige Trainerfuchs, festgestellt: „Wenn der Kaiser spricht, legen sogar die Engel ihre Harfen beiseite.“ Beckenbauer hat Narrenfreiheit, obwohl er kein Narr ist, sondern die Aufgeregtheiten der Branche zuweilen mit der Klugheit eines Philosophen kommentiert: „Mir geht das Fußballgeschäft oft auf die Nerven. Ich denke an Konfuzius, der gesagt hat: Fasse die Sorgen des Tages zusammen auf eine halbe Stunde, und in dieser Zeit mache ein Schläfchen.“

Die anderen 23,5 Stunden müssen reichen für sein Dasein und seine Vermarktung, die früh begann: Beckenbauer war der erste deutsche Fußballprofi mit eigenem Manager (Robert Schwan). Wobei Vermarktung arg nach Arbeit klingt, und wie Arbeit sah und sieht nichts aus, was die Lichtgestalt Beckenbauer macht. Leichtfüßig wie einst als Libero rauscht er durchs Leben, gibt 15 Jahre den Präsidenten von Bayern München, holt mit übermenschlichem Einsatz und Dauerlächeln die WM 2006 ins Land, repräsentiert und überstrahlt alles, einfach alles. Und kickt obendrein im ZDF-„Sportstudio“ den auf einem Weißbierglas ruhenden Ball ungerührt durchs Loch der Torwand. Souveränität und Lockerheit zeichnen Beckenbauer aus. „Für das Image der Deutschen im Ausland hat er mehr geleistet als 50 Jahre Diplomatie und zehn Goethe-Institute zusammen“, sagt der Wiener Künstler André Heller, „wahrscheinlich könnte er sogar Regierungen stürzen.“

Versucht hat er das nie, sondern sich mit Helmut Schön begnügt. Den damaligen Bundestrainer entmachtete der Europameister von 1972 als Spieler bei der WM 1974 kurzerhand, als er nach der 0:1-Niederlage gegen die DDR eigenmächtig die Aufstellung und das Spielsystem der deutschen Mannschaft änderte und ihr so den Weg zum Titel ebnete. Drei aufeinanderfolgende und bis heute einzigartige Triumphe (1974 bis 1976) mit Bayern München im Europapokal der Landesmeister (heute Champions League) mehrten seinen Ruhm, unsterblich aber machte ihn erst der WM-Triumph 1990. Neben dem Brasilianer Mario Zagallo ist Beckenbauer der Einzige, der als Profi und später auch als Trainer Weltmeister wurde.

Nach dem WM-Sieg 1990 ging er innerlich auf Distanz zum Fußball

Das Bild, das seither in den Köpfen fast aller Deutschen fest verankert ist, zeigt Beckenbauer auf dem Rasen des Olympiastadions in Rom, über den Rasen spazierend, in Gedanken versunken, scheinbar entrückt. Erst Jahre später gab er preis, was damals in ihm vorging: „In diesen Minuten habe ich mich vom Fußball gelöst. Es war ein Abschied ohne Wiederkehr. Es ist kein Feuer mehr in mir, keine Leidenschaft.“ Mittendrin blieb er trotzdem, als Fernsehexperte etwa, wo er bei aller leidenschaftlichen Debattierfreude diese innere Distanz immer wieder durchblicken lässt. Etwa mit dem Satz: „Das sind alles gute Fußballer. Nur: Sie können nicht Fußball spielen.“

So gut wie er einst sowieso nicht. „Auf dem Platz hat ihn Intelligenz mehr ausgezeichnet als Kraft“, sagt Pelé über seinen Freund, „er war mehr ein brasilianischer als ein deutscher Fußballer.“ Leichtfüßigkeit zeichnete ihn aus, ein Leichtfuß war er deshalb nie. Schon damals schien ihm alles zuzufliegen, vor allem die Herzen der Menschen. Weil er sportlich so unerreichbar war und doch so nahbar geblieben ist. In der Nachkriegszeit haben ihn die Deutschen auf den Thron eines Kaisers gehievt und sind ihm zu Füßen gelegen. Dabei wähnte er sich nie über den anderen, im Gegenteil: Als Sohn eines Postbeamten aus München-Giesing hat er seine Wurzeln nie verleugnet, sondern Werte wie Bodenständigkeit, Ehrlichkeit und Redlichkeit hochgehalten. Der Kaiser ist Mensch geblieben, einfach Mensch. Seinem damaligen Pressechef Wolfgang Niersbach, der heute dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) als Präsident vorsteht, hat er 1990 nach dem WM-Sieg in der Kabine seine Medaille vermacht. Die schmückte 20 Jahre lang dessen Kaminsims. Vor fünf Jahren schenkte Niersbach sie ihm zurück. Beckenbauer gab sie ans Fußballmuseum weiter.

Mit solch unverstelltem Umgang mit seinem Umfeld gewinnt er die Sympathien, und Niersbach weiß, wovon er spricht, wenn er sagt: „Vielleicht ist es das ganz Spezielle an der Person Beckenbauer, dass man ihm, auch wegen seiner Art, Dinge verzeiht, die man anderen nicht verzeihen würde.“ So sperrte ihn die Ethikkommission der Fifa im Nachklang der WM-Vergabe an Russland (2018) und Katar (2022) für 90 Tage, weil er einen in „Juristen-Englisch“ gehaltenen Fragebogen nicht ausgefüllt hatte. Die Öffentlichkeit diskutierte daraufhin nicht die mangelnde Kooperation oder ein mögliches Fehlverhalten des Kaisers, sondern die Höhe der Strafe. Dass er sich inmitten der Empörung über die Wahl Russlands vom russischen WM-Förderer Gazprom anwerben ließ, sahen ihm die Menschen ungerührt nach. Auch um die WM-Vergabe 2006 ranken sich einige ungelöste Fragen, ohne dass es ihm schaden würde. So war es schon immer bei Beckenbauer. Er hat allen Widrigkeiten getrotzt – sportlich, geschäftlich und privat.

Jetzt ist er 70. Zeit zum Innehalten. Was jetzt noch kommt? Schau’n mer mal.