Siegtorschütze Olivier Giroud lässt sich feiern Foto: AFP/FRANCK FIFE

Der Titelverteidiger Frankreich ist erneut auf dem Weg ins WM-Finale. Über eine selbstsichere Equipe, die weiß, was sie tut.

Vor vier Wochen hätte damit niemand gerechnet, dass Olivier Giroud bei der WM in Katar zum Man of Match gekürt werden würde: Der Angreifer hat die französische Fußball-Nationalmannschaft ins Halbfinale geschossen. Sein wuchtiger, von Innenverteidiger Harry Maguire abgefälschter Kopfball zum 2:1 gegen England entschied eine über weite Strecken hochklassige Begegnung. Ausgerechnet Giroud, für den die Reservistenrolle vorgesehen war.

Doch wenige Tage vor Turnierbeginn im Wüstenstaat musste Karim Benzema, Weltfußballer und gesetzter Starstürmers von Real Madrid, abreisen – Oberschenkelverletzung. Also kam Giroud zum Zug, und der 36-Jährige hat Benzema vergessen lassen und schon vier Treffer erzielt, genauso viele wie Argentiniens Superstar Lionel Messi. Besser ist nur Girouds Teamkollege Kylian Mbappé, der bereits fünfmal erfolgreich war, gegen die gut gestaffelten Engländer jedoch nicht so richtig in Fahrt kam.

Die Franzosen hatten gegen England auch Glück

Bei genauer Betrachtung ist die Erfolgsgeschichte des Olivier Giroud gar nicht so überraschend: Der Stoßstürmer vom italienischen Meister AC Mailand verkörpert die Tugenden der französischen Nationalmannschaft wie kaum ein anderer – da sein, wenn man gebraucht wird, wissen, was man zu tun hat, sich auf die eigenen Stärken besinnen. „Wir haben auf dem Platz immer eine Antwort, immer eine Lösung“, sagte Giroud nach dem Viertelfinale.

Starke Engländer stellten den Titelverteidiger. Die Three Lions machten ein klasse Spiel und hatten sich nicht viel vorzuwerfen, wie Teammanager Gareth Southgate hinterher bilanzierte. Frankreichs Weiterkommen hing am seidenen Faden. Harry Kane, Englands unglücklicher Kapitän, der tragische Held dieser Partie, hämmerte seinen zweiten Elfmeter in der Schlussphase über die Latte, zum Entsetzen der eigenen Fans im mit gut 69 000 Zuschauern ausverkauften Al-Bayt-Stadion in Al-Khor. Frankreich blieb in Führung, brachte diese ins Ziel und steht nun unter den letzten Vier. „Am Ende“, räumte Giroud ein, „waren wir die Glücklichen.“

Nun wartet das Überraschungsteam aus Marokko

Was möglich ist, wenn Spielglück und das zweifellos vorhandene Können zusammenkommen, zeigte die Weltmeisterschaft vor vier Jahren in Russland. Damals reckten sie den WM-Pokal in die Höhe. Nun können „Les Bleus“ den Titel verteidigen. Giroud, der 2018 beim 4:2 im Finale gegen Kroatien in der Startformation stand, erkennt Parallelen. Er sagte nach dem Viertelfinale: „Das erinnert mich an die Mentalität und die Hingabe von 2018. Diese Gruppe verdient es, wieder so weit zu kommen.“

Am kommenden Mittwoch (20 Uhr/ZDF) trifft der Titelverteidiger auf Marokko, das Überraschungsteam dieser WM. Frankreichs Trainer Didier Deschamps musste in der Pressekonferenz nach dem England-Match sogleich etliche Fragen zum Halbfinale beantworten. „Marokko verdient Respekt. Eine richtige Überraschung sind sie nicht, die haben wirklich was drauf“, befand er und wollte den Sieg über die Three Lions erst einmal genießen. Ab Sonntag werde man sich mit den Nordafrikanern beschäftigen.

Das Ziel: den WM-Triumph direkt wiederholen

Deschamps lächelte und lächelte. Der 54-Jährige, der als Spieler (1998) und Trainer (2018) Weltmeister wurde, weiß um die Stärken seines gefestigten Teams, das mit einer ungeheuren Effizienz zu agieren vermag. Der Titelverteidiger wird auch im Halbfinale versuchen, ganz bei sich und seinen Abläufen zu bleiben – trotz des enormen Wirbels um den Gegner aus Marokko.

Den selbstsicheren Franzosen könnte tatsächlich gelingen, was zuletzt Brasilien vor 60 Jahren geglückt ist – einen WM-Triumph direkt wiederholen.