Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann (links) traf im Rahmen seines Frankreich-Besuchs auch den Premierminister Manuel Valls. Foto: dpa

Baden-Württemberg und Grand Est im Osten Frankreichs bekunden bei einem Treffen, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein ausbauen zu wollen.

Strassburg - Europa steckt in einer Krise. Die Briten haben für den Brexit, den Ausstieg aus der Europäischen Union (EU), votiert. Auch in vielen anderen Ländern sind es längst nicht mehr nur kleine Randgruppen, die sich eine Rückkehr zu nationalstaatlichen Lösungen wünschen. Das spielt rechten Parteien in die Karten, sie befinden sich im Aufwind. Das treibt den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) um. Er sorgt sich um die Zukunft Europas.

Auf seiner Frankreich-Delegationsreise erörterte Kretschmann das Erstarken rechter Kräfte in vielen Gesprächen. Am Donnerstag thematisierte er die Entwicklung bei dem französischen Premierminister Manuel Valls und dem französischen Außenminister Jean-Marc Ayrault in Paris. Vor der Präsidentschaftswahl im April des nächsten Jahres in Frankreich beobachten die beiden Regierungsmitglieder den Aufschwung des rechtsextremen Front National (FN) mit seiner Chefin Marine Le Pen mit großer Sorge.

Frankreichs Außenminister wundert sich über gutes AfD-Ergebnis im Land

Aber auch das Ergebnis der baden-württembergischen Landtagswahl war ein Thema: Der Außenminister wunderte sich, wie es sein kann, dass die Alternative für Deutschland (AfD) angesichts der guten Wirtschaftssituation und der geringen Arbeitslosenquote im Land aus dem Stand 15,1 Prozent der Stimmen holte. Und er wollte wissen, welche Ideen der baden-württembergische Ministerpräsident hat, um den Aufstieg von rechts zu verhindern. Kretschmann als Berater – sein Blick auf die Dinge scheint in Frankreich wichtig zu sein. Das gilt übrigens auch für Fragen in der Flüchtlings-, Sicherheits- und Umweltpolitik.

Einfache Antworten hatte Kretschmann für Valls und Ayrault nicht. Am nächsten Morgen bei einem gemeinsamen Frühstück mit Vertretern aus Politik, Kommunen, Kirche, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sagte er, die Menschen hätten „diffuse Ängste“, die „das Futter der Rechtspopulisten“ seien. Ein Patentrezept dagegen gebe es nicht. Seiner Ansicht nach sind viele Faktoren dafür verantwortlich: etwa die Furcht vor Globalisierung, Arbeitslosigkeit, Flüchtlingen und Terrorismus. Eines steht für den Regierungschef allerdings fest: „Wir müssen dem etwas entgegensetzen und zeigen, dass Europa einen Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger hat.“

Diese Worte bezog er insbesondere auf junge Menschen. Für sie sei die europäische Idee, die seit 70 Jahren Frieden garantiere und Sicherheit und Wohlstand biete, zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Man müsse diese positiven Aspekte deshalb stärker ins Bewusstsein der Menschen rufen. Gleiches gelte für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei den Themen Bildung, Wissenschaft und Forschung, die schon jetzt „auf höchstem Niveau“ sei, sagte Kretschmann.

Baustellen bei deutsch-französischer Zusammenarbeit am Oberrhein

Auch andere gemeinschaftliche Projekte sollen als europäische Erfolgsgeschichten stärker in den Fokus gerückt werden. Ein Beispiel ist die neue Tramstrecke Kehl-Straßburg, die sich derzeit im Bau befindet und im Frühjahr 2017 eröffnet werden soll. Sie sei ein weiterer Schritt, die Oberrhein-Region zu einem „integrierten Wirtschaftsraum“ zu machen, sagte der wiedergewählte Präsident des Regionalrats von Grand Est, Philippe Richert.

Es gibt aber auch weitere Baustellen – etwa beim Europäischen Campus, zu dem fünf Universitäten aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz gehören. Dort fehle ein regionales Bahnticket, mit dem die Studenten Angebote an den verschiedenen Standorten nutzen können, sagte der Rektor, der Universität Freiburg, Hans-Jochen Schiewer. Kretschmann nahm den Vorschlag auf.

Nach einem Treffen mit Ratspräsident Richert bekräftigte der Ministerpräsident außerdem, dass man auch in anderen Bereichen die bereits enge Zusammenarbeit im Grenzgebiet noch „vertiefen und ausbauen“ wolle. Es sei wichtig, dass man die deutsch-französische Partnerschaft lebendig halte und junge Leute einbinde. Die Landesregierung plant dafür einen Europa-Konvent. Das Thema: Wie soll Europa in Zukunft aussehen? Mehr als die Idee gibt es bisher allerdings noch nicht.

Staatsrätin Erler warnt vor Überlastung der Zivilgesellschaft

Die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung in der baden-württembergischen Regierungszentrale, Gisela Erler, regte außerdem an, das Thema Städtepartnerschaft unter Beteiligung der Bürger beider Länder „neu zu definieren und aufleben zu lassen“. Wie attraktiv das auch für junge Menschen sein kann, zeigt bereits ein Beispiel aus Baden-Württemberg und Grand Est: die Partnerschaft zwischen Karlsruhe und Nancy.

Die enge Verzahnung zwischen dem Land und Grand Est hat zwar Vorbildcharakter für grenzübergreifende Beziehungen. Für Europa ist sie jedoch nur ein kleiner Faktor. Erler sagte, sie glaube nicht, dass eine „kleine, glückliche Nische“ das auseinanderdriftende Europa zusammenhalten könne. Für sie ist eine große europäische Lösung der Flüchtlingskrise elementar, sonst würden die zivilgesellschaftlichen Bemühungen „kollabieren“. Es brauche eine funktionierende Sicherung der europäischen Außengrenzen und Investitionen in Afrika, um die Fluchtbewegungen nach Europa und damit auch den Druck auf die Bevölkerung zu verringern.

Doch das sind Herausforderungen, die Brüssel und Berlin meistern müssen.