Frankreich und sein koloniales Erbe: Frankophone Autoren aus Afrika und der Karibik schreiben andere Geschichten und erzählen von anderen Leben. Die Frankfurter Buchmesse rückt ihr Schreiben in den Fokus.
Stuttgart - Die französische Literatur verändert sich. Immer mehr Bücher stammen von Schriftstellern, die zwar auf Französisch schreiben, aber aus fernen Weltgegenden stammen. Sie erzählen andere Geschichten, von anderen Leben. Der Schriftsteller Alain Mabanckou, 1966 im Kongo geboren, ist Professor für frankofone Literatur in Los Angeles und einer der besten Kenner der französischsprachigen Literatur, die von afrikanischstämmigen Autoren verfasst wird. Dass deren Romane auf eine wachsende Neugier treffen, ist für ihn nachvollziehbar. „Die Menschen wollen die afrikanische Kultur verstehen. Sie können nicht darauf warten, dass ein Franzose für eine Woche nach Afrika fährt, bloß um all seine Vorurteile bestätigt zu finden“, sagt er beim Treffen in Paris.
Alain Mabanckou selbst ist einer der profiliertesten frankofonen Autoren. Man merkt sofort, dass der Mann oft und gern Auskunft gibt. Beim kleinen Münchner Liebeskind-Verlag ist gerade das fünfte Buch von ihm in deutscher Übersetzung erschienen. „Die Lichter von Pointe-Noire“ (272 Seiten, 20 Euro) erzählt von einer Reise in ein vertrautes und zugleich fremdes Land – die Republik Kongo. Nachdem er seine Heimat mit 23 Jahren verlassen hatte, um zum Studium nach Paris und von dort weiter in die USA zu gehen, kehrte Mabanckou erst 2012 erstmals in das Land seiner Geburt zurück. Von dieser Rückkehr berichtet er nun. „Ich wollte, dass die Leute verstehen, was es heißt, ein Afrikaner zu sein, der seinen Kontinent verlassen hat“, sagt er.
Der Rhythmus und die Melodie Afrikas
Seine einstige Heimatstadt Pointe-Noire ist ihm fremd geworden, dennoch werden bei Spaziergängen durch die Stadt Bilder seiner Kindheit wach. Mabanckou lässt die Vergangenheit lebendig werden und erzählt von dem zuweilen bizarr anmutenden, durch kreative Improvisation bestimmten Lebensalltag. ,„Die Lichter von Pointe-Noire“ ist so zu einer Art Biografie seiner Geburtsstadt geworden. Mabanckou schreibt dabei so, als würde er einem Freund eine Geschichte erzählen, voller Witz und Wärme. Das afrikanische Erbe ist in der Melodie, dem Rhythmus seiner Literatur präsent. Der Autor sagt von sich: „Ich bin Kongolese, Franzose wurde ich durch die Zuerkennung der Staatsbürgerschaft.“
Die Erfahrung der Fremde hat er aber nicht zu seinem Hauptthema gemacht. Er will vielmehr vom Leben auf dem afrikanischen Kontinent erzählen. „Die Leute wollen wissen: Warum gibt es so viele Bürgerkriege und Diktaturen? Wie konnte es zum Genozid in Ruanda kommen? Afrika ist ein Ort, wo sich viele Probleme unserer Zeit lokalisieren lassen“, sagt Mabanckou.
Literatur als Mittel der Aufklärung über einen fernen, fremden Kontinent – mag sein. Aber es gibt auch die Romane, die vom Ankommen in einem neuen Leben erzählen. Dany Laferrière, der in Frankreich längst ein Star ist, hat seine Heimat Haiti mit 23 Jahren verlassen. 1976 war das, auf dem Höhepunkt der Duvalier-Diktatur. Aber Laferrière, der seither in Montreal lebt, hat sich nie als Flüchtling betrachtet und wollte nie als Exilschriftsteller gelten. Er ist strikt dagegen, seine Herkunft als etwas Besonderes ins Spiel zu bringen: „Ich habe keine nationalistische Sicht auf die Literatur. Ich verfasse Bücher, aber ich muss darin nicht zum Ausdruck bringen, dass ich Haitianer bin“, sagt er beim Kaffee am Rand des Literaturfestivals „Étonnants Voyageurs“ („Staunende Reisende“) im bretonischen Saint Malo.
Als die Rechtsradikalen kamen
Haiti spielt in seinem nun auch auf Deutsch veröffentlichten Debüt „Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben, ohne zu ermüden“ (Wunderhorn-Verlag, 142 Seiten, 19,80 Euro) keine Rolle. Was zählt, ist das neue Leben, nicht das alte. Dieser Autor gibt sich von Beginn an nicht der Vergangenheit hin, sondern dem Neuen. „Montreal ist eine Stadt mit einem ganz eigenen Rhythmus. Diesen Rhythmus, die Bewegung wollte ich einfangen “, sagt er. Das hat er getan und ein Buch geschrieben über das Begehren von Männern und Frauen unterschiedlicher Hautfarben. Mit seiner Mischung aus Leidenschaft und Coolness machte der 1985 im Original erschienene Roman den Autor über Nacht berühmt.
Ob das Debüt von Aya Cissoko eine ähnliche Wirkung entfalten kann, bleibt abzuwarten. Auch sie erzählt vom eigenen Leben. Ihr Montreal heißt Paris. Hier wurde die Tochter malischer Einwanderer 1978 geboren. Sie war sieben, als die Unterkunft der Familie in Flammen stand und das Mädchen ihren Vater und ihre Schwester verlor. In ihrem Roman „Ma“ (Wunderhorn-Verlag, 180 Seiten, 24,80 Euro) berichtet sie nur knapp von dem vermutlich von Rechtsradikalen verübten Brandanschlag. „Es war der Anfang eines neuen Lebens“, sagt die Autorin, die zum Treffen in ihre helle, freundliche Wohnung mitten im sympathischen Pariser Quartier de Plaisance eingeladen hat. „Plötzlich wurde meine Mutter zum Familienoberhaupt und musste Geld verdienen. Sie hat mir den Geschmack der Unabhängigkeit vermittelt.“
Hommage an die Mutter
Aya Cissokos in einfachen Worten erzählter Roman, der vor allem durch die Wucht der Geschichte besticht, ist ein nachträgliches Geschenk an ihre 2014 verstorbene Mutter. „Ma ist meine Heldin geworden“, schreibt Aya Cissoko. „Sie hat gelitten, ohne zu verbittern.“ Das gilt auch für Aya Cissoko selbst. Als junges Mädchen sucht sie verzweifelt ihren Platz in der Welt. Im Boxen findet sie schließlich eine Möglichkeit, sich zu behaupten. „Es wurde zu einem Weg, mein Leben, meinen Körper zu kontrollieren“, sagt sie, „das war unglaublich wichtig für mich.“
Zweimal gewinnt sie die Weltmeisterschaften im Kickboxen, 2006 holt sie sich auch den Weltmeistertitel im Amateurboxen. Dann, bei einem Grand Slam, endet ihre sportliche Karriere: Halswirbelbruch. Doch wenn sie eines gelernt hat, dann: Nie aufgeben! So kommt sie wieder auf die Beine, legt die Boxhandschuhe zur Seite und studiert Politikwissenschaften an einer Pariser Elitehochschule. Eine Narbe am Hals erinnert an die schwere Verletzung, doch wie eine Verliererin wirkt die junge, grazile Frau nicht. Im Gegenteil, sie strahlt eine selbstbewusste Gelassenheit aus: „Manche Leute bedauern mich, weil ich so viel Tragik erfahren habe. Ich empfinde das nicht so. Alles, was mir widerfahren ist, hat mich stärker gemacht, es ist ein Reichtum.“
Das Schreiben ist für Aya Cissoko auch der Versuch, diesen Reichtum in Worte zu fassen. Das gilt ähnlich auch für Dany Laferrière und Alain Mabanckou, so verschieden ihre Biografien auch sein mögen. Kein Zweifel: Diese Autoren bringen mehr Welt in die französischsprachige Literatur. Sie machen sie vielfältiger und bunter.