Die Buchmesse in Frankfurt wandelt sich Richtung Medienmesse. Ein Rundgang durch die Hallen.  

Frankfurt - Ein Rundgang über die größte Bücherschau der Welt zeigt: Frankfurt bietet selbst den schärfsten Gegensätzen ein gemeinsames Schaufenster - vom ersten gedruckten Buch bis zum neusten Videospiel. Ausgerechnet der 77-jährige Hellmuth Karasek liefert die beste Strategie für die Medienwelt der Zukunft.

Von digital bis analog

Wann ist ein Buch ein Buch? Wer glaubt, die Experten auf der Frankfurter Buchmesse kennen die Antwort, der irrt. Genau diese Frage ist der Titel einer Tagung auf der größten Bücherschau der Welt und bringt auf den Punkt, was mit einer Unzahl weiterer Diskussionen, Vorträge und Workshops in Frankfurt beantwortet werden soll: Wie passt die Welt der Bücher ins digitale Zeitalter? Denn in Frankfurt geht es schon längst nicht mehr nur um die Seiten zwischen zwei Buchdeckeln. Apps, die kleinen Programme für das iPhone, und elektronische Bücher mit den entsprechenden Lesegeräten prägen das Bild der Messe mindestens so sehr wie herkömmliche Bücher mit Buchstaben auf Papier.

Als Zentrum alles Digitalen dient in Frankfurt ein weißes futuristisches Gebilde in Form eines Sportwagens des Sponsors Audi. Storydrive lautet deswegen auch der doppelsinnige Titel einer Veranstaltungsreihe, die sich mit allem beschäftigt, was mit dem Erzählen von Geschichten in einer digitalen Medienwelt zu tun hat. Der Kongress will mit Größen aus der gesamten digitalen Unterhaltungswelt, darunter Filmproduzenten wie Christian Solomon und Entwickler von Videospielen wie Alexander Fernandez aus den USA, Folgendes klären: Wie wird in Zukunft erzählt? Und wie lässt sich mit dem Erzählten dann am besten Geld verdienen?

Voller Erwartung sitzen rund 100 junge Menschen im Kinosaal im Bauch des weißen Sportwagens. Jedes Gesicht in dem abgedunkelten Raum wird vom Bildschirm eines iPads oder Notebooks angeleuchtet. Eine Messe für jede Art von Inhalten wolle man sein, sagt Britta Friedrich. Die junge Frau ist die Organisatorin der Tagung. Es geht hier um die Geschichten der Zukunft, heißt es, nicht nur um Bücher.

Sein Konzept zu diesen Geschichten der Zukunft erläutert US-Film-Produzent Christian Solomon so: "Der Kunde steht bei unseren Überlegungen immer an der Spitze der Nahrungskette." Man wolle den Menschen die Geschichten erzählen und verkaufen, die sie auch wirklich sehen und hören wollen, erklärt er. Doch woher wissen die Macher der digitalen englischsprachigen Unterhaltungswelt eigentlich, was ihr Kunde wirklich will? "Bei Videospielen im Internet können wir die Spieler in Echtzeit beobachten", antwortet Spieleentwickler Fernandez. "Dadurch kennen wir die Bedürfnisse der Menschen und können anbieten, was ihnen wirklich gefällt."

Technik verändert Kultur

Menschen wie Solomon und Fernandez denken nicht mehr über einzelne Filme, Spiele oder gar Bücher nach. "Das sind alles nur einzelne Bausteine", sagt der Spielemacher. App, Spiel, Buch, Film und das Spielzeug für McDonald's werden bei der Entwicklung einer Geschichte gleich mitgedacht, ist sich die Runde auf der Bühne einig. Was erzählt wird, wird immer an die technischen Entwicklungen angepasst.

Technik verändert Kultur, lautet also die Lehre aus dem ersten Teil des Messerundgangs. Diese Weisheit ist so alt wie die Menschheit selbst. Wie zum Beweis steht in Halle 4.1, neben den Kunst- und Bildbänden, eine Nachbildung der ersten Buchdruckmaschine, mit der Johannes Gutenberg im 15. Jahrhundert seine Bibeln druckte und die Welt der Bücher von Grund auf veränderte.

Stefan Reimann vom Gutenberg-Museum in Mainz steht hinter einer schweren, dunkel gebeizten Holzkonstruktion. Er ist in buntes Leinen im mittelalterlichen Stil gewandet, während er die Maschine bedient und erklärt. "Zeile für Zeile, Spalte für Spalte wurde jeder Buchstabe für jede Seite von Hand platziert", erklärt er. "Zwischen 1452 und 1454 haben Gutenberg und seine Leute mit sechs Maschinen 180 Bibeln mit jeweils 1282 Seiten gedruckt." Für die damalige Zeit war das eine Revolution in Sachen Geschwindigkeit bei der Buchproduktion - handschriftliches Reproduzieren von Büchern und der Beruf des Schreibers hatten ausgedient.

"Was sie hier sehen, ist die Grundlage von allem, was auf dieser Messe gezeigt wird", sagt Reimann, und zeigt voller Stolz auf seine historische Druckmaschine. "Vor dem Buchdruck gab es keine Massenmedien und vor dem Buchdruck gab es keine schnelle Verbreitung von Wissen." Technik verändert Kultur.

Von Karasek bis Katzenberger

 Von Karasek bis Katzenberger

Wer sich in der Halle, in der Gutenbergs Druckerei steht, ein wenig umschaut, findet Bücher zu jedem erdenklichen Thema. Wenige Meter vom Museumsstand entfernt, stehen pornografische Bildbände für jeden noch so ausgefallenen Geschmack neben Kalendern mit Haustieren und Fotosammlungen russischer Kunstmuseen. Dazu liegen in derselben Halle die Gesamtausgaben von Bertolt Brecht und die des Philosophen Theodor W. Adorno am Stand des Suhrkamp-Verlags aus.

Die wahren Publikumsmagneten der Messe heißen allerdings weder Adorno noch Gutenberg. Vor dem Stand des Bastei-Lübbe-Verlags drängen sich viel zu viele Menschen in viel zu engen Gängen. Fernsehteams und Rundfunkreporter rangeln um die besten Plätze. Der gefragte Autor: Daniela Katzenberger, Star der Reality-Soaps des Privatsenders Vox. "Die Katze ist wasserstoffblond, silikonbefüllt und beherzt geschminkt", steht auf der Einladung zur Vorstellung von "Sei schlau, stell dich dumm". "Ich führe hier mein Buch vor", plappert Katzenberger drauflos, und erzählt, wie sie für Lesefaule auch ein Hörbuch eingelesen hat. Bei der Vorführung fallen Sätze wie: "Für mich ist Tussi kein Schimpfwort, weil Frankenstein ist doch schlimmer."

Die Lehre aus Teil zwei des Messerundgangs: Wer bei der Buchwahl auf das Geschriebene statt auf den Schreiber achtet, ist im Vorteil. Das steht nicht erst seit Roland Barthes literaturtheoretischem Aufsatz "Der Tod des Autors" fest. Wer auf das Geschriebene achtet, hat mehr Spaß beim Lesen und auf der Frankfurter Buchmesse wesentlich mehr Platz.

Karasek ist weniger gefragt

Der Beweis: Nur ein Stockwerk über Daniela Katzenberger versammeln sich gerade mal eine Handvoll Messegästen am Stand des teNeues-Verlags - Kameras und Reporter: Fehlanzeige. Der weniger gefragte Autor: Hellmuth Karasek, ehemaliges Mitglied des Literarischen Quartetts und Kulturchef des "Spiegels". "Briefe bewegen die Welt", heißt der Sammelband, den Karasek kürzlich herausgegeben hat.

"Ein handschriftlicher Brief ist das Intimste, was es zwischen zwei Menschen gibt", sagt Karasek. Die gesammelten Briefe in Band drei der Sammlung stehen in Bezug zu wichtigen Ereignissen der Weltgeschichte. "Udo Lindenberg hat an Erich Honnecker geschrieben und auch eine Antwort erhalten", berichtet Karasek, "das ist ein nettes Zeugnis zur deutschen Geschichte, genau wie die Briefe von Willy Brandt an John F. Kennedy.

Selbst dem Urgestein der deutschen Bücherwelt bleibt auf der Buchmesse 2011 die Frage nach der digitalen Medienwelt nicht erspart: "Was halten sie von Facebook, Twitter und E-Mails in Konkurrenz zum althergebrachten Brief?", wird Karasek von der Moderatorin gefragt und antwortet: "Man hat von der Welt nichts zu halten, man muss sich nur in ihr einrichten." Besser hat es beim Zukunfts-Symposium im futuristischen weißen Audi auch keiner der Redner auf den Punkt gebracht

Die Buchmesse ist für die Öffentlichkeit an diesem Samstag, 15. Oktober, von 9 bis 18.30 Uhr und am Sonntag, 16. Oktober, von 9 bis 17.30 Uhr geöffnet. Kinder unter 14 Jahren dürfen die Messe nur in Begleitung ihrer Eltern betreten. Eine Wochenendkarte kostet 21 Euro, eine Tageskarte 15 Euro. www.buchmesse.de