Am Gastland Italien der Frankfurter Buchmesse zeigt sich, welcher Gefahr die Kultur durch politische Vereinnahmung ausgesetzt ist, in Deutschland droht eher die der politischen Vernachlässigung, kommentiert unser Literaturredakteur Stefan Kister.
Schön, dass man in Deutschland mitlesen kann, was in der Welt so passiert, dass es unabhängige Medien gibt und dass hier – zumindest im Moment noch und leider nicht überall – eher undenkbar erscheint, was sich gerade in Italien, dem diesjährigen Gastland der Frankfurter Buchmesse, vollzieht. Dort versucht eine rechtspopulistische Regierung den Staat nach ihren Vorstellungen umzubauen. Wie das schon einmal gelungen ist, lässt sich in der monumentalen Romanbiografie über Benito Mussolini von Antonio Scurati nachlesen, deren dritter Band pünktlich auf Deutsch zur Messe erscheint.
Mit gutem Grund wird nach Mitteln und Wegen gesucht, die Verfassungsordnung gegen den Zugriff autoritärer Kräfte zu schützen. Doch Länder wie Ungarn und das Polen der PiS-Partei haben vorgemacht, dass neben dem Rechtssystem Kulturpolitik der zweite Hebel ist, eine liberale Demokratie aus den Angeln zu heben. Und nun Italien: die Partei von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, in deren Logo die Flamme des Duce weiterlodert, besetzt gerade die wichtigsten Kulturposten mit Gefolgsleuten. Kultur als Vorfeld ideologischer Mobilmachung.
Gegenöffentlichkeit zum offiziellen Programm
In Deutschland neigt man zur sentimentalen Verklärung des Landes, in dem die Zitronen blühen. Doch die Geschmacksrichtung dieser Früchte umschreibt gut die Stimmungslage eines beachtlichen Teils derer, die die italienische Literatur in Frankfurt repräsentieren werden. Sie sind sauer. Einige bekannte Namen wollten der offiziellen Delegation nicht mehr angehören, der vielleicht prominenteste von allen, der Mafia-Enthüllungsautor Roberto Saviano, wurde erst gar nicht eingeladen.
In einem offenen Brief, den 41 Schriftstellerinnen und Schriftsteller unterzeichnet haben, wird der „anormale Zustand der italienischen Kultur“ beklagt. Von einer um sich greifenden Zensur ist die Rede. Unter dem Motto „Das andere Italien“ bilden einige der bekanntesten Stimmen, darunter auch Roberto Saviano, nun eine Art Gegenöffentlichkeit zum offiziellen Programm des Gastlandes. Auch dies ist ein Novum.
Der populistischen Bedrohung steht die Hoffnung aufs Populäre entgegen. Über Verbreitungskanäle wie Booktok hat das Influencerwesen den Buchmarkt erreicht. Was der Erfolg von neuen Gattungen wie Romance oder Young Adult aber für die Lesekultur als solche bedeutet, dürfte sich vor allem daran ermessen, was von den mit massenkompatibler Literatur erwirtschafteten Mitteln investiert wird, um damit Texte zu ermöglichen, die es am Markt schwerer haben.
Dass es nicht einfacher geworden ist, sich mit einem anspruchsvollen Programm zu behaupten, zeigen die Entwicklungen um den offensichtlich in wirtschaftliche Turbulenzen geratenen Suhrkamp Verlag. Dort waltet nun ein Finanzinvestor, der sein Handwerk mit Eisenwaren und Gartenmöbeln gelernt hat, als Alleininhaber über einen Verlag, bei dem es einen nicht wundern würde, ihn auf der Liste des Immateriellen Erbes der Unesco-Kommission wiederzufinden. Man wird sehen, was daraus wird.
Mitlesen zu können, was in der Welt passiert, bedeutet auch, dass in Deutschland glücklicherweise Bücher wie das Scuratis in sorgfältiger Übersetzung vorliegen. Doch der aktuelle Haushaltsentwurf sieht massive Einschnitte für das ohnehin knapp bemessen Budget der Literaturförderung vor, von denen auch der Übersetzerfonds betroffen ist. Ein Bewusstsein für die Bedeutung der Buchkultur in einer offenen Gesellschaft lässt sich daran nicht unbedingt ablesen. Vereinnahmung ist die eine Gefahr, Vernachlässigung die andere.