Frank Nopper hatte keinen einfachen Start in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Stuttgarts neuer Oberbürgermeister Frank Nopper ist seit 100 Tagen im Amt. Die erste Bilanz fällt durchwachsen aus. Das liegt nicht nur an einer aus dem Ruder gelaufenen Demo.

Stuttgart - Am nächsten Montag geht Frank Nopper dorthin, wo man den Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt nicht unbedingt erwarten würde: Bei der Abfallwirtschaft wird er einen halben Tag lang als Mülllader und Straßenreiniger mitarbeiten. Um den Arbeitsalltag der Männer und Frauen in Orange kennenzulernen. Und um darauf hinzuweisen, wie wichtig die Sauberkeit einer Stadt ist.

 

Es ist ein Termin, wie er dem neuen Stadtoberhaupt auf den Leib geschneidert ist: hingehen, wo andere vielleicht nicht hingehen würden. Volksnah sein. Und sich dabei öffentlich in Szene setzen, denn die Aktion läuft natürlich nicht im Stillen ab. Gleich zwei Pressetermine sind mit dem halben Arbeitstag verbunden. Die Aktion steht bereits in einer gewissen Reihe ähnlicher Termine: So hat der CDU-Mann sich zum Beispiel nicht gescheut, sich abends unters meist junge Volk in der Innenstadt zu mischen und dort das Gespräch mit jenen zu suchen, deren Frust im vergangenen Sommer für massive Ausschreitungen gesorgt hat. Das kam gut an – selbstverständlich auch das im Blitzlichtgewitter.

Die Beispiele zeigen vieles von dem, wie der frühere Backnanger OB seit seinem Antritt – wegen Klagen zunächst als Amtsverweser – Anfang Februar bisher agiert. Überall, in der Öffentlichkeit wie in der Verwaltung, wird ihm eine sehr angenehme, offene Art attestiert. „Es ist ungewohnt, wenn man auf den Rathausfluren gegrüßt und erkannt wird“, erzählen Mitarbeiter der Verwaltung. Als 180-Grad-Wende zu Vorgänger Fritz Kuhn wird das vielerorts empfunden. Und: „Er brennt für sein Amt und unsere Stadt“, heißt es nicht nur bei einer der Fraktionen im Gemeinderat, wo Nopper keine eigene Mehrheit hat.

Vieles wird zur Chefsache

Allerdings bringt diese Art für viele auch eine Kehrseite mit sich. Nopper zeigt sich gern, er zieht Themen an sich, erklärt vieles zur Chefsache. Der Begriff „Hansdampf in allen Gassen“ fällt immer wieder. „Man kann in Stuttgart aber nicht alles selbst machen“, sagt so mancher im Rathaus. Und immer wieder fällt die Aussage, Nopper habe den Sprung aus Backnang mit gut 800 Verwaltungsmitarbeitern nach Stuttgart, wo es 15 000 sind, noch nicht so recht geschafft.

Inhaltlich fällt Noppers Start bisher tatsächlich überschaubar aus. Seine Ankündigung im Wahlkampf, Stuttgart zum strahlenden Stern des Südens zu machen, ist erst einmal zum Eigentor geworden. Hauptverantwortlich dafür ist die große Querdenker-Demonstration am Karsamstag, die völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Die Stadt hatte sie nicht verboten und dafür im Nachgang mächtig Prügel bezogen. Lobte man zunächst noch den angeblich guten Verlauf, musste man Tage später Fehleinschätzungen einräumen. Ein schwerer Schlag für einen OB, der sich Sicherheit und eine Verbesserung des Rufs der Stadt auf die Fahnen geschrieben hat. Vorerst jedenfalls hat Stuttgart bundesweit sein Image als Hauptstadt der Coronaleugner zementiert. Intern gibt es im Rathaus allerdings durchaus auch Lob für den OB, weil er sich konsequent vor seine Verwaltung gestellt hat.

Das Thema Corona wird ohnehin in Verwaltung und Gemeinderat heiß diskutiert. „Besonders die Eindämmung des Coronavirus in der Landeshauptstadt hat der neue Oberbürgermeister schlicht unterschätzt“, heißt es etwa in der Grünen-Fraktion. Aus der Verwaltung ist zu hören, bei diesem Thema sei früher viel mehr Zug drin gewesen. Tatsächlich steht Stuttgart bei den Neuinfektionen nach wie vor vergleichsweise schlecht da. Und Nopper hat bereits zwei Bußgeldbescheide erhalten, weil das Ordnungsamt jeweils zum Schluss kam, er habe gegen Coronaregeln verstoßen – jeweils allerdings bei Anlässen, die er nicht unmittelbar selbst zu verantworten hatte.

Nopper sieht sich auf gutem Weg

Lücken gibt es noch in Noppers Mannschaft im Rathaus. So fehlt nach wie vor ein Chef der Abteilung Kommunikation. Gehandelt hat er an anderer Stelle: Die bisherige Wirtschaftsförderin Ines Aufrecht leitet künftig die Abteilung Koordination Stuttgart 21/Rosenstein und Zukunftsprojekte.

Und welche Bilanz zieht der neue OB selbst? Ihm sei klar, dass die 100-Tage-Schonfrist für ihn nicht so recht gegolten habe, denn es sei von Anfang an viel passiert. „Das ging ja schon vor meinem Amtsantritt los“, sagt Nopper und verweist darauf, dass er da bereits die Idee des Innovationsparks für Künstliche Intelligenz in Vaihingen vorangetrieben habe. Auch der Vorschlag des Fernsehturms als Weltkulturerbe kam sehr schnell. Die Entscheidung des Gemeinderats für ein Haus des Tourismus am Marktplatz wertet Nopper ebenso als Erfolg wie das Anstoßen einer Bedarfsanalyse für den Wohnungsmarkt. Am Ziel, noch vor der Sommerpause im Gemeinderat einen Grundsatzbeschluss zur Opernsanierung herbeizuführen, hält er fest. „Und ganz oben steht zudem die Digitalisierung der Verwaltung“, sagt der OB, der in wenigen Tagen seinen 60. Geburtstag feiert und noch überlegt, wie das coronakonform gehen könnte.

Wechselnde Mehrheiten

Die Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat empfindet Nopper bisher als fruchtbar. „Ich habe damit gerechnet, dass man dort mit wechselnden Mehrheiten arbeiten muss, und so ist es auch gekommen“, sagt er und verweist etwa auf den Beschluss, beim Expressbus X1 auf die Bremse zu treten. Er glaube, dass man in der Kommunalpolitik ohnehin „pragmatisch und gemeinsam über Parteigrenzen hinweg“ arbeiten müsse. Dazu gehöre, Kompromisse zu finden. „Ich bin zum Beispiel gespannt, wie sich der Gemeinderat letztlich im Hinblick auf den vom Land angedachten Zusatzbahnhof positionieren wird“, sagt Nopper, der sich wie der Grünen-Baubürgermeister Peter Pätzold scharf gegen die Pläne ausgesprochen hat.

Letztlich müsse man Nopper auch zugutehalten, „dass sein Einstand coronabedingt nicht einfach war“, heißt es im Gemeinderat. Nopper kommentiert das mit einem Schmunzeln: „Manchmal wird man als OB halt im Guten wie im Schlechten auch für Dinge verantwortlich gemacht, für die man nicht unbedingt was kann.“ Spricht’s und wünscht sich künftig „mehr Anlässe“, um mit Menschen in Kontakt zu kommen. Vorerst muss es da halt der Einsatz als Mülllader und Straßenreiniger tun.