Francesco und Rosemarie Giannì auf ihrem mediterranen Balkon inmitten von Oleander, Orangen- und Zitronengewächsen Foto: Caroline Holowiecki

Schon seit den 1960ern schneidet Francesco Giannì den Menschen auf der Filderebene die Haare. Viele der Kunden in seinem Salon in Stuttgart-Möhringen sind inzwischen Freunde. Weil nun „finito“ ist, kullert die eine oder andere Träne.

Filder/Möhringen - Ganze zehn Geschenktüten und -boxen stehen bei den Giannìs im Flur auf dem Boden. „Das sind nur die von gestern“, sagt Rosemarie Giannì und macht große Augen. Und: Es wird wohl nicht ausbleiben, dass da noch einiges dazukommt. Ihr Mann, Francesco Giannì, hört auf. Der Frisör verlässt den Möhringer Salon, der seinen Nachnamen trägt. Zwar hat er den Laden schon vor Jahren übergeben, das Haarschneiden hat er trotzdem nicht lassen können. „Es macht mir Spaß, es ist meine Leidenschaft“, sagt er und gestikuliert dabei, wie es sich für einen waschechten Italiener gehört.

Mit 79 Jahren wirbelt er immer noch als Solo-Selbstständiger mehrmals die Woche durchs Geschäft. Jetzt ist aber endgültig Schluss. Während der Salon Gianni weitergeführt wird, ist am 30. Juni der letzte Arbeitstag des Namensgebers. „Finito“, sagt er.

Das alles gehe ihm auch sehr nah

Die Stammkunden nimmt das augenscheinlich ebenso mit wie Francesco Giannì selbst. „Ich habe Kunden, die kommen 40, 50, 60 Jahre zu mir.“ Viele seien längst zu Freunden geworden, und vielen kämen bei den Abschiedsgesprächen, die er seit Kurzem führt, die Tränen. „Mir geht es genauso nah“, sagt er. Das Aus kommt eher als angedacht. Obwohl der Frisörmeister im August 80 Jahre alt wird, hätte er gern noch bis Ende des Jahres gearbeitet. Corona hat diese Pläne durchkreuzt. Den ganzen Tag mit einer Maske zu arbeiten, strengt ihn zu sehr an, „und jetzt kommt noch die Hitze dazu“. Zumal: Wegen ihres Alters gehören die Eheleute zur Risikogruppe. „Wir sind jeden Tag froh, wenn wir gesund aufwachen“, sagt Rosemarie Giannì (71).

Francesco Giannìs Karriere auf den Fildern begann vor bald 60 Jahren. 1962 kam der gebürtige Sizilianer nach einem Stopp in Mailand nach Deutschland. In Degerloch spazierte er in einen Salon. „Ich bin rein und habe gefragt, ob sie jemanden brauchen. Dann hatte ich eine Hand auf der Schulter: Morgen fangen Sie an.“

Es sei damals eine gute Entscheidung gewesen, sagt seine Frau

Im Jahre 1973 machte er seinen Meister. Als wenige Monate später ein Salon in Möhringen frei wurde, sagte er nach einer schlaflosen Nacht zu, wie er berichtet. „Es war eine gute Entscheidung“, sagt seine Frau. Auch für Rosemarie Giannì wird es ein Abschied sein. Seit Mitte der 1970er, seit dem Schritt ihres Mannes in die Selbstständigkeit, ist sie seine rechte Hand. Auch bei der Arbeit traten sie stets als Paar auf. Im kommenden Jahr feiern die Giannìs goldene Hochzeit.

Und nach dem 30. Juni? „Erst mal ein bisschen Ruhe – und verdauen“, sagt Francesco Giannì. Einige Stammkunden haben sich mit ihm und seiner Frau jetzt schon zum Kaffee verabredet, erzählt er, um ja in Kontakt zu bleiben. Langweilig wird es dem Neu-Rentner aber auch sonst sicherlich nicht werden. Wandern, Tennis und Kochen gehören zu seinen Hobbys. Und natürlich der mediterrane Balkon der Wohnung am Rande von Musberg. Oleander, Orangen- und Zitronengewächse und das Granatapfelbäumchen brauchen immerhin auch ab und an mal einen frischen Schnitt. So ganz wird er die Schere also doch nicht liegen lassen.