Sarah Stoll, hier neben der Hausfrau-Skulptur auf dem Winnender Marktplatz Foto: Herrmann

90 – 60 – 90? Mit derartigen Maßen für Oberweite, Taille, Hüfte kann Sarah Stoll nicht aufwarten. Die Frau aus Winnenden ist kein Magermodell, verfügt über deutlich mehr Rundungen. Am Samstag ist die 28-Jährige eine von zwölf Kandidatinnen im Finale des Wettbewerbs „Fräulein Kurvig“.

Stuttgart/Winnenden - Mit welcher Dynamik und Lebensfreude die junge Frau da beim Treffen auf dem Winnender Marktplatz auftaucht, das lässt fürs Wochenende einen fulminanten Auftritt der Schwäbin im Ruhrgebiet erwarten. Im Resonanzwerk in Oberhausen gehört sie zu den zwölf Finalteilnehmerinnen eines besonderen Schönheitswettkampfs: des sogenannten Plus-Size-Wettbewerbs mit dem drolligen Namen „Fräulein Kurvig“. Plus Size, das bedeutet also ein bisschen mehr als die üblichen Maße; altmodisch übersetzt: Übergröße.

Sarah Stoll hat tatsächlich mehr Pfunde auf den Rippen als so manche ihrer Freundinnen. Sie kommt auf Konfektionsgröße 44. Was das in exakten Kilogramm bedeutet, will sie zwar nicht verraten. Dafür hält sie mit einer anderen Auskunft nicht hinterm Berg: „Ich hatte bis vor zwei Jahren Konfektionsgröße 52“. Das allerdings war ihr dann doch eindeutig zu viel, „ich war die meiste Zeit nur noch zu Hause und kaum noch draußen unterwegs“. Binnen eineinhalb Jahren nahm sie 30 Kilogramm ab, „das war schon harte Arbeit, das sind ja fünf Konfektionsgrößen weniger.“

Wie kam sie überhaupt auf dieses imposante Gewicht? „Ich habe eigentlich nie außergewöhnlich viel gegessen, aber mein Stoffwechsel war einfach anders.“ Neun Jahre lang davor traute sie sich in kein Freibad mehr, „weil ich dachte: Jeder guckt mich an.“ Es folgte der Entschluss: Sie muss von diesen Dimensionen runter.

Ein 1,67 Meter großes Energiebündel

Ihr Mittel: Zum einen viel Sport, „da merkt man bei jedem Kilo, wie es leichter fällt.“ Das 1,67 Meter große Energiebündel tanzt gerne, Zumba oder Burlesque im Stil von Betty Page, „die 1950er Jahre sind meine Lieblingszeit“. Sie ist aktive Roller-Derby-Läuferin, „da werden die anderen auf dem ovalen Rollfeld schon mal weggeboxt, das geht richtig zur Sache“. Und sie ernährt sich gesund und ausgewogen. „Von Diäten halte ich gar nichts“, sagt sie, nach einigen Selbstversuchen geläutert, energisch: „Ich habe gemerkt, sie bringen nichts.“

Mit ihrem aktuellen Gewicht ist sie zufrieden. Freibadbesuche sind mittlerweile kein Problem mehr, „weil ich dort auch gesehen habe: So viele Menschen sind nicht perfekt“. Auch der Klamottenkauf ist etwas einfacher geworden. „Für 52er-Frauen bleibt ja fast nur der Online-Kauf, und selbst da ist vieles einfach nur Zeltmode, unter der man sich verstecken kann.“ Bei Konfektionsgröße 44 „gibt es zwar noch Luft nach oben“, aber es ist schon besser. „Allerdings kein Vergleich zu Amerika“, sagt Florida-Fan Sarah Stoll. Bei etlichen Urlaubsaufenthalten mit der Familie in Naples an der Küste des Golfs von Mexiko hat sie festgestellt: „Dort bin ich ein Normalo, hier in Deutschland falle ich aus dem Raster.“ Mit der Folge, dass es dort auch viel ansprechendere Kleidung zu kaufen gibt. Vom jüngsten USA-Besuch kam sie mit 40 Kilo plus zurück – nein, nicht Körpergewicht, sondern Klamotten-Pfunde: „Ich bin mit einem halbvollen Koffer hin- und mit zwei Koffern zurückgeflogen.“

So viel Gepäck wird Sarah Stoll in den kommenden Tagen in Oberhausen nicht brauchen. Bei der Premiere des Wettbewerbs vor einem Jahr waren es bundesweit 600 Bewerberinnen, 2015 sogar doppelt so viele. Im Vorentscheid vor einigen Wochen in Düsseldorf blieben von 50 Aspirantinnen zwölf übrig, die nun am Samstag ab 19 Uhr vors Publikum und die fünfköpfige Jury treten.

„Schullandheimatmosphäre“ beim Vorentscheid

Schon das Düsseldorfer Treffen „war einfach ganz viel Spaß“, sagt die Winnenderin, „wir Mädels waren zusammen in Vierer-Zimmern, das hatte was von Schullandheimatmosphäre. Wir sind schließlich alle nicht 08/15, und es gab natürlich auch kein Modelgezicke.“ Morgens lange warten, bis sie das Bad frei macht, mussten die anderen Plus-Size-Frauen übrigens nicht: „Duschen, Schminken et cetera, das ist bei mir alles in 25 Minuten erledigt.“

Beim Finale tritt sie als Siebte der zwölf Teilnehmerinnen an und will ihren Burlesque-Tanz mit Fächern aus Straußenfedern zeigen. Danach der Catwalk, wofür sie daheim schon etliche Male auf Highheels trainiert hat. Auf der Bühne wird sie sich somit in bunteren Klamotten präsentieren als mit ihrer Businesskleidung beim Interview in Winnenden. Im Stadtteil Höfen zur Schule gegangen, absolvierte sie in Waiblingen das Berufskolleg, machte eine Ausbildung und wurde Schadenssachbearbeiterin einer amerikanischen Versicherung mit Sitz in Heilbronn. Seit zwei Jahren ist sie Teammanagerin und Chefin von 14 Mitarbeitern unterschiedlichsten Alters. Allein das verlangt ein seriöses Auftreten. Deshalb hat sie zwar fast knallrot geschminkte Lippen, große Ohrringe und ein Piercing oberhalb der Lippe – aber anders als viele Frauen keine Tätowierungen. Dies nicht nur, weil es im Beruf schwierig wäre, sondern aus Prinzip: „Was mir heute gefällt, gefällt mir morgen vielleicht schon nicht mehr – deshalb sage ich: Tattoos gehen nicht, ich brauch’ das nicht unbedingt an meinem Körper.“

Auch mit Größe 44 kann man toll aussehen

In Oberhausen winkt den drei Erstplatzierten ein Modelvertrag mit der führenden Agentur für Super-Size-Größen. Sarah Stoll sagt: „Ich bin stolz, dass ich unter den Top Zwölf bin“. Aber sie hofft durchaus auf einen der vorderen Ränge. „Ich bin schon ehrgeizig.“ Ganz generell geht es ihr aber weniger um den Wettbewerb. „Ich habe Größe 44 und ich stehe dazu. Ich möchte den Frauen da draußen zeigen, dass man auch mit Plus Size abseits der Norm, die uns die Gesellschaft vorgibt, toll aussehen kann. Ich stehe zu meinen Kurven.“ Ihr Freund hat sie übrigens kennengelernt, „da hatte ich noch 30 Kilo mehr als heute.“ Und wie ist er so? „Kilomäßig ist er eigentlich ganz normal.“

Am Freitag dieser Woche wird Sarah Stoll 29 – „vielleicht habe ich ja Glück, und tags drauf gibt’s mein eigentliches Geburtstagsgeschenk.“