Fracking in North Dakota: Die Zahl der Lecks, Risse, Feuer und Explosionen, die durch die umstrittene Fördermethode entstehen, hat in den vergangenen Jahren rapide zugenommen. Foto: Spang

Fracking hat die USA zum größten Energie-Produzenten der Welt gemacht. Doch jetzt entdecken immer mehr die Amerikaner, dass die neue Technik nicht nur ein Segen ist.

Bismarck/North-Dakota - Schon seit Tagen wittert Steve Jensen den süßlich-erdigen Geruch in der Luft. Erst dachte sich der Farmer nichts dabei, als er vor etwas mehr als einem Jahr in langen Bahnen über seine Weizenäcker zog, die sich über der gewaltigen Schiefergas-Formation ausbreiten. Doch dann erspäht Jensen von seinem Mähdrescher in der Ferne, was wie ein schwarzer Teich aussieht. „Das sah ziemlich übel aus“, erinnert sich der Bauer. Je näher er dem Teich kommt, desto mehr sieht er von dem Schaden. „Die Pflanzen waren so zersetzt, dass sie als Weizen nicht mehr erkennbar waren.“

 

Gegen Ende des Tages tauchen Vertreter des Öl-Unternehmens Tesoro und einer anderen Firma auf, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. „Es war schon dunkel“, erzählt Jensen von der denkwürdigen Spurensuche. Der Pool ist inzwischen auf die Größe von sechs Football-Feldern angewachsen. An einigen Stellen schießt das Öl in kleinen Fontänen hoch aus dem Boden. Ein sicherer Hinweis auf eine beschädigte Pipeline.

Das war am 30. September 2013. Doch die Medien erfuhren erst elf Tage später von dem Vorfall, dessen Ausmaß sich später als die größte Öl-Verseuchung auf amerikanischen Boden in der jüngeren Geschichte herausstellte – ein unerwünschter Nebeneffekt des wenig regulierten Fracking-Booms, begünstigt durch laxe Aufsicht des Pipeline-Netzes, das in diesem Fall Öl aus der Bakken-Formation zu einer Verladestation der Eisenbahn transportierte.

Wie sich nach Berichten in der „New York Times“ herausstellt, handelte es sich nicht um den einzigen Schmutzfleck auf der angeblich so weißen Weste der Fracking-Lobby. Demnach hat die Zahl der Lecks, Risse, Feuer und Explosionen in den vergangenen Jahren rapide zugenommen.

In den ersten zehn Monaten dieses Jahres setzten die Produzenten in North Dakota mehr giftige Substanzen frei als sie zusätzlich an Öl förderten. Doch die für die Aufsicht zuständige „Industrial Commission“ (Industriekommission) sieht bisher wenig Anlass, die Zügel anzuziehen. Dahinter steckt die Philosophie, mit einem kooperativen Ansatz dasselbe Ergebnis erzielen zu können wie mit Kontrollen.

Für Mark Cohen von der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee, sprechen die Erfahrungen dagegen. Cohen ist Mitglied der nationalen Kommission zur Aufklärung der BP-Öl-Katastrophe, die im Jahr 2010 im Golf von Mexiko eine schwere Umweltverschmutzung herbeiführte.

Er meint, die Realität zeige, „dass Aufsicht und Durchsetzung von Auflagen die Zahl der Lecks reduzieren.“ Eine Mahnung, die nicht nur im Präriewind North Dakotas unerhört verwehte. Vor lauter Begeisterung über das Potenzial für die einheimische Wirtschaft verzichtete Washington lange Zeit darauf, das „Hydro-Fracking“ kritisch unter die Lupe zu nehmen. Stattdessen vertraut man den Beteuerungen der Industrie, die Technologie stelle keine Gefährdung dar.

Bei dem seit 2008 praktizierten „Hydro-Fracking“ wird ein Gemisch aus 34 Millionen Litern Wasser, Chemikalien und Sand unter Hochdruck in ein L-förmiges Bohrloch gepresst. Durch den Druck bersten die Gesteinslagen und setzen Öl oder Gas frei. Das erlaubt, Reserven zu erschließen, die tief unter der Erdoberfläche zwischen Felsformationen festsitzen und lange als unerreichbar galten. Während Investoren mit dem klassischen Bohren in der Vergangenheit sprichwörtlich riskierten, Millionen in den Sand zu setzen, ist der wirtschaftliche Erfolg der neuen Methode garantiert. Das erklärt, warum der Wettlauf um Rechte für die Erschließung neuer Öl- und Gas-Quellen von North Dakota bis Texas zu einem Ausdruck des Booms geworden ist.

Um der Regulierung durch staatliche Behörden zuvorzukommen, schuf die Industrie im Eiltempo Fakten. In 36 Bundesstaaten der USA gibt es nach Angaben der Umweltschutzorganisation „Climate Central“ heute 1,1 Millionen durch Fracking erschlossene Bohrlöcher. Der Staat schaute weg, weil die Energie-Revolution dringend benötigte Jobs zurückbrachte, die nach dem Platzen der Immobilienblase und der folgenden Finanzkrise verloren gegangen waren.

Ökonomisch ging die Rechnung auf. Die USA wurden der größte Energie-Produzenten der Welt. Dank des durch das Fracking zu Tage geförderten Schiefergases reduzierte sich der Preis für diese Energie-Quelle in den USA um die Hälfte. Und Öl sprudelt so reichlich, dass die USA mit neun Millionen Barrel am Tag heute mehr fördern als alle Opec-Staaten bis auf Saudi-Arabien zusammengenommen. Ein Zuwachs von 80 Prozent gegenüber 2008.

Doch nun wächst die Schar der Kritiker, die vor den Risiken des Frackings warnen. Darunter ist der Umweltforscher Anthony Ingraffea, der in einer Studie für die Cornell University in Ithaca, New York, festhält, „Fracking“ trage mehr zum Treibhauseffekt bei als Kohle. „Es gibt mehr Rodungen, mehr Zerstörung von Wäldern und Feldern, Tausende Meilen an Pipelines, unzählige Kompressor-Stationen, die enorme Mengen an Diesel verbrennen und Kohlenwasserstoffe in die Atmosphäre freisetzen.“

Mit Sorge machen Geologen auf die wachsende Zahl an Erdbeben aufmerksam. So haben die US-Bundesstaaten Texas, Oklahoma, Ohio und Kansas in den vergangenen Jahren eine dramatische Zunahme an seismischer Aktivität erlebt.

Der Seismologe Austin Holland findet eine Statistik ganz besonders signifikant. Demnach gab es vor Beginn des Frackings im Jahr 2008 in Oklahoma im Schnitt ein Erdbeben mit einer Stärke von 3,0 und mehr. Seit 2008 haben seine Forscher-Kollegen 430 solcher Beben gemessen.

Sehr zum Verdruss der Öl- und Gas-Industrie formiert sich in den USA lokaler Widerstand. Während die Bundesstaaten, aber auch die US-Regierung zurückhaltend bei der Regulierung der Branche bleiben, schmieden Umweltschützer bereits Anti-Fracking-Bündnisse.

Vom Staat New York über Pennsylvania, Maryland, North Carolina und Ohio bis hin nach Colorado und Kalifornien haben Dutzende Gemeinden eigene Vorschriften erlassen. Dass sich bei den Wahlen im November gar Bürger an der „Wiege“ des Frackings im Ölstaat Texas gegen die Methode auflehnten, sorgte für Schlagzeilen und eine Prozesswelle. Die Industrie versucht, die 130 000 Einwohner-Stadt Denton per Gerichtsentscheid zu zwingen, einen per Referendum mit 59 Prozent der Stimmen beschlossenen Fracking-Bann wieder aufzuheben.

Der Bürgermeister von Denton, dessen Stadt direkt über dem gewaltigen Barnett-Öl- und Gasfeld sitzt, denkt jedoch nicht im Traum daran, sich einschüchtern zu lassen. „Die Demokratie lebt“, erklärt Chris Watts, der vor der Abstimmung gegen ein Verbot war, nun aber hinter dem Wunsch seiner Bürger steht. „Hydraulisches Fracking bleibt in den Stadtgrenzen Dentons verboten und der Stadtrat wird diese Verfügung verteidigen“, verkündet Watts.