Nackt auf der Heilbronner Straße für einen Kunstkalender. Foto: Daniela Wolf

Staus gibt es in dieser Stadt oft – doch Nackte im ruhenden Verkehr eher selten. Für ihren neuen Nacktkalender haben sich Studierende und Dozierende der Kunstakademie Stuttgart auf der Heilbronner Straße blitzschnell ausgezogen.

Stuttgart - Achtung, Achtung, ein Verkehrshinweis: In Stuttgart auf der Heilbronner Straße kommen Ihnen Nackte entgegen! Auf solche Radio-Durchsagen wird man vergeblich warten, obwohl tatsächlich unbekleidete Menschen den öffentlichen Straßenraum in der feinstaubgeplagten Stadt erobern. Denn die Entblätterten tun es ohne Vorwarnung – überraschend wie bei einem Flashmob und so schnell, dass alles vorbei ist, ehe sich jemand beschwert.

Studierende und Dozierende der Kunstakademie Stuttgart sind wieder unterwegs – so, wie Gott sie schuf. Das erste Motiv für den Stuttgarter Nacktkalender 2019 ist im Kasten. In den nächsten Monaten wird es weitere Fotosessions geben – für die dritte Ausgabe einer Kunstaktion, die in den vergangenen beiden Jahren bereits für Aufsehen gesorgt hat. Nach den Kalendern mit nackten Hintern auf Baustellen (2017) und der „Kesselsafari“ mit Menschen als Tieren (2018) sind Autos das neue Thema.

Den Stau mit drei Autos selbst produziert

„Dem ganzen Stahl- und Benzin-Wahnsinn setzen wir Frauen und Männer entgegen, die sich ungeschönt und natürlich zeigen“, erklärt die Stuttgarter Künstlerin Justyna Koeke das neue Projekt. Beim ersten Motiv auf der Heilbronner Straße haben sich 15 Frauen und Männer nackt beteiligt. „Wir haben den Stau mit drei Autos selbst gemacht“, berichtet sie. Vom Nacktshooting habe man die Polizei vorab informiert, falls sich Bürger Sorgen machen würden.

Die Dozentin der Kunstakademie erklärt das Projekt so: „Die nackte Menschen erobern die Straße und streben nach Freiraum und Freiheit. Der Kalender wird sich auf andere Autokalender beziehen und das Auto als Begierdeobjekt des Mannes auf den Arm nehmen. Unser Ziel ist es, einen antisexistischen Autokalender für Stuttgart zu produzieren, in dem Menschen nicht als Objekte der Begierde dargestellt werden, sondern als handelnde Subjekte, die den Abgasschleudern den Kampf ansagen.“

Nächstes Nacktshooting bei der Critical Mass

Die Hassliebe der Stuttgarterinnen und Stuttgarter zu den Autos wolle man humorvoll aufgreifen und zu einem Umdenken aufrufen. Dem „unbeirrbaren Glauben an den Fortschritt“ und dem „Wachstumswahnsinn“ müssten die Grenzen aufgezeigt werden. Es dürfe nicht mehr nur um „dicker, höher, größer“ gehen, sondern um „Menschen, die sich zwischen den Automassen, Staus und endlosen Baustellen zurecht finden müssen“.

Die nächsten Nacktaufnahmen sind bei der Critical Mass, beim Straßenprotest mit dem Fahrrad, geplant. Nacktsein ist keine Straftat, auch in der Öffentlichkeit nicht. Nur, wenn sich jemand gestört fühlt oder unfreiwillig zum Objekt von Erregung und sexueller Lust wird, wird’s ein Fall fürs Gericht. Es gibt Nacktwanderwege, Nacktcampingplätze, Nacktyoga. Freunde von all dem rühmen die „paradiesische Stimmung“ dabei, das habe „nichts Anrüchiges“.

Die deutsche Freikörperkultur stammt aus dem 19. Jahrhundert. Sie hat nichts mit Erotik zu tun, sondern mit Naturliebe, sagen die Nudisten. Die Kunstgeschichte ist reich an nackten Figuren. Die Nymphe oder der Satyr werden stets unbekleidet dargestellt. Wundern wir uns also nicht, dass sich die Kunstschaffenden der Stadt in den nächsten Wochen erneut herausgefordert fühlen.

Die Freikörperkultur hat nichts mit Erotik zu tun