Karin Mertens porträtiert Menschen mit Liebe zum Beruf. Foto: factum/Simon Granville

Wie wird man ein schwäbisches Original? Man könnte sich von Karin Mertens ablichten lassen.

Herrenberg - Was ist ein Original? Der Duden, das Lexikon des kleinen Mannes, sagt es so: „Ein Original ist jemand, der unabhängig von der Meinung anderer in liebenswerter Weise durch bestimmte Besonderheiten auffällt.“ Der Begriff stammt anscheinend aus dem 18. Jahrhundert, wird nicht nur seitdem für schlagfertige Schlitzohren und grobschlächtige Klötze verwendet, sondern auch für feine Humoristen. So reicht die Galerie der schwäbischen Originale von Willy Reichert über Werner Veidt bis hin zu Walter Schultheiß.

Die Herrenberger Fotografin Karin Mertens hat es sich zur Aufgabe gesetzt, schwäbische Originale zu porträtieren. Ihre Definition ist etwas abgewandelt: Jemand mit einem interessanten Gesicht, der seinen Beruf mit Liebe ausübt.

Hügel und ein Hühnerstall

Vom ersten schwäbischen Original kennt sie nicht einmal den Namen. Er fuhr an ihrer Wohnung im Stadtteil Kayh mit einem dicken Mercedes vor, stieg aus, ließ seine weißen Haare leuchten – und fütterte dann seine fünf Hühner. Das Tun und Aussehen des Mannes hatte Karin Mertens so beeindruckt, dass sie beschloss, solche Gesichter und Situationen zu sammeln. Das nächste Original: ihr Nachbar, ein leidenschaftlicher Traktor-Fahrer. Dann ein Nachbar, der jahrelang als Mechaniker in der Formel 1 gearbeitet hat. Auf ihren Fotos spielen auch typische Gegenstände eine Rolle. Der Metzgermeister bekommt ein Hackebeil in die Hand, der bienenzüchtende Anwalt eine Honigwabe.

Gelernt hat die 52-Jährige allerdings ein anderes Handwerk. Sie ist Damenschneiderin, arbeitete später als Foto-Assistentin bei Bernie Müller in Karlsruhe, damals noch mit der Hasselblad, einer analogen Mittelformat-Kamera. Bernie Müller war wohl für eine temperamentvolle Arbeitsweise bekannt, und eines Tages sagte er zu ihr. „Ich muss weg, mach Du die Fotos.“ Sie machte. Lernte die Lichtführung, das Zusammenspiel von Hauptlicht und Aufhellern, lernte, dass der erste Schritt eines guten Porträts in der Kommunikation besteht. Was ist das für ein Mensch? Wo kommt er her und am Allerwichtigsten – wie schaffe ich es, dass er aus sich herausgeht?

Neben der Kamera und hinter der Kamera

Doch verlief ihr weiterer Berufsweg eher neben der Kamera als hinter der Kamera. Sie wurde Visagistin, begann später eine Image- und Typberatung und arbeitete als Stylistin. Mit den Vorher-Nachher-Fotos ihrer Kunden in neuem Makeup und neuen Klamotten kam sie die dann wieder zur Porträt-Fotografie. Auch für sie bedeuteten die Quarantäne-Maßnahmen bei der Corona-Pandemie eine Zäsur. Arbeiten als Fotografin war nicht mehr möglich: Kurzerhand räumte sie ihre Studio, gab die Wohnung auf und zog nach Herrenberg, an den Rand des Ortsteils Kayh mit Blick auf Wälder und Hügel, Blumen und – den Hühnerstall natürlich, der sie auf die schwäbischen Originale brachte. Aus der Reihe will sie einemal ein kleine Fotoausstellung machen. „Einen Stuttgarter Kaminfeger brauche ich noch“, sagt sie. Womit man wieder bei der Frage wäre, was ein schwäbisches Original sei?

Die beiden Schauspieler Walter Schultheiß Trudel Wulle sind jedenfalls Originale, und das Ehepaar prangt ganz oben in der Online-Galerie von Karin Mertens. Wer sich dazugesellen möchte, der kann sich mit ihr unter „kame-foto.de“ in Verbindung setzen.