Ein Turmfalke – Cotrus schießt das Foto direkt von seinem Balkon aus.Die Ringelnatter hat Cotrus am Bärensee vor die Linse bekommen. Foto: Cotrus

Bis er 48 Jahre ist, hat Romeo Cotrus nichts mit Fotografie zu tun. Dann hat er eine Sinnkrise. Heute fotografiert er nicht nur im Strohgäu, sondern dokumentiert auch erfolgreich die Artenvielfalt im Schwarzwald.

Hemmingen - Am Tag nach seinem 48. Geburtstag kommt Romeo Cotrus nach der Arbeit nach Hause und setzt sich auf das Sofa im Wohnzimmer. Es ist ein ganz gewöhnlicher Abend. Nur, dass ihm dabei das erste Mal bewusst wird, dass er mit seinem Leben unzufrieden ist. Vielleicht eine Midlife-Crisis. Eine Frau, vier Kinder, einen sicheren Job, eine eigene Wohnung in seiner Heimat Hemmingen – aber irgendetwas fehlt. „Das Leben hat doch mehr zu bieten“, sagt er zu seiner Frau Kerstin.

Sie setzt sich mit ihm an den Tisch, und zusammen fangen sie an über mögliche Hobbys nachzudenken. Irgendetwas, das ihn ein wenig ablenkt, den Kopf frei macht. Reisen, Karate, Malerei – all das kommt in Frage, nur überzeugt es Cotrus nicht so richtig. „Früher habe ich immer gern fotografiert“, sagt schließlich seine Frau zu ihm. Da macht es Klick bei Cotrus.

Was eine Bridge-Kamera ist, weiß er damals nicht

Noch am selben Abend fährt er zum Elektrofachhandel in Feuerbach und kauft sich eine Bridge-Kamera, eine Mischung aus Kompakt- und Spiegelreflexkamera. Natürlich weiß er damals nicht, was eine Bridge-Kamera ist, als sie ihm der Fachberater ans Herz legt. Aber sie ist schwarz, hat ein Objektiv, manuelle Einstellmöglichkeiten und sieht aus wie ein Profigerät.

Das war vor zehn Jahren – die Wende im Leben von Romeo Cotrus. Heute hängen an den Wänden seiner Wohnung zahlreiche Bilder, die er über die Jahre hinweg geschossen hat – viele davon aus dem Strohgäu. Da sind Ringelnattern mit weit aufgerissenem Maul, flatternde Blaumeisen, stolze Turmfalken und eines seiner Lieblingstiere: das Eichhörnchen, das hinter einem Baumstamm hervorlugt. „Viele davon habe ich hier im Hemminger Wald geschossen“, sagt Cotrus. Den Turmfalken habe er sogar von seinem Balkon aus vor die Linse seiner Spiegelreflex bekommen.

Der Industriemechaniker im Schichtdienst

Wenn sich Cotrus an die Anfänge erinnert, muss er schmunzeln. „Ich hatte keine blassen Schimmer von Fotografie“, sagt er. Ein Foto nach dem anderen missglückte. Mal war es überbelichtet, ein andermal viel zu dunkel. Fotografiert hatte er Jahre zuvor nur mit der Kompaktkamera seiner Frau – Knipsereien von seinen Töchtern und Söhnen. Und als die vier Kinder älter wurden, legte sich Staub über das Kameragehäuse.

Cotrus, der heute noch als Industriemechaniker bei Bosch im Schichtdienst arbeitet, findet später zur Fotogruppe des Konzerns. Erst dort erhält er konstruktive Kritik von den Kollegen. Kurze Zeit später findet im italienischen Volterra eine Fotoausstellung über Stuttgart statt. Cotrus fährt mit seiner Frau in den Kessel, fotografiert die Stäffele, die Weißenhofsiedlung, das Bankenviertel. Insgesamt werden 16 Bilder von ihm für die Vernissage ausgewählt. „Das hat eine große Bedeutung in meinem Leben. Danach wollte ich richtig fotografieren“, sagt Cotrus. Mit der Bridge-Kamera ist er dann nicht mehr zufrieden. Er kauft sich eine richtige Spiegelreflexkamera und erweitert seine Ausrüstung. Weitwinkel-, Tele-, Zoom-, und ein Makroobjektiv.

Mit Letzterem setzt er sich vor Blumen wie die Wilde Orchidee und harrt auch mal eineinhalb Stunden so in der Stellung aus, bis das Licht im richtigen Winkel auf die violetten Blätter scheint. Erst, wenn er fertig ist mit dem Knipsen, spürt er die Rückenschmerzen. Aber die seien es immer wert gewesen, sagt der 58-Jährige.

Der Dachs kommt in der Dämmerung hervor

Cotrus kann aber auch einen halben Tag lang warten. Er stellt sein Stativ auf, setzt das Teleobjektiv an den Kameraverschluss und wirft sich sein Tarnnetz über, unter dem er eins mit der Umgebung wird. Die Vögel zwitschern, der Wind weht, die meiste Zeit passiert nichts. Und doch verliert sich Cotrus in seiner Linse, die Welt sieht er nur durch den rechteckigen Sucher. „Ich verspüre keinen Hunger, keinen Durst. Alles um mich herum versinkt.“

Der Dachs kommt in der Dämmerung hervor, der Hase rast im Morgengrauen über die Felder, die Kaltblüter verkriechen sich, wenn die Sonne hinter dem Wald verschwindet. Und wo die Heuschrecken sind, sind auch die Eidechsen ganz in der Nähe. „Wer einfach so kopflos rausgeht, wird keine guten Fotos machen“, sagt Cotrus, „man muss wissen, wie sich die Tiere verhalten.“ Der Fotograf hat am liebsten Tiere vor der Linse. Die Momente, wenn der Fuchs oder das Reh direkt ins Objektiv blicken – das seien die besten Motive, sagt Cotrus. „Dann sind Mensch und Tier gleichwertig.“

Cotrus vermisst die Artenvielfalt in seinem Heimatwald

Aber ihn zieht es schon längst weiter weg, meistens in die Naturschutzgebiete im Schwarzwald. Dort knipst er für die Gesellschaft Deutscher Tierfotografen und dokumentiert die Artenvielfalt des Waldes. Der Hemminger Zeilwald liegt nur 400 Meter von seiner Haustür entfernt. Seit drei oder vier Jahren, so Cotrus, gibt es dort aber nicht mehr viel zu entdecken. „Die Artenvielfalt hier hat abgenommen.“ Vielleicht läge es an den Pestiziden. Kaum noch Spinnen, Raupen oder Schmetterlingen gäbe es hier. Sogar den sonst noch häufigen Kohlweißling findet er dort nur noch selten.