Material gewordene Gigantomanie: Maersk Tripple E, Bau eines der größten Containerschiffe der Welt, fotografiert im Jahr 2014 in Südkorea. Foto: Alastair Philip Weber/Verlag

Der britische Fotograf Alastair Philip Wiper zeigt, welche eindrucksvollen und zuweilen bizarren Formen der technische Fortschrittsglaube annimmt.

Stuttgart - Manchmal zeugt ein zerknülltes Taschentuch neben einer Maschine davon, dass hier auch Menschen arbeiten, wenngleich unklar bleibt, worin ihre Tätigkeit besteht. Manchmal erkennt man, was hier entsteht, Sexspielzeug in Form nackter, gesichtsloser Plastikfiguren, die sich vor allem in der Form ihrer jeweiligen Brüste unterscheiden. Oder was hier vergeht – Schweine, die getötet wurden in Dänemarks größtem Schlachthaus.

Meist aber schaut man und staunt angesichts des gigantischen Gewirrs an Kabeln, Röhren und bizarr stacheliger Klötze. Und angesichts der Erfindungskünste von Menschen, Maschinen zu entwerfen, die Arbeit von Menschen überflüssig macht.

Faszinierende Rätselbilder sind in Alastair Philip Wipers Buch „Unintended Beauty“ versammelt: Was könnte das sein? Was soll das werden? Was hat es mit den Stellagen und Behältern in der Lagerhalle auf sich? Dass hier Käse zur Lufttrocknung lagert, wäre jedenfalls nicht die erste Vermutung gewesen.

Die Schönheit der Technik

Auch das wie ein riesiger Augapfel aussehende Ding auf einem Sockel sieht eher aus wie aus dem Fundus für einen Science-Fiction-Trashfilm. Hat aber in Wirklichkeit etwas zu tun mit der größten Cannabis-Farm Europas, wie der nebenstehende Kurztext in dem Bildband verrät.

Unerwartete Schönheit technischer Gegenstände, die Ästhetik des Seriellen, dafür hat der britische Fotograf Alastair Philip Wiper einen Blick. Er hat sich auf der Welt umgesehen, Marzipanmanufakturen in Deutschland besucht, in England Hightech-Textilfabriken und in Frankreich Gebäude besichtigt, in denen über Kernfusion geforscht wird. Und er hat den Bau eines der weltgrößten Containerschiffe in Südkorea fotografisch begleitet, das eine Kapazität für 18 000 Container hat und 864 Millionen Bananen transportieren könnte.

Geschichten über Bauern und Schlachthausfabrikanten

Der Material gewordene Fortschrittsglaube wird nicht kommentarlos gefeiert. Der Fotograf berichtet in einem hochinteressanten Anhang über die Geschichte jeder Fabrik, jedes Forschungslabors. Sei es, dass man erfährt, wie ein Tomatenbauer dazu kam, medizinisch genutztes Cannabis herzustellen, sei es, dass er aufzählt, wie viele Schweine wöchentlich in einem Schlachthaus getötet werden und dass die Fabrikanten ihre Fabrik gläsern nennen, weil von einer Empore aus jeder Schritt der Fleischverarbeitung beobachtet werden kann.

Was grundsätzlich davon zu halten ist, dass Tiere verspeist werden, dass riesige Schiffe die Weltmeere befahren – das ist das Kluge an diesem lehrreichen Fotobuch –, diese Entscheidung bleibt dem Betrachter überlassen.

Info zum Buch

Alastair Philip Wiper: Unintended Beauty. Mit einem Vorwort des Physikers Marcelo Gleiser und einem Interview zwischen dem Künstler und Ian Chillag (alle Texte auf Engl.). Verlag Hatje Cantz. 208 Seiten, 90 Abb., 44 Euro.